»Little Women« ist in einer deutschen Neuübersetzung erschienen

Feministisches Mädchenbuch

Louisa May Alcotts zuerst 1868 und 1869 erschienener Roman »Little Women« ist ein Klassiker der feministischen Jugendliteratur. Nun ist eine Neuübersetzung der Geschichte über die Schwestern Meg, Jo, Beth und Amy mit zahlreichen ­Illustrationen erschienen.

»›Weihnachten ohne Geschenke ist kein Weihnachten‹, grummelte Jo, die auf dem Teppich lag. ›Es ist so schrecklich, arm zu sein!‹, sagte Meg seufzend und an ihrem alten Kleid herunterblickend.« In den ersten Sätzen des Romans »Little Women« von Louisa May Alcott deutet sich zwar schon ihr von Charles Dickens beeinflusster Sozialrealismus an, aber dieser Einstieg klingt zunächst nicht nach bedeutungsschwangerer Weltliteratur, die allerlei Auslegungskünste zum tieferen Verständnis erfordern würde. Bei »Little Women« handelte sich sogar um ein Auftragswerk: »Eine Mädchengeschichte« wünschte sich der Herausgeber Thomas Niles von Alcott. Und doch war »Little Women«, die Coming-of-Age-Geschichte der Schwestern Meg, Jo, Beth und Amy March, bei der Veröffentlichung des ersten von zwei Bänden 1868 nicht nur kommerziell sofort ein Erfolg, sondern ebenso bei der Kritik. 150 Jahre nach Erscheinen gilt der Roman als kanonisiertes – und in Nordamerika nicht nur als Schullektüre weiterhin vielgelesenes – Werk mindestens der Jugendliteratur.

Zuletzt verfilmte Greta Gerwig 2019 den zweiten Band des Doppelromans, »Good Wives«, der von den March-Schwestern als jungen Erwachsenen handelt, wenngleich Gerwig ihren Film, bereits die siebte Kinoadaption von Alcotts Buch, ebenfalls unter dem Titel »Little Women« herausbrachte. Die deutsche Neuausgabe des Romans, die auch den englischen Originaltitel beibehält, fasst wie üblich beide Teile in einem Buch zusammen und orientiert sich dabei an der ersten zweiteiligen Fassung, die 1869 in Boston erschien. 40 Kilometer entfernt von der Universitätsmetropole liegt der damalige Wohnort von Alcott, die Kleinstadt Concord, Massachusetts, über die der Autor Henry James einmal treffend feststellte, dass sie für die US-amerikanische ­Literaturgeschichte eine vergleichbare Bedeutung habe wie Weimar für die deutsche.

Die Bedürfnisse und Wünsche der vier »kleinen Frauen« im Alter von zwölf bis 17 Jahren wie auch die Bedeutung von Bildung und Unabhängigkeit finden einen energischen, unzeitgemäßen Ausdruck in Alcotts Roman.

Louisa May Alcott wurde als Tochter des mit seinen Schul- und Kommunengründungen oft glücklosen Reformpädagogen Amos Bronson ­Alcott in die dortige Szene des Transzendentalismus um Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau hineingeboren. Als Jugendliche bewunderte sie den 15 Jahre älteren Thoreau mit seinem Naturidealismus und ihre finanziell zumeist klamme Familie wurde, wie Thoreau auch, des ­Öfteren von Emerson unterstützt.

In »Little Women« spiegeln sich die pädagogischen Ideale der Alcotts darin, dass die Mutter Amy, die jüngste der Geschwister, sofort vom Schulunterricht abmeldet, nachdem diese wegen einer Lappalie vom Lehrer gezüchtigt und mit einem Stock auf die Handfläche geschlagen wurde. Ihre schüchterne Schwester Beth erhält, obwohl zwei Jahre älter, zuvor bereits Hausunterricht, da sie zu sensibel für den Schulbetrieb sei. Meg und Jo müssen bereits arbeiten, um zum Auskommen der Familie beizutragen, die eine als Erzieherin der Kinder einer wohlhabenderen Familie, die andere als Haushälterin bei der vermögenden, strengen Tante.

Die Bedürfnisse und Wünsche der vier »kleinen Frauen« im Alter von zwölf bis 17 Jahren wie auch die Bedeutung von Bildung und Unabhängigkeit finden einen energischen, unzeitgemäßen Ausdruck in Alcotts Roman, wenn auch relativiert durch protestantisches Arbeitsethos und bisweilen konservative Geschlechterrollen, die nur von Louisa May ­Alcotts Alter Ego, der 16jährigen burschikosen Jo, deutlich in Frage gestellt werden. Der feministische Impetus des Romans zeigt sich allerdings bereits in der Figurenkonstellation und thematischen Schwerpunktsetzung.

Die englische Autorin Virginia Woolf beschreibt in ihrem einschlägigen Essay »A Room of One’s Own« (»Ein Zimmer für sich allein«, veröffentlicht 1929) unter anderem, dass Frauen in der Literatur bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nur eine ­Nebenrolle einnähmen. Selbst wenn es in Romanen eine weibliche Hauptperson gibt, werde diese vor allem im Verhältnis zu Männern charakterisiert, sogar in Werken von Autorinnen. Allenfalls tauchten ­Dialoge zwischen Frauen mal unter Konkurrentinnen oder im familiären Kontext, etwa bei Mutter und Tochter, auf: »Ich versuchte, mich an einen einzigen Fall zu erinnern, in dem Frauen als Freundinnen in Erscheinung treten.« Woolf nennt das Werk von Jane Austen als eine der wenigen Ausnahmen und fragt sarkastisch, wie es wäre, wenn Männern in Literatur ausschließlich die Funktion eines Liebesobjekts von Frauen zukäme.

