Die US-Sanktionen gegen Russland werden schärfer, es bleiben allerdings Schlupflöcher

Die Festung isolieren

Die US-Regierung hat harte Maßnahmen gegen Russland beschlossen und maßgeblich dazu beigetragen, dass eine gemeinsame westliche Sanktionspolitik zustande kam. Doch das dürfte nicht ausreichen, um die russische Aggression zu beenden.

Russlands Angriff auf die Ukraine geht unvermindert weiter. Freund und Feind schauen nun vor allem auf die Reaktion des wirtschaftlich und mili­tärisch stärksten Staats der Welt. Einen »eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht« nannte US-Präsident Joe Biden in einer Rede im Weißen Haus am 24. Februar die Invasion: »Putin hat diesen Krieg gewollt, und nun werden er und sein Land die Konsequenzen tragen.« Wie effektiv die beschlossenen Maßnahmen sein werden, bleibt offen. Die USA und ihre Verbündeten beschränken sich auf wirtschaftliche Sanktionen und Waffenlieferungen. Trotz des Einbruchs, den die russische Wirtschaft nun erlebt, ist ein Kurswechsel des russischen Präsidenten Wladimir Putin noch nicht zu erkennen.

Nur einen Tag vor dem Angriff beschwor Biden noch die »feste Antwort der internationalen Gemeinschaft«. Doch die Vereinigten Staaten und die EU hatten anfangs offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine solche »feste Antwort« aussehen sollte. Diverse Staaten der EU, nicht zuletzt Deutschland, wollten bei der Verhängung von Sanktionen eigene wirtschaftliche Interessen wahren, vor allem im Energiesektor. Angesichts dieser Zögerlichkeit sollte man die Leistung der US-Regierung, das westliche Bündnis zusammenzuhalten, nicht unterschätzen. »Die Regierung Biden hat eine beeindruckende diplomatische Leistung bei der Koordinierung der Verbündeten erbracht«, so Alina Polyakova vom US-amerikanischen Think Tank Brookings Institution. Mit seinem brutalen Überfall auf die Ukraine hat Putin zumindest für den Moment die westlichen Staaten vereint. Die Sanktionen werden nun schärfer.

Mit seinem Kurs – Sanktionen gegen Russland und Waffen­lieferungen für die Ukraine – genießt US-­Präsident Joe Biden ausnahms­weise die zag­hafte Unterstützung der republikanischen Opposition.

Sberbank, das größte russische Finanzinstitut, wird von den US-amerikanischen Kapitalmärkten abgeschnitten. Vermögen der Bank VTB, des zweitgrößten russischen Finanzinstituts, das mit dem US-Finanzsystem in Berührung steht oder kommt, wird eingefroren, überdies dürfen US-Bürger keine Geschäfte mehr mit dieser Bank machen. Ähnlich harte Beschränkungen gibt es für drei weitere russische Banken. Die US-Regierung beschloss zudem wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen 13 russische Unternehmen, darunter der staatlich kontrollierte Energiekonzern Gazprom; diese können nun unter anderem kein Geld mehr auf dem US-Kapitalmarkt aufnehmen.

Biden zufolge soll »mehr als die Hälfte der russischen Hightech-Importe« aus den USA durch Sanktionen ­beendet werden. Dies betrifft auch die ­Lizenzproduktion im Ausland. Die Maßnahme zielt darauf, dem militärisch-industriellen Komplex Russlands Halbleiter, Telekommunikationstechnologien, Software und Ähnliches vorzuenthalten, aber auch darauf, die russische Wirtschaft langfristig zu schwächen. Hightech-Unternehmen wie Apple stehen zudem unter Druck, keine Produkte mehr an Russland zu verkaufen; Apple Pay steht in Russland nicht mehr zur Verfügung.

»Putin wird auf der internationalen Bühne ein Ausgestoßener sein«, versprach Biden. Russische Banken – eine offizielle Liste wurde bislang nicht veröffentlicht – werden nun von Swift, dem mit Abstand wichtigsten inter­nationalen Zahlungssystem, ausgeschlossen. Dies erforderte die Zustimmung der EU, denn die Zentrale von Swift befindet sich in Belgien. Auch die Hälfte des Auslandsvermögens der russischen Zentralbank soll eingefroren werden. Diese Maßnahmen würden »Russland stärker vom internationalen Finanzsystem isolieren«, so die gemeinsame Erklärung der USA, der EU, Kanadas und Großbritanniens.

