Reaktionäre Christen verbreiten Verschwörungstheorien über Covid-19

Fromme Verschwörungsgläubige

Vom bayerischen Kardinal Gerhard Ludwig Müller bis zu obskuren Freikirchen: Viele Christen verharmlosen die Covid-19-Pandemie und verbreiten Verschwörungstheorien.

Gerhard Ludwig Kardinal Müller ist wohl der bekannteste Kirchenfunktionär, der hinter der Covid-19-Pandemie dunkle Mächte am Werk sieht. Schon im Frühjahr 2020, kurz nachdem die Pandemie Europa erreicht hatte, unterschrieb der ehemalige Bischof von Regensburg einen Aufruf »an Katholiken und alle Menschen guten Willens«. Darin hieß es, Corona sei der » beunruhigende Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle ­entzieht«.

Der von einem italienischen Bischof verfasste Aufruf strotzt von Geraune über »fremde Mächte«, die das Ziel hätten, die Bevölkerung zu unterjochen. Die Menschen würden isoliert, um sie »besser manipulieren und kontrollieren zu können«. Der Text gipfelt in der Behauptung, Jahrhunderte der christlichen Zivilisation sollten unter dem Vorwand eines Virus »ausgelöscht« werden, um eine »verabscheuungswürdige technokratische Tyrannei aufzurichten«, deren Ziel es sei, »über das Schicksal der Welt« zu entscheiden.

Der von einem italienischen Bischof verfasste Aufruf strotzt von Geraune über »fremde Mächte«, die das Ziel hätten, die Bevölkerung zu unterjochen.

Müller war der prominenteste Unterzeichner des Aufrufs, was für einige Kritik sorgte. Die deutsche Bischofskonferenz distanzierte sich von den Äußerungen. Der damalige Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken, Thomas Sternberg, sagte in einem Interview, er frage sich, was einen renommierten und angesehenen Kirchenmann dazu bringe, »auf seine alten Tage seinen gesamten Ruf zu ruinieren, indem er so etwas unterschreibt«.

Der heute 74jährige Müller war eine Zeitlang ein mächtiger Mann in der katholischen Kirche. 2012 hatte Joseph Ratzinger, als dieser noch Papst war, ihn zum Präfekten der Glaubenskongregation des Vatikans berufen. Diese Behörde wacht über die Glaubens- und Sittenlehre der gesamten Kirche. Nach fünf Jahren entzog der neue Papst Franziskus ihm das Amt wieder. Im vergangenen Sommer wurde Müller allerdings in das höchste Gericht des Vatikan berufen.

Auf die Kritik antwortete Müller 2020 in der konservativ-katholischen Tagespost, er habe den Aufruf nicht zuletzt wegen der »zum Teil unzulänglichen kirchlichen Reaktion« auf die Pandemie unterschrieben. Keine Zeile des Textes stamme von ihm, er habe den Verfasser Carlo Maria Viganò, einen Kritiker von Papst Franziskus, unterstützen wollen, weil dem »böse mitgespielt« worden sei. Und überhaupt sei der Text vielleicht »nicht der Weisheit letzter Schluss«, rege aber als Appell zum Nachdenken an.

Anderthalb Jahre später, im Dezember 2021, gab Müller dem in Österreich ansässigen katholisch-konservativen Institut St. Bonifatius ein Interview. Müller argumentiert inzwischen, dass »Leute, die auf dem Thron ihres Reichtums sitzen«, Corona nutzten, um »ihre Agenda durchzusetzen«. Es seien die Gelegenheit und der Wille da, »die Menschen jetzt gleichzuschalten, einer totalen Kontrolle zu unterziehen, einen Überwachungsstaat zu etablieren«. Der Kardinal hat auch eine Idee, wer dahinter stecke: der geschäftsführende Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, der Microsoft-Gründer Bill Gates und, wie könnte es anders sein, George Soros. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisierte, dass Müller »klar antisemitische Chiffren« bediene. Die Deutsche Bischofskonferenz distanzierte sich von dem Kardinal.

