Der russische Überfall ­schadet türkischen Geschäftsinteressen

Schlecht fürs Geschäft

Die türkische Regierung verurteilt zwar den russischen Angriff auf die Ukraine, unterhält aber zu beiden Kriegsparteien wichtige Wirtschafts­beziehungen.

Am kürzlich eingeweihten Galataport in Istanbul legen wegen der Pandemie nur vereinzelt Kreuzfahrtschiffe an. Der Galataport ist ein Kreuzfahrthafen und eine gemischt genutzte Liegenschaft, die im Stadtteil Galata am europäischen Ufer des Bosporus an der Mündung zum Goldenen Horn liegt. Schicke Geschäfte und Gastronomie sind auf Kundschaft angewiesen, vor allem auch auf Touristinnen und Touristen, die von der grassierenden Inflation profitieren. Verglichen mit Weltstädten wie Moskau ist es hier billig, eine Tasse Kaffee kostet umgerechnet zwei Euro, ein Glas Wodka vier.

Vor allem russische Touristinnen und Touristen glichen in den vergangenen Jahren die sinkende Besucherzahl aus EU-Ländern aus, sie bildeten mit rund fünf Millionen (19 Prozent aller Besucher) die größte Gruppe. Es folgten deutsche (3,1 Millionen, 12,5 Prozent) und ukrainische Touristen (2,1 Millionen, 8,3 Prozent). Der Flugverkehr zwischen der Türkei und Russland ist von den Sanktionen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine bislang nicht betroffen. Die ukrainischen Flughäfen hingegen sind lahmgelegt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan teilte zunächst mit, dass die Türkei eine Politik des Gleichgewichts zwischen Russland und der Ukraine verfolgen werde.

Die Stimmung am Galataport hat sich durch den Krieg verändert. »Ich sage momentan gar nicht, woher ich komme«, sagt die russische Kunstkuratorin O. V., die sich derzeit im Rahmen eines Forschungsaufenthalts in Istanbul befindet und die Aggressionspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine nicht unterstützt. V. habe viele Freunde und Kollegen in der Ukraine, um die sie gerade bangen müsse. »Ich meide Gespräche darüber, weil ich dann doch immer zwischen die Fronten gerate und die russische Position erklären soll.«

Eine Gruppe wohlhabender Syrer sitzt am Nebentisch im Lokal Mezzaluna und debattiert über einen Bericht von al-Jazeera. Der arabische Nachrichtensender mutmaßt, dass sich in den Separatistengebieten Söldner aus Tsche­tschenien aufhielten. »Die haben in Nordsyrien auch schon gewütet«, bemerkt Ahmad M. Er und die anderen am Tisch seien schon vor Jahren aus Aleppo in die Türkei ausgewandert. ­Syrien unterstützt die russische Anerkennung der sogenannten Volksre­publiken Donezk und Luhansk. Putin schützt das syrische Regime unter ­Bashar al-Assad außenpolitisch.

Die türkischen Gastronomen hoffen, dass der Konflikt bald beendet sein wird, um die beliebten Gäste aus Osteuropa nicht zu verlieren. Sie gelten als großzügig, geben die besten Trinkgelder und streiten sich höchstens ­darüber, wer die Rechnung bezahlen darf; um den Preis feilschen sie in der Regel nicht.

Am Freitag vergangener Woche, also nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, lud die deutsche Botschaft zu einer Pressekonferenz in das Generalkonsulat Istanbul ein. Vor allem die türkischen Journalisten nutzten die Ge­legenheit, dem deutschen Botschafter, Jürgen Schulz, Fragen zu stellen: »Was macht Deutschland ohne russisches Gas?« Oder: »Sind die Vorwürfe Russlands gerechtfertigt, die Ukraine bedrohe mit Bestrebungen, der EU und gleich auch der Nato beizutreten, die russische Sicherheit?« Damit zielten sie auf die Inhalte der Sanktionen ab und drückten Skepsis darüber aus, wie die EU Anwärterstaaten behandele, zu denen neben der Ukraine auch die Türkei gehört. Während die Türkei schon lange Nato-Mitglied ist, stocken die Beitrittsgespräche mit der EU vor allem wegen der Menschenrechtslage im Land seit Jahren. Die Ukraine hatte geplant, 2024 die EU-Mitgliedschaft zu beantragen, durch die russische Intervention hat das Land den Antrag vorgezogen.

