Die Klima- und Umweltbilanz der rechten brasilianischen Regierung ist katastrophal

Grüner roden

Brasilien versuchte sich auf der Klimakonferenz in Glasgow als grünes Vorreiterland zu präsentieren. Die Umwelt- und Klimabilanz der Regierung Bolsonaro ist allerdings katastrophal.

»Die grüne Zukunft hat in Brasilien bereits begonnen«, behauptete der brasi­lianische Umweltminister Joaquim Leite in seiner Rede auf der Plenarsitzung der Klimakonferenz in Glasgow (COP26). Brasilien als »Schlüsselfigur« (Leite) der Verhandlungen habe sich ehrgeizige Ziele gesteckt: Halbierung der Emissionen bis 2030, Klimaneutralität bis 2050, enorme Drosselung der Methanemissionen und Unterbindung der illegalen Rodungen bis 2028. Bereits jetzt, so Leite, sei Brasilien ein Vorbild für eine gute Klimapolitik: Unter anderem ­beziehe das Land 84 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen und in den vergangenen Wochen habe die brasilianische Bundesregierung die Ausgaben für ihre Umweltbehörden verdoppelt. Geradezu hektisch – eine Woche vor Beginn der COP – hatte die brasilianische Regierung ihr »Nationales Programm für Grünes Wachstum« entwickelt. Es soll Wirtschaftswachstum mit Klima- und Umweltschutz »harmonisieren« – wie das konkret aussehen soll, ist unklar.

Nach Angaben des Observatório do Clima ist die Entwaldungsrate in Brasilien seit dem Amtsantritt Bolsonaros deutlich angestiegen.

Doch anders als Leite glauben machen möchte, sieht die bisherige Umwelt- und Klimabilanz der Regierung des Präsidenten Jair Bolsonaro katastrophal aus. Nach Angaben des Observatório do Clima, eines klimapolitischen Bündnisses von 70 brasilianischen NGOs und Forschungseinrichtungen, hat seit dem Amtsantritt Bolsonaros am 1. Januar 2019 die Entwaldung in Brasilien deutlich zugenommen. Dieses Jahr würden dem Bündnis zufolge wieder über 10 000 Quadratkilometer entwaldet, das bedeutet, dass von 2019 bis 2021 eine Fläche der Größe Belgiens in Amazonien entwaldet wurde. Vor allem deshalb seien die Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr um 9,5 Prozent angestiegen – in den meisten Ländern waren sie wegen der Pandemie hingegen zurückgegangen. Leite ist erst seit dem 23. Juni im Amt. Gegen seinen Vorgänger, Ricardo Salles, ermittelt die Bundesstaatsanwaltschaft, weil dieser sich mutmaßlich mit Holzunternehmen abgesprochen hatte, um diese vor Strafzahlungen wegen illegalen Holzeinschlags zu schützen, und selbst in den illegalen Holzexport involviert sein soll. »Die Regierung Bolsonaro ist eine wandelnde Lüge«, kommentiert Iremar Ferreira von der im Amazonasgebiet tätigen brasilianischen NGO Instituto Madeira Vivo im Gespräch mit der Jungle World.

Das Observátorio do Clima unterhält auch die Initiative »Fakebook«, die sich der Entkräftung von in sozialen Medien kursierenden Falschinformtionen zum Klimawandel widmet. Es unterzog die Rede des Umweltministers einem Faktencheck. So bedeuteten die »ehrgeizigen Ziele«, die Leite verkündet hatte, lediglich ein Ende der Rückschritte in der brasilianischen Klimapolitik seit 2015. Auch die Verdoppelung der Ausgaben für Umweltbehörden in den vergangenen Wochen sehen eher mager aus, wenn man bedenkt, wie stark die Mittel dieser Behörden seit Bolsonaros Regierungsantritt zuvor gekürzt worden waren.

Die Unterfinanzierung der Umweltbehörde Ibama unter Bolsonaro hatte den starken Anstieg von illegalen Rodungen und Gewalt gegen Umweltschützer und indigene Gemeinden in Amazonien mitverursacht. Nach An­gaben der NGO Global Witness wurden im vergangenen Jahr 20 Menschenrechtler und Umweltschützer im Zusammenhang mit Landkonflikten ermordet. Seit 2019 ist Zahl und Härte der Konflikte mit Holzfällern und Goldschürfern enorm gewachsen, die – angespornt von entsprechenden Aussagen des Präsidenten – illegal in indigene Territorien eingedrungen waren.

Um auf diese Probleme hinzuweisen, haben die Organisationen brasilianischer Indigene ihre bislang größte Delegation für eine Klimakonferenz nach Glasgow geschickt. »Wenn es keinen Schutz für indigene Rechte und Territorien gibt, kann die Klimakrise nicht gelöst werden, denn wir sind Teil dieser Lösung«, sagte Sônia Guajajara der Nachrichtenagentur Reuters. Sie ist Vorsitzende der Interessenvertretung Brasilianischer Indigener (APIB) und war bei den Präsidentschaftswahlen 2018 für die sozialistische Partei PSOL als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin angetreten.

Die Wissenschaft gibt Guajajara recht. Zahlreiche Studien – unter anderem des renommierten Woodwell ­Climate Research Center aus den USA – zeigen, dass der Verlust von Biodiversität und Waldfläche in indigenen Territorien in Brasilien und anderen Ländern bedeutend niedriger ausfällt als in den staatlich kontrollierten Naturschutzgebieten.

Dennoch ist eine gewisse Abkehr der brasilianischen Regierung vom bisherigen Kurs des als Klimawandelskeptikers bekannten Bolsonaro nicht von der Hand zu weisen. Dies ist wohl nicht zuletzt auf die wachsenden Sorgen der wichtigsten Lobby der Regierung zurückzuführen: der Agrarindustrie. Diese spürt immer mehr die Auswirkungen von Rodungen und Klimawandel. Denn der Amazonas-Regenwald spielt eine bedeutende Rolle für die Wasserzirkulation des Subkontinents und die Zerstörung des Waldes macht sich mit immer schwereren Dürren bemerkbar. So kam es im Oktober in mehreren Städten der Bundesstaaten São Paulo und Minas Gerais zu Sandstürmen, die in diesen Gebieten bislang unbekannt waren. In den vergangenen Jahren musste immer wieder Trinkwasser in den größten Städten des Landes rationiert werden. Die Brasilianische Nationale Versorgungsgesellschaft (CONAB), die dem Landwirtschaftsministerium untergeordnet ist, prognostiziert wegen der Dürren für dieses Jahr einen Rückgang der Produktion um 1,2 Prozent – obwohl die Anbaufläche in Brasilien um vier Prozent gewachsen ist.

Die Dürren beeinträchtigen auch die Stromversorgung aus erneuerbaren Energien, derer Leite sich so gerühmt hat. Brasiliens Elektrizität stammt nämlich zu 63,8 Prozent aus Wasserkraftwerken. Viele davon sind große Anlagen mit einer katastrophalen Sozial- und Umweltbilanz – etwa wegen der Umsiedlung der ansässigen Bevölkerung, der Entwaldung für den Bau und der Methanbildung im Tiefenwasser der Stauseen –, sie sind zudem anfällig für die Folgen des Klimawandels. So wird das zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt, der Itaipú-Staudamm an der Grenze zu Paraguay, wegen Wassermangels dieses Jahr wohl nur 35 Prozent der Strommenge von 2016 produzieren.