Ninja Thybergs Film »Pleasure« kritisiert die Pornoindustrie aus weiblicher Perspektive

Schmerz für Ruhm

Die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg erzählt in ihrem Spielfilm »Pleasure« die fiktive Geschichte eines Pornostars. Der Film, der mit Ausnahme der Hauptrolle mit Darstellern und Größen der Pornobranche besetzt ist, wirft einen kritischen Blick auf die ausbeuterischen Strukturen am Set und verteidigt zugleich die Entscheidung der Frauen, in der Pornoindustrie zu arbeiten.

Das Wort »Pornographie« ist altgriechischen Ursprungs und bedeutet wörtlich übersetzt »Darstellung von Huren«. Sind Pornodarsteller also Prostituierte? Die meisten sind es, denn sie haben Sex für Geld. Auch wenn sie dem Konsumenten sexuelle Handlungen nicht direkt anbieten, sondern diese mit anderen Darstellern ausführen und dafür von Produktionsfirmen bezahlt werden, ist ihr Status oft prekär; sexueller Missbrauch und Ausbeutung sind den Branchenstrukturen inhärent.

Gerade wenn es um BDSM-Praktiken im Porno geht, erscheint das Konzept von Konsens fragwürdig. Zwar können sich alle an einem Filmdreh Beteiligten einig darüber sein, dass eine Darstellerin – meistens ist es eine Frau – »hart rangenommen« werden soll, dass sie von anderen Darstellern – meistens sind es Männer – geknebelt, geschlagen, bespuckt und hart penetriert werden soll, doch das voluntaristische Einverständnis bewahrt nicht davor, dass das Geschehen über die reine Darstellung hinausgeht und real ist. Schmerz und Erniedrigung lassen sich nämlich nicht als bloße Fiktion begreifen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Sexuelle Wünsche und Praktiken entspringen den Verhältnissen des Alltags und nehmen wiederum auf diesen Einfluss. Traumata entfalten ihre Wirkung noch lange nach dem konkreten Erlebnis.

Trotz der harten Szenen ist »Pleasure« insgesamt kein brutaler oder düsterer Film, vielmehr zeigt er facettenreich und manchmal auch humoristisch den Alltag der Akteure im Pornogeschäft.

»Pleasure«, der erste Film der schwedischen Regisseurin Ninja Thyberg in Spielfilmlänge, beleuchtet diesen Zusammenhang auf nachdrückliche Weise. Die Protagonistin Linnéa (Sofia Kappel) ist 19 Jahre alt, als sie beschließt, »der nächste große Pornostar« zu werden. Sie fliegt von Schweden nach Los Angeles, wo sich die umsatzstärkste Pornoindustrie der Welt angesiedelt hat. Linnéa trifft ihre Entscheidung für die Branche nicht aus Mangel an Alternativen, sondern weil sie, wie sie einem anderen Darsteller nach ihrem ersten Dreh verrät, »Schwänze liebt«.

Schon bald erkennt sie, welcher Weg zum Ruhm führt: Sie will ein »Spiegler Girl« werden, also für den US-amerikanischen Agenten Mark Spiegler arbeiten. Dieser, der Inhaber der in der Branche renommierten Agentur Spiegler Girls, spielt sich im Film selbst, wie es auch andere Größen der Pornoindustrie tun. Seine Agentur hatte die Pornodarstellerin Sasha Grey unter Vertrag, die Ende der nuller Jahre über die Pornowelt hinaus zu einer Art Kultfigur avancierte. Spiegler scheut die Öffentlichkeit offenbar nicht, er war bereits in mehreren Dokumentationen zu ­sehen, unter anderem in dem sehenswerten Film »9 to 5 – Days in Porn« (2008) von Jens Hoffmann.

Auf Youtube findet man ein Interview mit Spiegler, in dem er die ­Arbeit der Darstellerinnen beschreibt, die bei ihm unter Vertrag stehen. »Man hat bei uns drei Aufgaben: Zum einen musst du ficken und blasen, und dann gibt es zwei schwierige Herausforderungen: Du darfst mich nicht schlecht aussehen lassen in der Branche oder mir irgendwelche Pro­bleme bereiten.« Fast genau dieselben Worte richtet Spiegler in »Pleasure« an Linnéa, die sich als »Bella Cherry« bei ihm vorstellt. Spiegler Girls, so erfährt man im Film, sind dafür bekannt, dass sie kaum eine Sexualpraktik scheuen, stets höchst professionell agieren sowie über eine große Reichweite in den sozialen Medien verfügen.

Um ihre Karriere voranzutreiben, lässt Linnéa sich auf den Dreh eines Hardcore-Pornos ein, bei dem sie die Kontrolle über sich und ihren Körper verliert und, wie sie später ihrem Agenten ins Gesicht schreit, »stundenlang vergewaltigt« wird. Die Szenen sexueller Gewalt, die im Film nur wenige Minuten dauern, sind äußerst strapaziös anzusehen: Mehrmals stellt die Handlung ein Ende der Peinigungen in Aussicht, doch immer wieder entscheidet die sichtlich verstörte Protagonistin, dass die Aktion weitergeht. Das intensive Spiel von Sofia Kappel in der Rolle der Linnéa ist erschütternd. Schließlich erfolgt ein erlösender Filmschnitt. Man sieht, wie Linnéa im Auto zu ihrer Unterkunft zurückfährt; doch sogleich führt eine Rückblende wieder mitten hinein in das Horror­szenario. Der Film zeigt, wie ein zurückliegendes schockierendes Ereignis die Gegenwart einnimmt.