Botschafter Schulz hatte zunächst den offiziellen Standpunkt der deutschen Regierung und der EU zum Russland-Ukraine-Konflikt mitgeteilt: Sie wolle der Eskalation mit Sanktionen begegnen. Die Energieversorgung Deutschlands sei durch andere Quellen, etwa aus den USA, gesichert, sagte Schulz. Die Ukraine sei ein souveräner Staat, der Bündnisse nach eigener Interessenlage eingehen dürfe.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte kurz zuvor mitgeteilt, dass die Türkei eine Politik des Gleichgewichts zwischen den beiden Ländern verfolgen werde. Erdoğan verurteilte die Militäroperation als Verstoß gegen das Völkerrecht, die Türkei unterstütze die territoriale Integrität der Ukraine, die Konflikte müssten im Rahmen der Minsker Vereinbarungen gelöst werden.

Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu reagierte auf Forderungen der Ukraine, die Türkei möge den Bosporus für russische Kriegsschiffe schließen, mit dem Hinweis auf den Vertrag von Montreux von 1936, der der Türkei die volle Souveränität über die Dardanellen, das Marmarameer und den Bosporus zurückgab. Das Abkommen garantiert in Friedenszeiten freien Schiffsverkehr, im Falle eines Kriegs jedoch kann die Türkei Kriegsschiffen die Durchfahrt durch die Meerengen verweigern. Eine solche Regelung trat am Wochenende in Kraft. Selbst wegen des Kriegs könne man Russland als Schwarzmeer-Anrainerstaat allerdings die Rückfahrt von Kriegsschiffen in die Heimathäfen nicht verwehren, so Çavuşoğlu. Er teilte weiter mit, die Türkei habe mit einer Evakuierung türkischer Staatsbürger aus der Ukraine in die Nachbarländer Moldawien, Polen und Rumänien begonnen. 20 000 türkische Staatsbürger leben derzeit offiziell in der Ukraine, vor allem Geschäftsleute und Studierende.

Botschafter Schulz wies darauf hin, dass sowohl Deutschland als auch die Türkei durch die Sanktionen wirtschaftliche Nachteile spüren würden. Angesichts der katastrophalen türkischen Wirtschaftslage werden allerdings die jetzt schon von enormen Preis­steigerungen bei Grundnahrungsmitteln betroffenen türkischen Verbraucherinnen und Verbraucher die Folgen der Sanktionen viel stärker zu spüren bekommen. Die Türkei unterhält rege Wirtschaftsbeziehungen sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland. Türkische Bauunternehmen haben in den vergangenen fünf Jahrzehnten Aufträge im Wert von umgerechnet 95 Milliarden US-Dollar in Russland übernommen, so der Türkische Bauunternehmerverband (TMB). »Es gibt mehr als 100 Baustellen, auf denen gearbeitet wird. Das Volumen dieser Verträge beläuft sich auf über 20 Milliarden US-Dollar«, sagte Erdal Eren, der Präsident des TMB, am 24. Februar gegenüber ­lokalen Medien. Das Gesamtvolumen der laufenden Projekte türkischer Unternehmer in der Ukraine beträgt rund drei Milliarden US-Dollar. Die Türkei exportiert Obst und Gemüse und bezieht 70 Prozent ihrer Weizenimporte aus beiden Ländern.

Russland habe zugesagt, seinen Verpflichtungen im Rahmen der langfris­tigen Erdgasverträge nachzukommen, sagte Fatih Dönmez, der Minister für Energie und natürliche Ressourcen, der Tageszeitung Hürriyet am 23. Februar. Im Dezember 2021 war Russland mit 2,06 Milliarden Kubikmetern der wichtigste Gaslieferant der Türkei, gefolgt von den USA mit 1,05 Milliarden und dem Iran mit 855 Millionen Kubik­metern. Auch militärisch ist die Türkei mit beiden Ländern verflochten. An die Ukraine hat sie Drohnen verkauft, die nun gegen russische Truppen in der Ukraine eingesetzt werden. Mit Russland ist die Türkei durch den Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400 eng verbunden. Dies stört wiederum die Nato, deren Mitglied die Türkei ja auch ist. Aus den Diskussionen über Sanktionen hält die Türkei sich dementsprechend eher heraus. Im Hintergrund führen die Außenminister der Türkei und Russlands immer wieder Gespräche.

Istanbul wäre doch ein guter Ort für Friedensgespräche, findet Mahmut ­Özdemir, der Geschäftsführer des Café Vandal am Galataport. Internationale Gäste sind vor allem gut für das Geschäft.