US-Präsident Joe Biden konnte in seinem ersten Amtsjahr nur wenige Wahlversprechen erfüllen

Joe Bidens gemischte Bilanz

In den USA ist Präsident Joe Biden am 20. Januar ein Jahr im Amt. Die meisten seiner Wahlversprechen konnte er bislang nicht erfüllen.

Es war eine scharfe, teils sehr emotional gehaltene Rede, die US-Präsident Joe Biden am 11. Januar in Atlanta im Bundesstaat Georgia zum Thema Wahlrechtsreform hielt. Knapp ein Jahr zuvor hatten Anhänger von Donald Trump das Kapitol in Washington, D.C., angegriffen. Seither wurde in verschiedenen Bundesstaaten das Wahlrecht verändert, auch in Georgia. Die Demokraten fürchten, dass die neue Gesetzgebung die Wahlbeteiligung zu Gunsten der Republikaner beeinträchtigen soll. »Dies ist der Moment, unsere Demokratie zu verteidigen«, so Biden in seiner Rede. Die Opposition griff er scharf an.

»Die Schimpftirade des Präsidenten war zusammenhanglos, faktisch falsch und seines Amts nicht würdig«, äußerte einen Tag später Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat. Mag sein, dass Biden mit seinem Auftritt die demokratische ­Basis vor den Midterm-Wahlen im November animieren wollte, aber Kompromissbereitschaft signalisierte er nicht. Ohne die Unterstützung zumindest eines Teils der Republikaner sind die beiden Gesetzentwürfe zur Wahlreform, »H.R. 1« (»The For the People Act«) und der »John Lewis Voting Rights Act«, vermutlich nicht durch den Kongress zu bringen. Sie sollen unter anderem die Gesetzgebungen der verschiedenen Bundesstaaten für Wahlen vereinheitlichen. Seit einem Jahr dringen Wahlrechtlerinnen und -rechtler bereits auf diese Reformen, die das Wahlrecht stärken und soziale sowie indirekt rassistische Diskriminierung verhindern sollen – doch es geht nicht voran.

Das erste Amtsjahr von Präsident Biden, der am 20. Januar 2021 vereidigt wurde, ist durchwachsen verlaufen. Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner sieht seine Politik kritisch. In aktuellen Umfragen liegt er im Durchschnitt bei 43 Prozent Zustimmung. Dabei fing alles vielversprechend an, vor allem bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. 100 Millionen Impfdosen wolle die Regierung in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit verabreichen lassen, so die Ankündigung im Dezember 2020. Das ist gelungen, die US-Armee sorgte für einen reibungs­losen Ablauf in Impfzentren im ganzen Land. Im März 2021 verabschiedete der US-Kongress den 1,9 Billionen US-Dollar umfassenden »American Rescue Plan Act«, den die Parteibasis der Demokraten bejubelte. Doch die Schwachstellen der darin enthaltenen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Bewältigung der Coronakrise treten erst jetzt zutage: Es floss zu wenig Geld für die Bekämpfung der Pandemie, nur 50 Milliarden US-Dollar für Impfungen und 47,8 Milliarden für Covid-Tests. Das »Paycheck Protection Program«, das durch die Vergabe günstiger Geschäftskredite Stellenabbau verhindern sollte, wurde mit lediglich sieben Milliarden US-Dollar ausgestattet. Zum großen Teil floss Geld in die Arbeitslosenhilfe, an Menschen, die also bereits entlassen wurden. Hätte man die Betriebe stärker gefördert, hätten sie ihre Beschäftigten nur beurlauben müssen, sagen Kritiker, vielen Betrieben fehlt nun das Personal. US-Notenbankpräsident Jerome Powell wies im Dezember darauf hin, dass »der postpandemische Arbeitsmarkt und die Wirtschaft generell anders sein werden«. Die günstige Liquidität, die das Zentralbanksystem der USA ermöglichte, trägt zur Inflation bei. Der Kampf gegen Covid-19 erlahmt mittlerweile, nur 63 Prozent der Bevölkerung gelten als vollständig geimpft. Biden hat es versäumt, striktere Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise die Impfpflichtigkeit bei Inlandsflügen – der Immunologe und Regierungsberater Anthony Fauci hatte das bereits im September 2021 empfohlen, der Vorschlag scheiterte jedoch einem Bericht der Washington Post zufolge am Widerstand der Luftfahrtgesellschaften. Nun bricht die Omikron-Welle über das Land herein. Über zwölf Millionen Neuinfektionen meldete die Johns Hopkins University im vergangenen Monat. Unzählige Angestellte sind krankgeschrieben, Tausende von Flügen storniert, Krankenhäuser überlastet, in Städten wie New York ist der öffentliche Nahverkehr teilweise schwer beeinträchtigt. Mehr als 840 000 US-Bürgerinnen und -Bürger sind bereits an Covid-19 verstorben. Die Bilanz von Bidens Pandemiepolitik ist bestenfalls gemischt. Auch bei anderen seiner Kernthemen tut sich der Präsident schwer. Zu nennen wären der Klimawandel, die soziale Gerechtigkeit – insbesondere die Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung – und »Amerikas Ansehen in der Welt«, wie Biden es nach seinem Amtsantritt formulierte. Doch die ­US-Außenpolitik unter Biden war überwiegend ­desillusionierend. Besonders verheerend für das ­internationale Ansehen der USA war der planlose Rückzug aus Afghanistan im Sommer vorigen Jahres.