Die Ausgangslage von Alcotts Roman bildet dagegen die Abwesenheit von Männern. Der Vater nimmt als Militärpastor auf Seiten der Nordstaaten am Bürgerkrieg teil und der Roman kreist um den Alltag, die Probleme und die Sehnsüchte der vier Schwestern, die unter recht ärmlichen Verhältnissen mit ihrer Mutter und der – mit Kost und Logis vergüteten – Haushaltshilfe Hannah zusammenleben. Im Verlauf der Handlung spielt dann zwar auch die Freundschaft der Teenagerinnen zu Laurie, dem verwaisten Nachbarsjungen, sowie dessen Großvater Mr. Laurence und dem Hauslehrer John Brooke eine größere Rolle, doch im Mittelpunkt steht das alltägliche Leben der March-Frauen.

Ursprünglich war Louisa May ­Alcott nicht begeistert von der Idee ihres Herausgebers, dass sie ein »Mädchenbuch« schreiben sollte. Doch ihr Debütroman »Moods« von 1865, von dem sie sich einen lite­rarischen Durchbruch erhofft hatte, hatte sich nicht gut verkauft, und die Aussicht eines bezahlten Schreibauftrags, mit dem die zu dem Zeitpunkt 36jährige unter anderem ihre Eltern unterstützen könnte, erschien verlockend. In ihrem Tagebuch hielt sie skeptisch fest: »Marmee, Anna und May sind mit meinem Plan einverstanden. Also lege ich los, wenngleich mir dergleichen keine Freude bereitet. Ich habe Mädchen nie ­gemocht und kenne kaum welche, meine Schwestern ausgenommen, aber vielleicht erweisen sich unsere sonderbaren Spiele und Erlebnisse als interessant, selbst wenn ich es bezweifle.«

Dass sie das Einverständnis ihrer Familie einholte, ist nachvollziehbar, da sich der Roman deutlich an Louisa und ihren drei Schwestern orientiert, auch wenn der Handlungsverlauf und die dramatischen Ereignisse um die Familie March sich deutlich von den – nicht weniger bewegten – Erlebnissen der Familie Alcott unterscheiden. Auch nach Abschluss des Schreibprozesses war die Autorin noch zögerlich: »Es liest sich besser, als ich erwartet habe. Nichts Sensationelles, aber einfach und wahr, das meiste haben wir selbst erlebt.«

Tatsächlich sind Alcotts Charakterbeschreibungen der Schwestern, von der wilden Jo, deren größter Wunsch es ist, Schriftstellerin zu werden, bis zur launischen Amy, die ihren kindlichen Egoismus erst noch zu überwinden lernen muss, nicht immer subtil. Und doch entwickelt es beim Lesen einen Sog, gerade die Alltagssorgen der Teenagerinnen und ihre jeweilige Entwicklung über das eine Jahr, das der erste Teil von »Little Women« bis zur Rückkehr des erkrankten Vaters umfasst, aus der Nähe zu beobachten. »Alcott machte das typische Frauenleben literaturwürdig«, fasste die Alcott-Biographin Susan Cheever die radikale Bedeutung des Werks zusammen.

Cheever hat in ihrem Sachbuch »American Bloomsbury« (auf deutsch 2017 bei Insel erschienen) die persönlich eng verbundene Literaturszene Concords dokumentiert. Und da die meisten ausgiebig Tagebuch führten, konnte sie ein recht detailliertes Bild von den Alcotts, von Emerson und Thoreau, von Nathaniel Hawthorne und Margaret Fuller, einer weiteren feministischen Pionierin, nachzeichnen. Die biographischen und die fiktionalen Elemente in Alcotts Roman lassen sich dadurch gut erkennen.

Im Unterschied zur Romanhandlung war es nicht Alcotts Vater, sondern sie selbst, die während des amerikanischen Bürgerkriegs 1862 freiwillig nach Washington, D.C., ging, um sich als Lazarettschwester für das Ende der Sklaverei und den Kriegserfolg des Nordens einzusetzen. Sie infizierte sich mit Typhus, und bei der Behandlung wurden gemäß dem Stand der damaligen Me­dizin Mittel eingesetzt, die bei Alcott zu einer Quecksilbervergiftung und einer Abhängigkeit von Opiaten führten, an denen sie ihr gesamtes wei­teres Leben litt.

Der Erfolg von »Little Women« brachte ihr wenige Jahre später immerhin einigen Wohlstand und finanzielle Unabhängigkeit ein. Neben Hawthornes »Der scharlachrote Buchstabe« und Thoreaus »Walden« ist Alcotts Roman über die March-Schwestern bis heute das bekannteste und wohl bedeutendste Werk der Clique von Dichterinnen und Denkern aus Concord geblieben. Erfreulicherweise hat sich der für die schmucklosen Heftchen seiner Universal-Bibliothek berühmte Reclam-Verlag bei der Neuausgabe des Klassikers um eine schöne Ausstattung bemüht, von der Auswahl des Papiers – es fühlt sich schlichtweg gut an beim Umblättern! – bis zu den zeitlosen Illustrationen von Kera Till, die den Text verzieren.

Louisa May Alcott: Little Women – Beth und ihre Schwestern. Aus dem Englischen von Monika Baark, illustriert von Kera Till. Reclam, Ditzingen 2021, 592 Seiten, 36 Euro