Ein Gespräch mit derWirtschaftswissenschaftlerin Laima Eicke über die politische Ökonomie der internationalen Klimapolitik

»Entwicklungsländer werden viel zu wenig unterstützt«

Vielen Entwicklungsländern fehlt es beim Klimaschutz an technischen und finanziellen Voraussetzungen. Sollten Industriestaaten Klima- und Handelspolitik verknüpfen, könnten die ökonomischen Gegensätze zwischen den Ländergruppen sich verschärfen.
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Sie befassen sich mit internationalen Ungleichheiten bei der Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energieträger. Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel wären Investitionen in erneuerbare Energien. 80 Prozent dieser Investitionen gehen nach Europa, Nordamerika, China und Indien.

Welche Risiken gehen mit solchen Ungleichheiten einher?

Wenn die Umstellung auf erneuerbare Energieträger international sehr ungleich verläuft, besteht das Risiko, dass es zu Konflikten zwischen Ländern und Regionen kommt. Ein weiteres Risiko ist, dass Länder, in denen die Umstellung deutlich langsamer erfolgt als in Ländern, die in dieser Hinsicht vergleichsweise schnell vorgehen, unattraktiver für Investoren werden und an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Dadurch könnte die Umstellung auf erneuerbare Energieträger in diesen Ländern weiter verlangsamt werden. Auch durch verpasste Chancen könnten ihnen Nachteile entstehen. Die Umstellung auf erneuerbare Energieträger birgt zum Beispiel die Chance, die Lebensqualität in einem Land zu erhöhen, weil sie die Luftverschmutzung verringert, die bei der Energieerzeugung aus fossilen Quellen entsteht.

»Viele Entwicklungsländer haben genau ausbuchstabiert, welche Klimaziele sie nur mit finanzieller und technischer Unterstützung erreichen können.«

Haben sich die Gegensätze zwischen diesen Ländergruppen in der Coronakrise verschärft?

Ja, das war der Fall.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

In vielen Ländern gab es durch Lockdowns und die Unterbrechung von Lieferketten weniger wirtschaftliche Aktivität. Das führte zu einer geringeren Energienachfrage. In Deutschland, wo der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der im Inland erzeugten Strommenge bereits in den Jahren vor der Krise stark gewachsen war, hatte die gesunkene Nachfrage aufgrund des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien zur Folge, dass dieser Anteil voriges Jahr wuchs. Manche Länder, in deren politischer Ökonomie fossile Energieträger eine wichtigere Stellung einnehmen, etwa Argentinien, reagierten auf die Krise, indem sie Subventionen für fossile Energieträger erhöhten.

Welche Probleme gibt es beim Klimaschutz in Entwicklungsländern?

Vielen Ländern fehlt es an finanziellen und technischen Voraussetzungen für den Klimaschutz. Deshalb haben viele dieser Länder nach der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens von 2015 genau ausbuchstabiert, was sie ohne fremde Hilfe zum Klimaschutz beitragen können und welche Ziele sie nur mit finanzieller sowie technischer Unterstützung erreichen können. Sie werden allerdings noch immer viel zu wenig unterstützt. Das ist auch ein Gerechtigkeitsproblem.

Industrieländer hatten sich 2009 verpflichtet, ab 2020 für fünf Jahre 100 Milliarden US-Dollar jährlich aus privaten und öffentlichen Quellen für Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern bereitzustellen. Einem kürzlich von Kanada und Deutschland vorgelegten Plan zufolge wird das allerdings erst ab 2023 der Fall sein.

Da gibt es leider noch immer eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das sorgt international für Konflikte, und es gibt keinen Mechanismus, der greifen könnte, wenn die Industrieländer sich nicht an das Vereinbarte halten.

Einem kürzlich veröffentlichten UN-Bericht zufolge erleiden Entwicklungsländer durch den Klimawandel gemessen am Bruttoinlandsprodukt bereits jetzt dreimal so große ökonomische Verluste wie wohlhabende Länder. Zudem steigen die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel in diesen Ländern beträchtlich.