Zwar war es Bidens Vorgänger Donald Trump, der 2020 in Doha die »Kapitulation vor den Taliban« – so der ehemalige nationale Sicherheitsberater General Herbert Raymond McMaster – unterschrieben hatte, aber es war Biden, der den Truppenabzug in die Tat umsetzte. Die USA versagten ihren afghanischen Partnern abrupt die Luftunterstützung, die Regierung von Präsident Ashraf Ghani brach zusammen. Am Flughafen von Kabul kam es zu chaotischen Szenen. Die Medien zeigten Bilder von Menschen, die sich verzweifelt an US-Militärflugzeugen festklammerten. Bidens Umfragewerte sanken rapide und haben sich bis heute nicht wirklich erholt. In einer Rede im August 2021 gab sich Biden trotzig. Er schob die Schuld für den Zusammenbruch auf die entmachtete afghanische Regierung und die afghanischen Streitkräfte. Für die afghanische Bevölkerung war die Machtübernahme der Taliban eine Katastrophe.

Bündnispartner der USA, aber auch rivalisierende Staaten wissen einmal mehr, dass auf die USA nicht immer Verlass ist. Beispielsweise hat Biden auf eklatante Weise die französische Regierung durch das im September 2021 ­geschlossene U-Boot-Abkommen mit Australien und Großbritannien, Aukus, verprellt. Obwohl die USA unter Biden wieder in das Klimaabkommen von Paris und die Weltgesundheitsorganisation eingetreten sind, scheint die US-Politik noch immer hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt zu sein. Auch Chinas aggressives Auftreten gegen Taiwan und Russlands Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze müssen in diesem Kontext gesehen werden. Aber das Thema Afghanistan scheint die meisten US-Amerikanerinnen und -Amerikaner nicht mehr zu interessieren. Sie sorgen sich hauptsächlich um die Wirtschaft.

Die Arbeitslosenquote liegt mit derzeit 3,9 Prozent zwar auf einem historischen Tiefstand. Aber der Diffusionsindex der US-Regierung liegt bei 59 Prozent, was bedeutet, dass der Beschäftigungsanstieg auf wenige Branchen konzentriert ist. Der wirtschaftliche Aufschwung ist zwar da, aber er erreicht nicht genug Menschen. Gleichzeitig liegt die Inflation bei sieben Prozent, eine »Goldgrube« für die Opposition, wie der republikanische Senator Rick Scott aus Florida im November sagte.

So sind die Benzinpreise in manchen Bundesstaaten seit dem Frühjahr 2021 um bis zu 91 Prozent angestiegen. Das ist zwar nicht die Schuld der Regierung Biden, aber ihr Problem. Im November gab sie 50 Millionen Tonnen Öl aus den strategischen Reserven frei. Eine rein symbolische Geste, denn damit deckte sie den Ölbedarf der USA gerade einmal für drei Tage. Allerdings setzten die USA damit international ein bedenkliches Signal, denn bei der UN-Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow hatte die Regierung noch ­versprochen, bis 2030 die jährlichen »Treibhausgasemissionen um weit über eine Gigatonne zu senken«. Zwar sieht der »Infrastructure Investment and Jobs Act«, den der Kongress Anfang November verabschiedet hat, durchaus Investitionen in erneuerbare Energien vor, aber sie sind vergleichsweise gering. Die wesentlichen Beträge sollen in das Straßen- und Schienennetz investiert werden, was allerdings auch dringend nötig ist. Das Gesetz ist ein Erfolg für Biden und ein entscheidender Schritt für die USA. Aber mit nur 15 Milliarden US-Dollar für Elektroautos und Ladestationen lassen sich die UN-Klimaziele wohl kaum erreichen.

Derzeit ringt der US-Senat um einen weiteren Gesetzentwurf, den »Build Back Better Plan«, den Kern von Bidens politischem Programm – mit ihm soll weitaus mehr in den Klimaschutz investiert werden. Doch noch wird der Plan von dem konservativen demokra­tischen Senator Joe Manchin aus West Virginia aufgehalten, für dessen Bundesstaat, der vom Kohleabbau und der Automobilindustrie abhängig ist, in dem Entwurf nichts abfällt. Auch beim Thema soziale Gerechtigkeit gibt es bislang keine Fortschritte. Obwohl Biden seinen Wahlsieg nicht zuletzt der afroamerikanischen Bevölkerung zu verdanken hat, muss diese weiter auf die versprochenen Reformen des Justizsystems und des Wahlrechts warten. Die Re­gierung Biden hat keine überzeugende Strategie, um ihre Vorhaben durch­zusetzen – außer eben Reden zu halten. Die Website Politifact.com gibt an, Biden habe bislang nur 13 Prozent seiner teils hochtrabenden Wahlversprechen erfüllt.