Noch ein bisschen seltsamer als Kardinal Müllers Äußerungen ist, was bei Gloria.tv zu sehen ist. Das Videoportal versteht sich als katholisch und wurde zeitweilig vom schweizerischen Pfarrer Reto Nay geleitet, hat jedoch keine offizielle Verbindung zur ­Kirche. Wie der Standard berichtete, veröffentlichte die Website in der Vergangenheit unter anderem ein Video, in dem der britische Bischof Richard Williamson behauptete, im »Dritten Reich« habe es keine Massenvernichtung von Juden in Gaskammern gegeben. Williamson ist bereits des Öfteren als Holocaust-Leugner aufgefallen und wurde 2013 aus der Amtskirche exkommuniziert. In der Covid-19-Pandemie läuft Gloria.tv zur Höchstform auf, vor allem bei den zahlreichen Posts der Community-Mitglieder gibt es kein Halten. Mit der dritten Impfung werde eine HIV-Infektion verabreicht und Impfstoffe enthielten Nanotechnologie, ist hier zu lesen, ebenso wie Aufrufe zum Widerstand gegen die »Corona-Diktatur«.

Auch unter Protestanten hat sich ein Milieu gebildet, das Pandemiemaßnahmen ablehnt, die Gefahr des Virus leugnet und in der Pandemie finstere Mächte am Werk sieht. Besonders verbreitet sind solche Einstellungen unter rechten Freikirchlern – eine Szene, die schon früher im Kampf gegen »Frühsexualisierung« und Geschlechtervielfalt rechtspopulistische Töne anschlug.

Einer der bekanntesten freikirchlichen Coronaleugner ist Christian Stockmann, der in Berlin-Wedding gemeinsam mit seiner Frau Dorothea das Café Mandelzweig betreibt. Stockmann gehört der »Querdenken«-Bewegung an. Er hat bei mehreren Demonstrationen gesprochen und bietet sein Café auch als Ort für Treffen an. Seine Argumenta­tion ähnelt der von Kardinal Müller. Früh kritisierte er das »Schweigen« der Kirche zu Einschränkungen. In »Zeiten der Not« müsse die Kirche für Menschen da sein, stattdessen hätten Pas­toren die Alten und Kranken einsam sterben lassen.

Stockmann gründete daraufhin mit anderen das Netzwerk »Christen im Widerstand«. Auf ihrer Internetseite wollen die »Christen im Widerstand« zeigen, dass sie im ganzen deutschsprachigen Raum Mitstreiter haben. Hunderte kleiner Punkte zeigen die Namen von »Widerstandskämpfern«; wer hinter diesen Namen steckt, ist schwer zu sagen. Links gibt es zu anderen Freikirchen und zu bekannten »Querdenker«-Seiten wie dem »Corona-Ausschuss« oder den »Medizinern und Wissenschaftlern für Gesundheit, Freiheit und Menschenrechte« um Sucharit Bhakdi. Die Christen im Widerstand publizieren auch aufwendig gestaltete Bro­schüren, voller falscher Aussagen zu Coronaimpfungen. Was gegen Covid-19 helfen soll: ein gesundes Immunsystem.

Christian Stockmann und seine Mitstreiter beziehen sich fälschlich auf den christlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Dietrich Bonhoeffer wird ebenso zitiert wie die Barmer ­Erklärung der Bekennenden Kirche. Stockmann sieht sich im Kampf gegen »teuflische Mächte«, die eine »Welt­regierung« etablieren wollten. In einer Predigt Ende vergangenen Jahres forderte er dazu auf, »Untergrundorte« zu schaffen, an denen man sich ungestört treffen kann.

ie meisten Freikirchen sind autonom und gehören nicht zur Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Doch auch in dieser gibt es Pfarrer, die mit »Querdenken«-Positionen zu ­sympathisieren scheinen. Zum Beispiel Bernhard Elser aus der Gemeinde Hegnach in Baden-Württemberg. Er habe in seiner Kirche unter anderem gegen die »wahnwitzigen« Maßnahmen zum Infektionsschutz gepredigt und diese indirekt mit dem Nationalsozialismus verglichen, berichtete die FAS. Die evangelische Landeskirche sagte der Zeitung, Elsers Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, das müsse man aushalten.