Wird das ausreichend berücksichtigt?

Das haben viele Industriestaaten bei den internationalen Verhandlungen bislang ausgeklammert. Ich bin gespannt, ob es auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow in dieser Hinsicht Bewegung geben wird.

Wenn Staaten oder Staatenverbände Klima- und Handelspolitik verknüpfen, könnte das Ihnen zufolge internationale Ungleichheiten weiter verschärfen. Ein Beispiel wäre die CO2-Grenzausgleichsteuer. Die EU erwägt, im Rahmen ihres »Green Deal« eine solche Steuer einzuführen. Wie würde diese funktionieren?

Eine solche Steuer würde vermutlich zunächst nur auf besonders CO2- intensive Güter erhoben, etwa auf Zement, Stahl und Aluminium. Bei der Einfuhr in die EU würde auf diese Güter für den Verkauf in der EU ein CO2-Preis aufgeschlagen. In der EU unterliegen die Zement-, Stahl- und Aluminiumindustrie im Rahmen des Emissionsrechtehandels einem CO2-Preis, in vielen Ländern außerhalb der EU ist das nicht der Fall. Die Steuer soll verhindern, dass diese Branchen aus der EU in solche Länder abwandern, anstatt in der EU zu bleiben und ihren CO2-Ausstoß zu senken. Zudem soll sie außerhalb der EU tätigen Unternehmen dieser Branchen einen Anreiz geben, ebenfalls ihre CO2-Emissionen zu verringern.

Welche Risiken könnten mit der Einführung einer solchen Steuer einhergehen?

Die Steuer würde Entwicklungsländer, deren Wirtschaft stark auf den betreffenden Branchen beruht und die viel in die EU exportieren, besonders hart treffen. Damit diese Länder durch die Steuer nicht weiter wirtschaftlich abgehängt würden, müssten sie finanzielle und technische Unterstützung erhalten, um den CO2-Ausstoß in den betreffenden Branchen senken zu können. In der Stahlproduktion zum Beispiel kann der CO2-Ausstoß stark verringert werden, wenn mit erneuerbaren Energieträgern hergestellter Wasserstoff statt Kohle eingesetzt wird. Diese Technologie ist allerdings noch kaum verbreitet und wird bislang größtenteils in EU-Staaten sowie anderen Industrieländern erprobt.

Sie haben unter anderem untersucht, wie die Einführung einer CO2-Grenzausgleichsteuer sich in Mosambik auswirken würde.

Die mosambikanische Wirtschaft hat eine deutlich geringere CO2-Intensität (CO2-Ausstoß im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, Anm. d. Red.) als die der EU-Mitgliedsstaaten. Allerdings entfallen 26 Prozent der Exporte des Landes auf emissionsintensive Branchen; deren Produkte machen neben Rohrohrzucker den Großteil der Exporte in die EU aus. 30 Prozent der Exporte aus Mosambik gehen in die EU, das entspricht elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Einführung einer solchen Steuer könnte für das Land also mit großen wirtschaftlichen Risiken einhergehen.

Gab es bei der Konferenz in Glasgow bislang Anzeichen dafür, dass entwickelte Länder die Umstellung auf erneuerbare Energieträger in Entwicklungsländern stärker vorantreiben wollen?

Am Donnerstag voriger Woche haben 20 Staaten, darunter die USA und Großbritannien, sowie mehrere Entwicklungsbanken eine Erklärung unterzeichnet, der zufolge sie bis Ende 2022 aus der Finanzierung der Energieerzeugung mit Kohle, Erdöl und Erdgas im Ausland aussteigen werden. China, das viele Kohlekraftwerke in Afrika finanziert hat, hatte bereits vor der Konferenz mitgeteilt, man werde künftig keine Kohlekraftwerke mehr im Ausland bauen. Das sind wichtige Signale.