Trotz der harten Szenen ist »Pleasure« insgesamt kein brutaler oder düsterer Film, vielmehr zeigt er facettenreich und manchmal auch humoristisch den Alltag der Akteure im Pornogeschäft. Die Charaktere im Film pflegen Freundschaften und Animositäten, es gibt Gesten der Solidarität ebenso wie Missgunst und Verrat.

Thyberg gelingt es, Nacktheit und Sex dem Gegenstand angemessen explizit zu zeigen, dabei jedoch jederzeit die Distanz zum Porno zu wahren, der auf die Erregung der Zuschauenden zielt. Voyeuristisch ist »Pleasure« an keiner Stelle. Sexszenen sind oft visuell fragmentiert, indem die Kamera nicht nur die Körper zeigt, sondern etwa auch den Blicken der Darsteller folgt oder auf ihre Gesichter schwenkt. Darin zeigt sich oft ­etwas anderes als pure Lust. Thyberg lässt durch dieses Verfahren Raum für die Reflexion über das Geschehen und die Imaginationen der Figuren. Denn darum geht es: Was macht der Sex vor der Kamera mit jenen, die ihn haben?

Wie in der filmischen Pornographie Wirklichkeit und Fiktion, die Darstellung von Sex und Prostitution miteinander verwoben sind und wie leicht Machtmissbrauch stattfinden kann, wird nicht nur anhand der ­Erlebnisse der Protagonistin deutlich. Eine junge Frau berichtet davon, dass sie einmal für einen angeblichen Dreh gebucht wurde, bei dem die ­Kamera letztlich nur als Staffage diente; ihr Agent hatte damit kein Pro­blem und hielt es nicht für nötig, sie über den Charakter des Treffens zu informieren. Ob Dana DeArmond, die die junge Frau im Film verkörpert, dies tatsächlich selbst so erlebt hat, erfährt man nicht – weit her­geholt ist es zumindest nicht.

Alice Schwarzer hat das Phänomen der Pornographie 1987 so beschrieben: »Die Frauen von heute machen, zumindest einige, Karriere. Die Frauen von heute ziehen, zumindest einige, ins Parlament. Die Frauen von heute teilen sich, zumindest einige, die Kinderarbeit mit den Vätern. Die Frauen von heute fordern, und das sind viele!, Menschenrechte auch für Frauen. Direkt widerspricht da niemand. Indirekt aber antwortet die Pornographie.« Daran, dass Pornographie oft Misogynie propagiert, hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Pornos, in denen Frauen erniedrigt oder zumindest in submissiver Position dargestellt werden, machen noch immer einen großen Anteil der Produktionen aus.

Ironischerweise stellen Frauen aber einen erheblichen Teil des ­Publikums der derzeitigen Pornographieproduktion: Zwar stellen einer Statistik der Plattform Pornhub für das Jahr 2021 zufolge mit 65 Prozent noch immer Männer die Mehrheit der Pornokonsumenten, der Frauenanteil steigt allerdings seit Jahren. Nicht nur so bezeichnete feministische Pornos, sondern auch solche, die explizit frauenverachtende Inhalte zeigen, suchen Frauen anteilig häufiger als Männer. Das mag angesichts der Virulenz der »Me Too«-Bewegung, die sexuelle Belästigung und Gewalt anprangert, zunächst verwundern. Letztlich zeigt sich darin aber nur, wie sehr gesellschaftliche Formationen das Unbewusste – und damit die sexuellen Wünsche – auch derjenigen prägen, die unter ihnen leiden.

»Pleasure« ist ein wichtiger Film, weil er, ästhetisch überzeugend, über die Produktionsbedingungen einer Branche reflektiert, deren ­Erzeugnisse den meisten Menschen mittlerweile mindestens so vertraut sein dürften wie die der Hollywood-Industrie.

Thyberg hat dafür die richtige Form gewählt: Der fiktionale Zugang erlaubt es, die Erlebnisse der Protagonistin für den Zuschauer gleichsam in Echtzeit und mit großer visueller Intimität zu schildern. Das könnte in einem rein dokumentarischen Format so nicht erreicht werden. Die Beschäftigung mit der realen Porno­industrie und die Arbeit mit »echten« Darstellern tragen dazu bei, dass der Film nicht Klischees, sondern treffende Beobachtungen über die Branche zeigt.

Pleasure (Schweden/Niederlande/Frankreich 2021). Regie: Ninja Thyberg. Buch: ­Peter Modestij und Ninja Thyberg. Darsteller: Sofia Kappel, Revika Reustle, Evelyn Claire, Chris Cock. Filmstart: 13. Januar