China setzt im Streit über Taiwan das EU-Mitglied Litauen unter Druck

Das Land, das es nicht geben darf

China setzt das EU-Mitglied Litauen unter Druck, um seinem Anspruch auf Taiwan globale diplomatische Anerkennung zu verschaffen.

Es ist ein unerwarteter Konflikt zwischen ungleichen Gegnern – Litauen gegen China. Alles begann mit der Eröffnung eines Büros in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Das Taiwanese Representative Office ist das erste Büro unter diesem Namen in ganz Europa. Da Taiwan von den meisten Staaten der Welt nicht als unabhängiges Land an­erkannt wird, dürfen sich die diplomatischen Außenstellen der demokratischen Inselrepublik im Ausland aus Rücksicht auf chinesische Befindlichkeiten nicht »Botschaft« oder »Konsulat« nennen. Angelehnt an die Regelung bei den Olympischen Spielen führen Taiwans Büros üblicherweise die Bezeichnung »Taipei Representative Office« (Taipeh-Vertetung), so zum Beispiel in Deutschland.

Die Eröffnung des ersten Büros in Europa unter dem Namen »Taiwan« wird in China, das Taiwan als Teil seines Territoriums betrachtet, mit großer Sorge gesehen. Die Antwort fiel entsprechend scharf aus. Kurz nachdem die Eröffnung der taiwanischen Repräsentanz im August angekündigt worden war, berief die Volksrepublik ihren Botschafter aus Litauen ab und forderte ­Litauen auf, es ihr gleichzutun. Im November stufte China die Beziehungen der beiden Länder dann offiziell herab, die diplomatischen Vertretungen werden nun nur noch von einem chargé d’affaires (Geschäftsträger) geleitet – eine Maßnahme, die für den Kriegsfall oder eine schwere diplomatische Krise üblich ist.

Da Taiwan im Falle einer formalen Unabhängigkeitserklärung eine militärische Annexion droht, hält die große Mehrheit der Bevölkerung am Status quo fest.

Als Folge dieser Herabstufung wurde den litauischen Botschaftsmitarbeitern in Peking Anfang Dezember mitgeteilt, sie müssten dem chinesischen Außenministerium ihre offiziellen Diplomatenpapiere zurückgeben. Neue Papiere sollten bald ausgestellt werden. Aus Sorge um die Sicherheit der Angestellten und ihrer Familien entschied sich die litauische Regierung, ihre verbleibenden Mitarbeiter zu evakuieren. Medienberichten zufolge halfen Diplomaten aus anderen EU-Mitgliedstaaten dabei. Das chinesische Außenministe­rium besteht derweil darauf, dass die Sicherheit ausländischer Diplomaten stets gewährleistet sei.

China hatte im Oktober de facto ein Handelsembargo gegen das baltische Land verhängt. Litauen war offenbar von der Liste der Herkunftsländer in der chinesischen Zolldatenbank gestrichen worden, so dass in China ankommende litauische Waren nicht mehr abgewickelt werden konnten, was einem Einfuhrstopp gleichkam. Auf Nachfrage verwies der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Ende Oktober auf technische Schwierigkeiten. Ein Embargo wollte man offiziell nicht zugeben. Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis verurteilte die »unangekündigten Sanktionen« gegen sein Land und bat die Europäische Kommission offiziell um Hilfe. Erst nachdem der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis angekündigt hatte, prüfen zu lassen, ob Chinas Maßnahmen gegen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstießen, nahm China Litauen wieder in seine Zolldatenbank auf.

Während man in der EU noch um eine gemeinsame Antwort ringt, erhöht China den Druck auf die litauische Regierung. Da weniger als ein Prozent der Exporte Litauens nach China gehen, war ein Importstopp nur wenig wirksam. Anfang Dezember richtete die chinesische Führung ihre Aufmerksamkeit daher auf europäische Konzerne mit litauischen Zulieferern. »In dieser Woche konnten wir erstmals ­direkten chinesischen Druck auf ein Unternehmen beobachten, in Litauen ­hergestellte Waren aufzugeben«, sagte Vidmantas Janulevičius, der Präsident des litauischen Industrieverbands, der Nachrichtenagentur Reuters. »Viele litauische Unternehmen sind Zulieferer für solche Unternehmen«, so Janulevičius. Darunter ist auch der deutsche Autozulieferer Continental.

Die Bundesregierung schweigt bisher zu dem Thema. Die Deutsch-Baltische Handelskammer rief die litauische Regierung dazu auf, eine »kon­struktive Lösung« für den Konflikt mit China zu finden. Zhao Lijian, der für seine scharfen Kommentare bekannte Sprecher des chinesischen Außenministeriums, ließ am 20. Dezember verlauten: »Bestimmte Personen und Kräfte in Litauen, die ohne Rücksicht auf Verluste daran festhalten, mit den Separatisten einer ›taiwanischen Unabhängigkeit‹ gemeinsame Sache zu machen, werden schließlich auf der Müllhalde der Geschichte landen.« Der Vorsitzende der Litauisch-Taiwanischen Freundschaftsgruppe im litauischen Parlament, ­Matas Maldeikis, antwortete auf Twitter, dass die Litauer keine Angst davor hätten, sich Unterdrückern entgegenzustellen: »Wir sind vor 30 Jahren für die ­Demokratie aufgestanden und werden uns nicht wieder hinsetzen.«

Litauens Solidarität mit dem demokratischen Inselstaat vor der Küste Chinas liegt sicherlich auch in der eigenen Geschichte begründet. Zudem sieht das Land sich derzeit ähnlich wie Taiwan mit einem immer aggressiver auftretenden Nachbarn konfrontiert. Der Konflikt mit China ­begann schon im Frühjahr 2021, als Litauen sich aus dem sogenannten 17+1-Block zurückzog, über den die chinesische Regierung versucht hatte, an der EU vorbei Wirtschaftsbeziehungen mit zentral- und osteuro­päischen Staaten auszubauen.

