Die Finanzpolitik der Ampelkoalition ist widersprüchlich

Bäumchen wechsle dich

Der neue Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will pandemiebedingte Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds verschieben. Damit würde er die sogenannte Schuldenbremse umgehen, die er sonst stets befürwortet.

Weniger einnehmen und gleichzeitig mehr ausgeben, ohne dabei neue Schulden aufzunehmen, ist auch für einen ambitionierten Politiker kein leichtes Unterfangen. Doch Christian Lindner (FDP) ist als neuer Bundesfinanzminister angetreten, um dieses Kunststück zu vollbringen. Er lehnt Steuererhöhungen kategorisch ab, will aber dennoch signifikant in Infrastruktur und Klimatechnologie investieren. Zudem soll ab dem kommenden Jahr auch die im Grundgesetz festgeschriebene sogenannte Schuldenbremse wieder in Kraft treten. Nur unter dieser Bedingung wollte er seine Partei überhaupt mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen koalieren lassen.

Mit welchen Tricks das Kunststück gelingen soll, zeigte Lindner gleich zu Beginn des Jahres. Die Steuerzahler sollen in den kommenden drei Jahren um 30 Milliarden Euro entlastet werden, sagte er Anfang Januar der Bild am Sonntag. Dieses Ziel wolle er erreichen, indem unter anderem die Umlage auf den Strompreis gemäß dem Erneuer­bare-Energien-Gesetz (EEG) abgeschafft und die Beiträge zur Rentenversicherung vollständig steuerlich absetzbar gemacht würden.

Der Bundesrechnungshof nennt den Nachtragshaushalt der neuen Bundes­regierung in einer Stellung­nahme »verfassungs­rechtlich zweifelhaft«.

Bereits im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, die EEG-Umlage zu streichen, um die steigenden CO2-Preise zu kompensieren. Entlastet wird damit eigentlich niemand. Vielmehr wird eine Umlage gestrichen, um eine andere zu finanzieren. Und auch die Ankündigung, dass Rentenbeiträge bald voll steuerlich absetzbar würden, ist nicht der Wohltätigkeit des Finanzministers geschuldet, sondern einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Jahr, dem Lindner sich beugen muss.

Wie bescheiden die angekündigte Entlastung von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr tatsächlich ist, zeigt sich im Vergleich mit der vorherigen Regierung. Die Große Koalition hatte in dieser Hinsicht deutlich mehr erreicht, in dem sie unter anderem den Solidaritätszuschlag teilweise abgeschafft und das Kindergeld erhöht hat.

Als echte Herausforderung könnte sich für Lindner jedoch erweisen, die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu finanzieren. Bis 2045 seien ­dafür Investitionen in Höhe von etwa sechs Billionen Euro notwendig, schätzte die Beraterfirma McKinsey in ihrer im September 2021 vorgestellten Studie »Net-Zero Deutschland«. Ohne weitere Kredite ist das kaum zu schaffen.

Pandemiebedingt ist die Schuldenbremse bis 2023 ausgesetzt, und selbst konservative Wirtschaftswissenschaftler wie der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, Clemens Fuest, halten ­höhere Staatsschulden in der derzeitigen Situation für sinnvoll. Für deutsche Staatsanleihen fallen ne­gative Zinsen an, Anleger müssen also sogar dafür zahlen, wenn sie der Bundesregierung Geld leihen wollen. ­Zudem sind die ­Folgen der Pandemie noch längst nicht ausgestanden. Dennoch ist Lindner mit dem Vorsatz angetreten, keine zusätzlichen Kredite aufzunehmen.

Mit einem finanzpolitischen Kniff versucht er nun, faktisch neue Schulden zu machen, ohne sie als solche zu bezeichnen. Für das vergangene Jahr hatte die alte Bundesregierung eine Rekordverschuldung in Höhe von 240 Milliarden Euro eingeplant. Tatsächlich wurden aber nur 180 Milliarden Euro benötigt, um die Kosten der Pandemie zu decken. Die nicht genutzten Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro will Lindner in den Energie- und Klimafonds verschieben, um damit in den kommenden Jahren Investitionen zu finanzieren. Der Trick dabei: Wenn im kommenden Jahr die Schuldenbremse ­wieder in Kraft tritt, würden die 60 Milliarden Euro nicht mitgezählt, da sie noch während der Ausnahmeregelung aufgenommen wurden. Lindner könnte also neue Kredite in Anspruch nehmen, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen.

Ob Lindners Rechnung aufgeht, ist allerdings noch unklar. Der Bundesrechnungshof nennt den Nachtragshaushalt in einer Stellungnahme »verfassungsrechtlich zweifelhaft«. Der Grund für die fraglichen Kredite liege nicht in der Bekämpfung einer Naturkatastrophe, wie es die Aussetzung der Schuldenbremse vorsieht, sondern sei eine »Geldbeschaffung« für künf­tige Maßnahmen, »eine Kreditermächtigung auf Vorrat«. Ähnliche Kritik gab es auch in mehreren Gutachten, die Anfang der vorigen Woche in einer Anhörung im Bundestag vorgetragen wurden.

Paradoxerweise hatte die FDP die vorherige Regierung mit ähnlichen Vorwürfen malträtiert. Als die Große Koalition im Sommer 2020 den zweiten Corona-Nachtragshaushalt verabschiedete, griff die Opposition sie ­deswegen scharf an. Damals ging es um Rücklagen, die 2015 angelegt und nicht verwendet worden waren. Nun spricht Finanzminister Lindner bei einem analogen Vorgehen von einem »kraftvollen Signal der Handlungsfähigkeit«. In der Pandemie seien zahlreiche Investitionen in die Transformation der Wirtschaft ausgefallen, sagte der Minister kürzlich im Bundestag. »Nicht nur die Menschen benötigen einen Booster, auch die wirtschaftliche Entwicklung.«

Kritik kommt hingegen vom neuen Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Bundestags, Helge Braun (CDU), der den Nachtragsetat gegenüber dem Deutschlandfunk als »nicht seriös« und »völlig gegen den Sinn der Schuldenbremse« bezeichnete. Vor einem Jahr hatte Braun, damals Kanzleramtschef in der Großen Koalition, die Schuldenbremse noch mittels einer Grundgesetzänderung auf Jahre aussetzen wollen.