Der Weltmeisterschaftskampf im Schach

Unter Freunden

Zweiter Teil der Reihe zum Weltmeisterschaftskampf im Schach zwischen Magnus Carlsen und Ian Nepomnjaschtschij.

»Once you sit at the board, you have no friends«, antwortete Ian Nepomnjaschtschij, der Herausforderer von Magnus Carlsen um den Weltmeistertitel im Schach, bei der Pressekonferenz zur Eröffnung auf die Frage eines Journalisten, ob seine Freundschaft mit dem amtierenden Champion das Match beeinflussen werde. Nachdem die ersten drei von 14 Partien in hart umkämpften Remisen endeten, kann die Aussage des Russen ­etwas relativiert werden: Sobald die Kontrahenten sich die Hand zum Unentschieden reichten, begannen sie stets mit einer ­lebhaften Diskussion des beendeten Spiels. Das ist ungewöhnlich, denn Weltmeisterschaften sind sonst von allerlei Geheimniskrämerei geprägt.

Obwohl Carlsen und Nepomnjaschtschij sich hüten, Details zu verraten, zum Beispiel die Mitglieder ihrer Teams, scheinen sie so viel freundschaftlichen Respekt füreinander zu hegen, dass sie ihre Gedanken zu den Partien miteinander teilen möchten. Auch wenn bislang niemand eine Partie für sich entscheiden konnte und das Match dadurch auf den ersten Blick den vorigen beiden Weltmeisterschaften zu ähneln scheint, ist der Wettkampf bislang alles andere als langweilig.

Die Kontrahenten gehen große Risiken ein. Vor allem die zweite Partie war von starken Ungleichgewichten auf dem Brett geprägt. Carlsen mit den weißen Figuren verlor die Qualität, als er gezwungen war, einen Turm gegen einen Läufer Nepomnjaschtschijs zu tauschen. Dieser konnte den entstandenen ­Vorteil aber nicht nutzen, spielte etwas ungenau und musste daraufhin seinen materiellen Vorteil aufgeben, um den phan­tastischen Springer Carlsens vom Brett zu nehmen. Überhaupt legt der Norweger – insbesondere in der Eröffnungsphase – mehr Wert auf die Aktivität seiner Figuren als auf Material: In den ersten beiden Partien opferte er jeweils einen Bauern für eine schnelle Entwicklung und eine aktivere Stellung.

Nepomnjaschtschij hat große Probleme, seine spielerischen Stärken zur Geltung zu bringen, da er normalerweise selbst am liebsten mit der Initiative spielt. Der niederländische Großmeister Anish Giri kommentierte das so: »Magnus is able to make top players play mediocre chess.« Doch was bisher von Nepomnjaschtschij zu sehen war, ist alles andere als mittel­mäßig und definitiv auf Weltmeisterschaftsniveau. Dennoch bestimmt Carlsen das Spielgeschehen und erreicht immer ­wieder Positionen, in denen der Herausforderer keine taktischen Finessen finden kann, wie er sie im Kandidatenturnier zeigte. Die subtile Dominanz des amtierenden Weltmeisters erwächst auch aus seiner besseren Vorbereitung: Die Eröffnungen führte er in seltene Nebenvarianten, die er anscheinend einen bis zwei Züge tiefer analysiert hatte als sein Kontrahent.

Auch abseits des Bretts gibt es Erfreuliches von den beiden Spielern zu berichten. Als ein Journalist sie bei einer Presse­konferenz fragte, ob sie sich vorstellen könnten, dass eine Frau eines Tages um den Weltmeistertitel spielen könnte, verwiesen beide vorrangig auf kulturelle Gründe für die Unterrepräsentation von Frauen an der Weltspitze. Diese Haltung ist im Schach keineswegs selbstverständlich. Der derzeitige Vizepräsident des Weltverbands Fide, Großmeister Nigel Short, schrieb 2015 in ­einem kontroversen Artikel für das Magazin New In Chess: »Men and women’s brains are hardwired very differently«. 2022 ruft die Fide als Jahr des Frauenschachs aus, mit einer Frauenweltmeisterschaft – gesponsert von einem Unternehmen, das Brustvergrößerungen anbietet.