China verlangt, dass sich alle Länder, mit denen es diplomatische Beziehungen aufnimmt, zu seinem »Ein-China-Prinzip« bekennen, also seinen Herrschaftsanspruch über Taiwan anerkennen. Als Antwort auf diese Forderung haben viele Staaten eigene Versionen der Ein-China-Politik erarbeitet. So nehmen etwa die USA Chinas Anspruch auf Taiwan nur »zur Kenntnis«, während die Bundesrepublik die Aussage akzeptiert, dass Taiwan ein Teil Chinas (wenn auch nicht unbedingt der Volksrepublik) sei.

Seit dem Amtsantritt der Präsidentin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) hat China jegliche offizielle Kommunikation mit Taiwan abgebrochen. Tsai hatte es in ihrer ersten Antrittsrede 2016 versäumt, sich zu dem in Hongkong ausgehandelten sogenannten Konsens von 1992 zu bekennen, der als Grundlage für Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße gilt. Über den Konsens gibt es allerdings gar keinen Konsens: Nach taiwanischer Interpretation akzeptierten damals beide Seiten, dass es nur ein China gebe, behielten sich aber verschiedene Auffassungen darüber vor, was das im Detail bedeute. Die Volksrepublik dagegen hat die »verschiedenen Interpretationen« nie offiziell erwähnt. Sogar Teilnehmer der damaligen Verhandlungen sind uneins darüber, ob es im November 1992 wirklich einen solchen Konsens gegeben hat. Zudem war die taiwanische Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt noch nicht demokratisch repräsentiert, erst einen Monat später fanden die ersten freien Parlamentswahlen statt.

Was die Taiwanerinnen und Taiwaner von einer Vereinigung mit der Volks­republik China halten, ist kein Geheimnis. Einer Langzeitumfrage der Chengchi-Nationaluniversität in Taipeh zufolge unterstützen derzeit 25,8 Prozent der Bevölkerung eine baldige Unabhängigkeitserklärung – ein historischer Höchststand. Nur etwa 1,5 Prozent sind für eine sofortige Vereinigung mit dem Festland. Da im Falle einer formalen Unabhängigkeitserklärung eine militärische Annexion durch die Volksrepublik droht, hält die große Mehrheit der Bevölkerung am Status quo fest.

Doch teilen viele die Position, die Präsidentin Tsai Ing-wen 2020 in einem Interview mit der BBC vertrat: »Wir sind bereits ein unabhängiges Land und nennen uns Republik China (Taiwan). Wir haben eine Regierung, wir haben ein Militär und wir haben Wahlen.« In ihrer Rede zum Nationalfeiertag im Oktober 2021 ging sie noch einen Schritt weiter: Die Republik China und die Volksrepublik China seien einander nicht untergeordnet, so Tsai. Sie steht damit ganz in der Tradition ihres politischen Ziehvaters Lee Teng-hui, des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Taiwans, der 1999 erstmals von einer »besonderen Beziehung zwischen zwei Staaten« sprach.

Tsai hat es in den vergangenen Jahren verstanden, Taiwans Unabhängigkeit nicht nur militärisch weiter zu sichern, sondern auch international mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Während China acht diplomatische Verbündete Taiwans abwarb, stärkte Tsai die inoffiziellen Beziehungen zu anderen Ländern. Als die Salomonen 2019 Taiwan die diplomatische Anerkennung entzogen, kommentierte J. Michael Cole, Senior Fellow am kanadischen Macdonald-Laurier Institute, dass die konstruktiven Beziehungen zu bedeutenden Wirtschaftsnationen und Demokratien für Taiwan viel wichtiger seien als die Beziehungen zu den verbliebenen sogenannten diplomatischen Verbündeten.

Es sind die Erfolge Taiwans im Bereich der soft power, die dem Land zu größerer internationaler Aufmerksamkeit verholfen haben. Dazu haben unter anderem die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, anhaltend gute Bewertungen der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Land und die Bedeutung der taiwanischen Halbleiterentwicklung und -produktion für die globale Elektronikindustrie beigetragen. Während der Covid-19-Pandemie hat es Taiwan außerdem geschafft, durch Spenden von Schutzmasken, Schutzkleidung, Beatmungsgeräten und Sauerstoffkonzentratoren Sympathie zu gewinnen.

Diese Spenden zahlten sich aus, viele Staaten auch Zentral- und Osteuropas spendeten Taiwan Impfstoffe, als das Land aus politischen Gründen zeitweise nicht in der Lage war, genug Dosen für seine 23 Millionen Einwohner zu erwerben. Biontech hatte nach Angaben Tsais vom Mai 2021 unter dem Druck Chinas einen bereits mit Taiwan ausgehandelten Vertrag nicht unterzeichnet. Neben der Slowakei, Polen und Tschechien spendete auch Litauen mehr als 250 000 Dosen des Impfstoffs von Astra-Zeneca an Taiwan.