Viele Fußballfans hadern mit den Coronaregeln

Zwischen Gesundheit und Stimmung

In der vierten Welle der Covid-19-Pandemie sind Politik und Sport nicht unbedingt klüger geworden. Manche Ultra-Gruppen sehen die Coronaregeln eher als Problem denn als Lösung.

Beim Hauptstadtderby zwischen dem 1. FC Union Berlin und Hertha BSC am 20. November wurde wieder einmal deutlich, dass Massenveranstaltungen in einer Pandemie selbst unter strengen Auflagen keine gute Idee sind. Ein Großteil der Zuschauer hielt sich weder an Abstandsregeln noch an die Aufforderung, außerhalb des Stadions eine Operations- oder FFP2-Maske zu tragen. An den Einlässen stauten sich die Menschen, dem Tagesspiegel zufolge meist ohne Maske.

Zuvor hatte der Berliner Innen­senator Andreas Geisel (SPD) mitgeteilt, es sei zu rechtfertigen, das Spiel mit 22 000 Zuschauerinnen und Zuschauern als 2G-Veranstaltung zuzulassen, »weil es sehr strenge Regeln sind«. Trotzdem sah er sich dazu ­genötigt, die beiden Vereine darum zu bitten, zusätzliche Vorkehrungen zu treffen: »Es ist eine deutliche Empfehlung der Clubs, Maske zu tragen, vorsichtig zu sein und sich auch zu testen«, sagte Geisel dem RBB.

Während der Amateursport größtenteils nicht stattfinden darf, können »professionelle Teamsportarten« wie der Profifußball zumindest den Trainings- und Spielbetrieb aufrechterhalten.

Auch in den unteren Ligen appellierten die Verantwortlichen oft vergeblich an die Zuschauer, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und sich der derzeitigen Infektions­lage entsprechend zu verhalten. Beim Drittligaspiel zwischen dem Halleschen FC (HFC) und der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund war im Stadion für alle Zuschauer vorgeschrieben, einen Mundschutz zu tragen, auch auf Steh- und Sitzplätzen. Im Block der HFC-Anhängerschaft befolgte kaum jemand diese Regel, was der Sportdirektor Ralf Minge in der Halbzeitpause im Interview mit dem MDR mit einem Schulterzucken quittierte.

Die zu Beginn der Pandemie gern zur Schau gestellte Demut des Profifußballs und seiner Anhänger ist längst passé. Zuschauer stellen ihre persönliche Bedürfnisbefriedigung über die kollektive Verantwortung. Die Fußballvereine sind letztlich ­Unternehmen, denen trotz staatlicher Unterstützung so langsam das Geld ausgeht. Seit Monaten versucht der 1. FC Union Berlin, die Auslastung seines Stadions zu erhöhen. Wie es sich gehört: Ganz demütig, vor dem Verwaltungsgericht, mittels Eilan­trägen. Selbstverständlich sollten die Spiele nicht unter der strengeren 2G-, sondern unter der 3G-Regel stattfinden. Damit scheiterte der Verein jedoch.

Der Berliner Senat verabschiedete eigens für das Derby eine Regel­änderung, die Geisel, einem bekennenden Fan von Union Berlin, ­bestens gefallen haben dürfte, aber nicht von langer Dauer sein wird. Ob zum Heimspiel Anfang Dezember gegen Rasenballsport Leipzig Zuschauer in der Alten Försterei zugelassen werden und wenn ja, wie ­viele, ist noch völlig unklar. Aufgrund des derzeitigen Infektionsgeschehens wurden in Sachsen schon Ende November neue Regelungen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen, wonach – mit wenigen Ausnahmen – sämtliche Einrichtungen und Anlagen des Sportbetriebs geschlossen wurden. Dazu gehören Sporthallen, Sportplätze, Fitnessstudios und andere Indoor-Sportangebote. Auch Schwimm­hallen sind bis zum 12. Dezember nicht mehr nutzbar.

