Obdachlose Menschen im Corona-Winter

Obdachlos im Corona-Winter

Für Obdachlose ist die Pandemie eine besondere Herausforderung. In Berlin sollen sie ohne einen 3G-Nachweis nicht einmal mehr auf Bahnsteigen von U-Bahnhöfen übernachten können.

Noch sieht man sie in Berlin überall: Obdachlose, die in U-Bahnhöfen Zuflucht vor der Kälte suchen. Doch seit Mitte voriger Woche ist dies für viele von ihnen wohl nicht mehr möglich: Die 3G-Regel, der zufolge nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete mit Bahnen und Bussen fahren dürfen, wurde nun auf die Bahnsteige ausgeweitet. »Die neuen Regelungen betreffen vor allem Obdachlose, die die U-Bahnhöfe als Wärmestube benutzen«, kritisiert Heinz Waldow von der Berliner Obdachlosenhilfe im Gespräch mit der Jungle World. Er sieht darin eine gezielte Ausgrenzung obdachloser Menschen. ­Viele, die auf der Straße leben, hätten keine offiziellen Ausweisdokumente, um ihren Impfstatus zu belegen, diese würden oft geklaut oder gingen verloren. Ohne entsprechende Dokumente ist es ihnen jedoch nicht möglich, sich bei offiziellen Stellen testen zu lassen. Die Betroffenen selbst berichteten bislang von Kulanz seitens der Kontrolleure, manchmal hätten sie aber auch Pech und müssten den U-Bahnhof verlassen, so Waldow. Für Menschen ohne Aufenthaltsstatus sei es da schon schwieriger. Viele von ihnen würden nun aus Angst vor Kontrollen öffentliche Verkehrsmittel gänzlich vermeiden.

Die Obdachlosenhilfe befürchtet, dass Obdachlose durch die Kontrollen verstärkt Schikanen durch private Sicherheitsleute ausgesetzt sind.

»Wir sind verpflichtet, die Einhaltung der vom Gesetzgeber festgelegten 3G-Regeln in unseren Fahrzeugen und nun auch auf den Bahnsteigen zu kon­trollieren. Ausnahmen für Menschen ohne Obdach sind in den Gesetzen nicht vorgesehen«, sagt ein Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) der Jungle World. Jedoch werde nicht der gesamte Bahnhofsbereich kontrolliert, sondern nur Fahrzeuge und Bahnsteige.

Die Obdachlosenhilfe befürchtet jedoch, dass Obdachlose durch die Kon­trollen verstärkt Schikanen durch pri­vate Sicherheitsleute ausgesetzt seien. Diese seien für gewaltvolle Übergriffe und Diskriminierung bekannt, heißt es in einem offenen Brief, den unter anderem die Berliner Obdachlosenhilfe an den Berliner Senat und die Bundesregierung richtete. »Durch den 3G-Kon­trolldruck befürchten wir eine Verschärfung der Gesamtsituation«, heißt es darin. Den offenen Brief haben bislang fast 37 000 Menschen unterschrieben. Die BVG versichert, dass bei den 3G-Kontrollen, die sie gemeinsam mit der Polizei täglich auf wechselnden Bahnhöfen durchführe, nur geschultes Sicherheits- und Kontrollpersonal zum Einsatz komme, »das selbstverständlich auch für den Umgang mit vulnerablen Gruppen sensibilisiert« sei.

»Wir wissen, wie problematisch diese Situation für obdachlose Menschen ist. Daher unternehmen wir alles, um Obdachlosen eine Impfung und Testungen zu ermöglichen«, so die Sozialverwaltung zur Jungle World. Man habe das Testangebot speziell für Obdachlose erheblich ausgeweitet, ­damit diese die 3G-Bedingung erfüllen können. So seien im Dezember 62 500 Schnelltests sowie 200 000 FFP2-Masken für die Wohnungslosenhilfe zur Verfügung gestellt worden.

