Sollte man Gesichtsmasken auch nach Abflauen der Pandemie weitertragen?

Wieder oben ohne

Erste Staaten haben bereits alle staatlichen Covid-19-Schutzmaßnahmen auf­gehoben. Doch sollten gewisse Hygieneschutzregeln auch nach der Pandemie eingehalten werden?
Disko Von

Der Rotz der anderen

Viele können es kaum erwarten, die Zumutungen der Coronazeit hinter sich zu lassen. Aber sich vor Viren zu schützen, ist immer sinnvoll.

Von Elke Wittich

Jedes unangenehme Ereignis endet irgendwann, und dann kommen neue Zumutungen, angefangen mit der Forderung, dass daraus gelernt werden müsse. Keinesfalls darf man danach nämlich einfach nur durchatmen, sich freuen, dass es überstanden ist und erst mal nix tun, nein, nein, irgendwer entwickelt sofort immer Merksätzchen und Lebensmaximen, die alle anderen gefälligst super anrührend philosophisch zu finden haben, und umgehend entsteht ein Wettbewerb, wer sie am besten umsetzt oder wer denen, die das nicht wollen, am besten die Meinung sagt.

Nach dem Ende der Covid-19-Pandemie, so ist zu befürchten, wird allerdings exakt gar nichts gelernt sein. Weil: Masken weg und Freiheit, endlich Freiheit. Warum es als erstrebenswerter gilt, sich zu erkälten und im besten Fall fünf, sechs Tage lang zu einem glibberigen Schleim absondernden Wesen zu werden, als wenigstens minimale Hygienestandards einzuhalten, ist unklar.

Die Chance, dass Hände im Laufe eines Tages einzig beim Duschen mit Wasser und Seife in Berührung kommen, ist sehr groß.

Aber so wird es wohl wieder werden. Schaut man sich allein schon den durchschnittlichen Zustand öffentlicher Damen- oder Herrentoiletten an, bleibt nur wenig Raum für Illusionen darüber, was ihnen alles anhaften dürfte. Mit anderen Worten: Die Chance, dass Hände im Laufe eines Tages einzig beim Duschen mit Wasser und Seife in Berührung kommen, ist sehr groß. Dafür patschen sie den ganzen Tag über fröhlich in allem herum, was ein Mensch so ausscheidet. Weswegen es wahrscheinlich ist, mit dem Griff nach, sagen wir, einem herkömmlichen Einkaufswagen, einer Türklinke, einem Handlauf oder einer Speisekarte in Popelschmiere, Kackereste, Urintröpfchen, Kotzehäufchenspritzer, Vaginalschleim, Sperma und wer weiß was noch alles zu fassen. Hinterlassen von Leuten, mit denen man, selbst wenn sie frisch gewaschen wären, nicht in jedem Fall zu tun haben möchte, geschweige denn mit ihren Ausscheidungen.

Aber zum Glück hat man ja gelernt und trägt immer ein ansprechend funktional riechendes Fläschchen Desinfektionsmittel in einer hübschen Farbe mit sich herum, im vorliegenden Fall sogar schon seit geraumer Zeit, weil es die Dinger wegen des vor Jahren befürchteten Ausbruchs der Vogelgrippe, von dem Europa damals dann doch weitgehend verschont worden war, praktisch überall zu erschwinglichen Preisen gab. Zwar haben viele Einrichtungen, Gaststätten, Lokale, Läden coronahalber eigene, oftmals sehr interessant designte Desinfektionsmittelspender angeschafft, für deren Wartung scheint allerdings niemand zuständig zu sein, denn wenn sie nicht kaputt sind, sind sie leer. Was immerhin gut zur derzeitigen Coronapolitik passt, aber der Platz für diesen Text ist begrenzt und deswegen wird der schriftliche Wutausbruch über den ganzen Unfug demnächst an anderer Stelle stattfinden.

Weil man sich ja aber nicht nach jedem Anfassen von irgendwas oder ­jedem Druck auf irgendwelche Knöpfchen und Tasten die Hände desinfizieren kann (obwohl das, Untersuchungen zufolge, für die Haut besser ist, als sie mehrmals täglich ausgiebig mit Billigseife zu traktieren), gibt es sehr ansprechend anzusehende kleine Gerätchen, die das für einen erledigen. Und Glitzerhandschuhe, die speziell im Winter auch nach dem Ende der Pandemie zu tragen sehr angeraten ist, wenn man sich keine hässlich und trottelig machende Krankheiten zuziehen möchte.

Weswegen zumindest während der Erkältungszeit auch weiterhin dafür gesorgt werden sollte, dass die winzigen fiesen ansteckenden Dinger, die Menschen ausatmen und -husten, einem nichts tun. Masken zu tragen, ist nicht nur ein sehr guter Schutz, sondern in vielen Fällen auch optisch keine Verschlechterung, zudem spart man viel Geld für Make-up, Lippenstift, Lipliner und Medikamente.

Womit wir zum vermutlich eigentlichen Skandal des allgemeinen Nicht­lernens aus der Pandemie kommen: Der Zumutung, Rotz und Schnief ­absondernde Leuten dazu zu zwingen, nicht etwa still für sich leidend zu Hause zu bleiben, sondern zur Arbeit zu erscheinen, und das pünktlich. Weil es als heroisch gilt, sich für 15,50 Euro die Stunde oder weniger oder mehr zum Job zu schleppen, dort dann Viren und Bakterien zu verteilen und am Ende des Arbeitstags kränker als zuvor in öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu fahren. Nein, das wird sich nicht ändern, aber je weniger bei dieser Zumutung mitmachen, desto besser.