Ausnahmen gelten für den Schulsport und den Vereinssport von Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr, Sport im Rahmen des Dienstsports, Schwimmkurse, Leistungssportler der Bundes- und Landeskader, Reha-Sport und ­»lizenzierte Profis«. Weiter trainieren dürfen Berufssportler und Nachwuchssportler in Nachwuchsleistungszentren »der professionellen Teamsportarten«. Während also der Amateursport größtenteils nicht stattfinden darf, können »professionelle Teamsportarten« wie der Profifußball zumindest den Trainings- und Spielbetrieb aufrechterhalten.

Die einzige Einschränkung in diesem Bereich betrifft Zuschauer. Der Bundesligist Rasenballsport Leipzig ist der einzige Verein in der Bundes­liga, der wieder sogenannte Geisterspiele veranstalten muss. Die Vereinsführung zeigte zwar Verständnis für die Maßnahmen, kritisierte aber die politischen Zustände, die dazu geführt haben. »Die höchste Infektionsrate aller Bundesländer einhergehend mit der niedrigsten Impfquote ist ein Beleg dafür, dass die Politik es in Sachsen bislang nicht geschafft hat, tragfähige Konzepte umzusetzen, um die Pandemie wirksam einzudämmen«, konstatierte der Verein in einer Pressemitteilung. Leidtragende seien neben »den vielen hart arbeitenden Menschen in Pflegeberufen und Arztpraxen, Kliniken, Krankenhäusern und Gesundheitsämtern« eben auch die Veranstalter, zu denen sich Rasenballsport zählt.

Im benachbarten Magdeburg will sich die Fanszene des heimischen Drittligisten vorerst in Zurückhaltung üben. »Leider müssen wir nun aber feststellen, dass die neuesten Bestrebungen in Sachsen-Anhalt zur Eindämmung der Pandemie eine organisierte Stimmung nicht mehr zulassen werden«, teilte die Fanvereinigung »Block U« stellvertretend für die Ultras mit. Gleichzeitig will sie »den intern immer lauter werdenden Stimmen ein Gehör schenken, welche Fußballspiele als Massenveranstaltungen unter den aktuellen Begebenheiten als unpassend empfinden«. Man wolle sich bemühen, »irgendwie den Spagat zwischen Gesundheit, Stimmung, politischen Rahmenbedingungen und moralischer Verantwortung hinzubekommen«. Jeder einzelne Fan solle »für sich entscheiden, ob er einen Stadionbesuch für sich verantworten kann, ob er sich an die vorgeschriebenen Hygiene­bestimmungen hält und ob er Stimmung im Stadion machen möchte«, endet der Text.

Das ist letztlich eine Kapitulation vor den Meinungsverschiedenheiten in der Magdeburger Ultraszene. Aber die Magdeburger gehen immerhin offen mit dieser auch für sie komplizierten Situation um, während viele andere Fanszenen 2G-Regelungen pauschal ablehnen, weil sie einen »grundlegenden Ausschluss bestimmter Personengruppen« bedeuteten, wie es die Saalefront-Ultras formulieren.

Fangruppierungen in der Münchner Südkurve haben nur einen Monat nach ihrer Rückkehr in das Stadion Ende November ihren neuerlichen Rückzug erklärt. Als Grund gab der Zusammenschluss »die sich zuspitzende Coronasituation und die damit einhergehenden Maßnahmen« an. Dass die Versuche, die Pandemie  aufzuhalten, in der deutschen Ultra­szene als das Problem, nicht als die Lösung wahrgenommen werden, ist kaum verwunderlich. Die Skepsis gegenüber Behörden ist groß. Das führt so weit, dass die Dortmunder Ultragruppe The Unity in einer Stellungnahme raunt, dass »die Beschränkung auf 50 Prozent der Stehplätze« aus ihrer Sicht »inzwischen mehr symbolpolitische als pandemische Aspekte« habe. In Dresden drohen die Ultras in ihrer Erklärung, ihr Rückzug aus dem Stadion bedeute keineswegs, »dass wir die nächsten Wochen zu Hause auf der Couch herumliegen werden«. Schließlich steht im Leitbild der SG Dynamo Dresden: »Unser Auftritt ist geschlossen – auf dem Rasen, auf den Rängen, überall und zu jeder Zeit!«