Imprint: Auszug aus dem Roman »Poso Wells«

Poso Wells

Im Viertel Poso Wells stirbt mitten im ecuadorianischen Präsidentschaftswahlkampf der aussichtsreichste Kandidat samt seiner Entourage durch einen gewaltigen Stromschlag. Sein Stellvertreter überlebt zwar, verschwindet aber spurlos. Der Journalist Gonzalo Varas beginnt zu recherchieren. Auszug aus dem Kapitel »Die Kooperative Poso Wells«.
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I. Der Kandidat

Poso Wells taucht auf keinem Stadtplan auf – das wäre auch unmöglich. Als zuletzt jemand eine topografische Karte von Guayaquil erstellt hatte, war diese riesige, dem Flussdelta abgerungene Masse aus Schlamm noch Teil des Stroms. Und Wasser fließt, es lässt sich nicht in Parzellen aufteilen. Doch Poso Wells ist nun einmal hier, dem Willen Vieler zum Trotz, und jeder seiner Bewohner könnte auch genau sagen, wo es liegt: am Ende der Welt, im stinkigsten und verkommensten Loch der tropischen Pazifikküste Amerikas. Kilometerweit Behausungen, aus Brettern, Schilfrohr und Betonsteinen gezimmert, über Abwasser und Faulschlamm. Pfähle aus Mangroven, die im weichen, schlickigen Boden versinken, unsicherer Grund, in dem sich Risse bilden bei jeder Flut und jeder Heckwelle der Schiffe auf ihrem Weg in den Hafen von Guayaquil. Sollte jemand, dem dies nicht ausreicht, weiterfragen – welche Straße entlang, wo abbiegen, vom Stadtring aus nach Norden oder Süden –, dann würde man ihn zum Teufel schicken und dabei leise vor sich hin murmeln, dass, wer auch immer an einem schlechten Tag die Hölle erfunden habe, im Kopf eine genaue Vorstellung von Poso Wells gehabt haben musste. »Na, da ist es doch, verdammt noch mal, im Rachen des Teufels persönlich, hast du’s jetzt kapiert!«

Irgendetwas schleicht durch die Straßen von Poso Wells und greift die Nerven an wie ein ständiges Trommeln. Was auch immer es ist, es durchdringt keuchend die Träume seiner Bewohner, schleckt sie ab mit seinem fauligen Speichel und einem Geruch nach Klärgrube.

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