 

Keine Angst vor der Freiheit

Dass Rechte aus falschen Gründen gegen die Maßnahmen zur Pandemie­bekämpfung sind, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine keim- und virenfreie Gesellschaft nicht mit einer zu ver­wechseln ist, die ein freudvolles Leben bietet.

Von Nathan Reuse

So steril ist es noch nie zugegangen: Seit nunmehr fast zwei Jahren ruft der Staat seine Insassinnen und Insassen zu immenser Hygienedisziplin auf, die er mit Hilfe griffiger wie kryptischer Formeln rationalisiert. Galt anfangs noch die sogenannte AHA-Formel – Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmaske tragen –, ist diese mittlerweile zur AHA+L und AHA+A+L mutiert, wobei das addierte A die Nutzung der Corona-Warn-App der Bundes­regierung und das addierte L das regelmäßige Lüften von Innenräumen bezeichnet.

Vor allem das Tragen der Gesichtsmasken hat offenbar bei vielen Deutschen zu einem Langzeitschaden der besonderen Art geführt: Es scheint ­ihnen zur zweiten Natur geworden. Bereits im vergangenen Juni hat das Meinungsforschungsinstitut Civey anhand einer repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass knapp die Hälfte der Befragten die Maske über das Ende der Pandemie hinaus weitertragen werde, um sich auch vor anderen Infek­tionskrankheiten wie der saisonalen Grippe zu schützen.

Über das Ende der Pandemie hinaus eine Maske zu tragen, käme einer Verweigerung des trotz aller bedrückenden gesellschaftlichen Krisen offenen Lebens an sich gleich.

Dass derselben Umfrage zufolge vor allem Wählerinnen und Wähler der Parteien AfD und FDP auf das Tragen eines Mundschutzes nach der Pandemie verzichten wollen, bedeutet nicht, dass sich die Befürworterinnen und Befürworter damit moralisch im Recht fühlen dürfen.

Die Ablehnung der Maske mag einer libertären Weltsicht entspringen, ­deren reaktionäre Seite man im ungezogenen Verhalten des Kleinbürger­mobs auf den zahlreichen Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen beobachten konnte. Die konformistischen Rebellen empfanden so gut wie jede der staatlichen Strategien zur Eindämmung von Sars-CoV-2 als persönliche Kränkung, weil sie ihrer vermeintlich freien Entfaltung im Wege stünden. Mit ihren nervtötenden Protesten ­haben sie die Pandemie zu einer noch größeren Zumutung gemacht, als diese es durch die fehlende staatliche Seuchenprävention eh schon war.

Doch im Hinblick auf ein früher oder später anstehendes Ende der Pandemie ist die libertäre Haltung dennoch die einzig vernünftige Reaktion auf das strenge Hygieneregime. Es wird dann gelten, eine zurückgewonnene Freiheit zu genießen, indem man das unsterilen Leben, wie es vor der Pan­demie war, wiederaufnimmt. Weiterhin eine Maske zu tragen, käme einer einer Verweigerung des trotz aller bedrückenden gesellschaftlichen Krisen ­offenen Lebens an sich gleich.

Dass dieses, philosophisch betrachtet, stets in Gefahr ist, ist sowohl richtig als auch banal. Der kommunistische Dichter Ronald M. Schernikau hat mit seinem 1984 in der Siegessäule veröffentlichten Appell »Fickt weiter!« diese Einsicht wie folgt auf den Punkt gebracht: »wer das auto kauft, kauft den autounfall.« Und weiter: »mal ganz im klartext: wer jetzt aufhört zu ficken, sollte aufhörn zu rauchen trinken essen arbeiten autofahrn spraydosen benutzen lackfarbe plastik radios kino menschen.« Gemünzt auf die damalige Bedrohung durch die neu entdeckte Krankheit Aids hat er für eine Haltung plädiert, die das eigene Wohlergehen nicht abhängig von einer äußeren Bedrohung macht. Wenn Schernikaus Ansinnen im Nachhinein als naiv zu bezeichnen ist, weil es die Gefährlichkeit des HI-Virus unterschätzt, war es zum damaligen Zeitpunkt eine vernünftige, weil lebensbejahende Reaktion auf die damalige Krise insbesondere für Homosexuelle; Schernikaus Leben ­allerdings hat sie verkürzt, er starb 1991 mit 31 Jahren an Aids.

Überhaupt sollten sich die staatlichen Repräsentantinnen und Repräsentanten eingestehen, dass ihre volksgemeinschaftliche Erziehungsanstrengung, der breiten Bevölkerung Hygienewissen auf Kindergartenniveau zu vermitteln, letztlich gescheitert ist. Während selbst zur Hochzeit der zweiten Welle im Winter 2020/2021 dem Robert-Koch-­Institut zufolge an einem Tag bis zu 1 244 Menschen starben, hat es die ­Mitmenschen nicht davon abgehalten, trotz gewissenhaft gezogener Abstandslinien auf dem Boden des Supermarkts der Vorderfrau an der Kassenschlange in den Nacken zu atmen, den gesamten U-Bahnwaggon vollzuniesen, als führe man ganz allein in ihm, oder die Maske präzise unter dem Zinken zu tragen – der sowohl infektiologische als auch ästhetische Super-GAU.

Man muss das alles nicht gut finden, aber man sollte akzeptieren, dass eine keim- und virenfreie Gesellschaft nicht mit einer zu verwechseln ist, die ein freudvolles Leben bietet.