Dennoch verfügen viele Unterkünfte nicht über genug Tests. Allein in der Kältehilfe gibt es derzeit 1 133 Notübernachtungsplätze, von denen nur 200 unbelegt sind. »Wir testen die Stammgäste in unseren Notübernachtungen zweimal pro Woche und Gäste mit Symptomen sowie neue Gäste bei ihrer Ankunft«, sagt Barbara Breuer, Sprecherin der Berliner Stadtmission, dem größten Träger in der Kältehilfe mit 350 Schlafplätzen, der Jungle World. Im Schnitt bräuchten sie dafür am Tag rund 100 Tests. Die 2 500 Tests, die sie vom Senat bekommen hätten, reichen also für die nächsten drei Wochen.

Insbesondere kleinere Einrichtungen der Obdachlosenhilfe haben Probleme, an neue Tests zu gelangen. Diese sind für den Aufenthalt jedoch notwendig. »Es kommt immer wieder zu kurzfristigen Engpässen«, berichtet Ina Zimmermann vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg der Jungle World. Hinzu komme, dass die Schnelltests des Senats nur an Notübernachtungen geliefert würden, für Tagesangebote und Suppenküchen seien die Bezirke zuständig. Und die kümmerten sich unterschiedlich. »Manche Einrichtungen kriegen Tests, andere nicht«, so Zimmermann. Dabei seien Tagesangebote für Obdachlose ohnehin prekär finanziert und viele wegen der Pandemie entweder ganz geschlossen oder nur eingeschränkt nutzbar.

»Die offiziellen Teststellen müssten barriereärmer sein«, findet Ina Zimmermann. Bei den Impfungen klappe das bisher ganz gut. Impfzentren, Impfbusse und Impfstellen bieten auch ohne Krankenversicherung oder Per­sonaldokument Impfungen an. Heinz Waldow von der Berliner Obdachlosenhilfe sieht das ähnlich. »Es wäre toll, wenn mehr Teststellen auch für Menschen ohne Ausweis und Handy zugänglich wären«, sagt er. Ihn ärgert besonders, dass marginalisierte Personengruppen bei der Pandemiebekämpfung häufig vergessen würden. Dabei will Berlin offiziell Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 komplett abschaffen. Die bisherige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (»Die Linke«) hat dazu Anfang September einen Plan vorgelegt, von dem auch im neuen Koalitionsvertrag einige Elemente enthalten sind. Dazu gehört etwa das Prinzip »Housing First«, also die Vermittlung von Wohnraum für Obdachlose ohne Vorbedingung.

Anfang Dezember einigten sich die Sozialministerinnen und -minister ­aller Bundesländer bei nur einer Gegenstimme des CDU-geführten Sozialministeriums Nordrhein-Westfalens auf eine länderübergreifende Strategie zur Beendigung von Obdachlosigkeit bis 2030. Hauptinstrument soll auch hier Housing First sein. Bloß: In Berlin wurden in den drei Jahren, die das Projekt bislang läuft, gerade einmal 79 Wohnungen vermittelt. In einer Stadt, in der nach einer offiziellen Zählung vom vorigen Jahr rund 2 000 Obdachlose leben – Hilfsorganisationen gehen von bis zu 10 000 aus –, ist das äußerst wenig. Hinzu kommen 50 000 Wohnungslose, die zwar irgendwo unterkommen, aber keinen eigenen Mietvertrag haben.

Die Berliner Obdachlosenhilfe fordert daher weitergehende Maßnahmen: »Wohnraum sollte grundsätzlich in öffentlicher Hand sein, Leerstand sollte beschlagnahmt und Obdachlosen zur Verfügung gestellt werden«, meint Waldow. Bis dahin ist es noch ein langer Weg: Erst Anfang Dezember wurde einem der Aktivisten und Aktivistinnen, die im Oktober vergangenen Jahres ein Gebäude mit 95 leerstehenden Wohneinheiten besetzt hatten, um es Obdachlosen zur Verfügung zu stellen, 360 ­Sozialstunden als Auflage erteilt, dafür wurde die Anklage wegen schweren Hausfriedensbruchs eingestellt. Das Gebäude steht immer noch größtenteils leer.