Bei Finanztransaktionen sei Russland nun auf »Telefon oder Faxgerät« an­gewiesen, sagte ein Mitarbeiter der US-Regierung, der anonym bleiben wollte, NBC News. »Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die meisten Banken auf der Welt einfach alle Transaktionen mit den von Swift ausgeschlossenen Banken beenden.« Die von der US-Regierung und den westlichen Verbündeten beschlossenen Maßnahmen gehen weit hinaus über bisherige Sanktionen, die vornehmlich auf herausragende russische Oligarchen und Politiker zielten. »Hier werden Schlüsselsektoren der russischen Wirtschaft getroffen, was die Inflation weiter anheizen und das wirtschaftliche Wachstum stark einschränken könnte«, so Georgi Kan­tchev in einem Beitrag für das Wall Street Journal. Der Kurssturz des Rubels am Montag und die Entscheidung, die Öffnung der russischen Börse zu verschieben, bestätigen die Wirkung der Sanktionen.

Allerdings bleiben Schlupflöcher, deren Größe sich erst ermessen lässt, wenn Klarheit über die Details der Sanktionen besteht. Überdies ist unklar, wie weit die Sanktionen mit chinesischer Hilfe, durch Transaktionen über andere Länder oder Tarnfirmen kompensiert werden können. »Die Aussicht auf weitere Sanktionen ist natürlich unangenehm, aber das kann von den Finanzinstituten gelöst werden«, sagte der russische Finanzminister Anton Siluanow Anfang Februar. »Festung Russland« nennt Putin seine Politik der Vorbereitung auf wirtschaftliche Isolierung. Auf seine militärischen Entscheidungen dürften sich die Sanktionen nicht allzu schnell auswirken.

Einem militärischen Eingreifen der USA stehen jedoch sowohl Demokraten als auch Republikaner skeptisch gegenüber. Biden hat ein solches Vorgehen ausgeschlossen, unterstützt die Ukraine allerdings mit zusätzlichen Waffenlie­ferungen. Bereits im Januar erreichten Waffen im Wert von 200 Millionen US-Dollar das Land, am 26. Februar wurde nach Angaben der US-Regierung eine weitere Lieferung im Wert von 350 Millionen Dollar in Auftrag gegeben. Unter anderem werden Panzerabwehrraketen, Handfeuerwaffen, Schutzwesten und verschiedene andere Arten von Munition in die Ukraine entsendet. Außen­minister Antony Blinken zufolge haben die USA der Ukraine bislang militärische Ausrüstung im Wert von über einer Milliarde US-Dollar zur Verfügung gestellt.

Mit diesem Kurs – Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen für die Ukraine – genießt Präsident Biden ausnahmsweise die zaghafte Unterstützung der republikanischen Opposition. »Russlands aggressive Ambitionen bedrohen die Kerninteressen der Vereinigten Staaten, der Nato und des Westens«, sagte Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat, am 24. Februar. Der US-Kongress debattiert derzeit weitere Schritte, unter anderem ein Hilfspaket von über zehn Milliarden Dollar, wovon der Großteil für humanitäre Hilfe und die Versorgung der zu erwartenden Flüchtlinge in Europa vorgesehen sein soll.

Scharfe Kritik an Bidens Vorgehen hört man vor allem vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Personal sowie der republikanischen Basis, allerdings in widersprüchlicher Weise. Einige meinen, Biden gehe nicht hart genug vor, andere loben ­sogar den russischen Aggressor. In der konservativen Radio-Talkshow »The Clay Travis & Buck Sexton Show« nannte Trump am 22. Februar das Vorgehen Putins »genial«. Er steht mit dieser Meinung nicht allein, auch Mike Pompeo lobte Putin als »fähig« und fügte hinzu, dass er »enormen Respekt« vor dem russischen Präsidenten habe – eine befremdliche Haltung für einen ehemaligen CIA-Direktor und Außenminister. Einer Umfrage des Senders Fox News vom 24. Februar zufolge hatten 92 Prozent der befragten Republikaner über Biden und 81 Prozent über Putin eine negative Meinung. 56 Prozent aller Befragten waren der Ansicht, dass Bidens Reaktion »nicht stark genug« sei.

Doch eine Alternative bietet die republikanische Opposition nicht an, obwohl eine andere Politik durchaus denkbar gewesen wäre, zumindest vor der Invasion. Biden hat gar nicht erst versucht, das wichtigste und vermutlich effektivste Druckmittel der USA anzuwenden: Die frühzeitige Stationierung US-amerikanischer oder internationaler Truppen in der Ukraine hätte eine Invasion Putins wohl unmöglich gemacht. An einer solchen Politik der Abschreckung waren jedoch offensichtlich weder die Regierung noch die ­republikanische Partei sonderlich interessiert. Somit sind nun die Handlungsmöglichkeiten der USA begrenzt – und die Ukraine zahlt dafür einen hohen Preis.