Diplomatische Krise zwischen der französischen und der algerischen Regierung

Kein Raum für Überflieger

Zwischen der französischen und der algerischen Regierung eskaliert eine diplomatische Krise.

Die Krisen kommen und gehen, die Botschafter auch. Inzwischen ist der französische Botschafter, der wegen der U-Boot-Krise aus Washington, D.C., »für Beratungen« abgezogen wurde, dorthin zurückgekehrt. Am Samstag ereilte nun ein Rückruf den Botschafter Algeriens in Paris, Mohamed Antar-Daoud, nachdem am Mittwoch zuvor der französische Botschafter in Algier, François Gouyette, zum dortigen Außenministerium einbestellt und ihm eine Protestnote der algerischen Regierung überreicht worden war.

Inzwischen eskalierte der politische Konflikt weiter. Am Sonntag berichtete die französische Tageszeitung Le Figaro, Algerien habe französischen Militärflugzeugen den Flug über sein Territorium verboten. Diese Sperrung des algerischen Luftraums hat vor allem zur Folge, dass die französische Armee ihre Kampfflugzeuge für die Operation Barkhane gegen Jihadisten in der ­Sahel-Zone nicht mehr auf direktem Weg über Marseille und Algier fliegen lassen kann. Im Laufe des Tages bestätigte der französische Oberst Pascal Ianni die Information aus dem Figaro. Er fügte allerdings hinzu, bislang habe Algerien den französischen Generalstab nicht offiziell über die Entscheidung benachrichtigt; ferner würde sie den Anflug in die Sahel-Zone nur geringfügig beeinträchtigen.

Auch wenn viele der bisherigen Ankündigungen eher in den Bereich der Symbolpolitik zu gehören scheinen, sind die Motive für die diplomatische Krise vielschichtig. Erste größere Spannungen im Verhältnis zwischen Frankreich und Algerien tauchten auf, als im Juli ein internationaler Medienverbund über den sogenannten Pegasus-Skandal berichtete. Demnach benutzten rund 40 Staaten ein von einer israelischen Firma entwickeltes Abhörprogramm, unter anderem gegen missliebige Anwälte und Journalistinnen. Kurz darauf behauptete die Washington Post, auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sei abgehört worden. In Frankreich brachten die Abendzeitung Le Monde und die Internet­zeitung Mediapart die Abhöraktionen mit Interessen des marokkanischen Regimes in Verbindung. Marokkos offizielle Stellen dementierten und erstatteten Strafanzeige wegen Verleumdung in Frankreich; bislang hat die Justiz darauf nicht reagiert.

Auch algerische Stellen waren den Berichten zufolge abgehört worden. Algerien brachte seinen traditionellen regionalpolitischen Rivalen Marokko damit in Verbindung und reagierte mit einer Einstellung des Grenzverkehrs, später auch mit Flugverboten, die im September verhängt wurden. Zudem beschwerten sich die Regierenden in Algier, dass die offizielle französische Reaktion auf das Abhören erheblich zu schwach ausfalle.

Am 28. September sagte der französische Innenminister, die Zahl der erteilten Visa für Staatsangehörige der drei Maghreb-Länder Marokko, Algerien und Tunesien werde ab sofort um die Hälfte reduziert. Sein Ministerium legte offizielle Zahlen vor, denen zufolge bislang durchschnittlich 70 Prozent der Visa-Anträge einen positiven Bescheid erhalten hätten. Doch wurde es in Algerien seit zwei Jahren immer schwieriger, ein französisches Visum zu erhalten. Mittlerweile schalten die französischen Konsulate in algerischen Großstädten private Subunternehmen vor, die Termine erteilen, die Anträge sammeln, ihre Vollständigkeit prüfen und sie dann an die zuständigen Stellen weiterleiten – ein vorgeschalteter Filter.

Begründet wurde die Regierungsmaßnahme mit der aus Sicht des Innenministeriums zu geringen Anzahl von Rückführungen illegal eingereister Staatsbürger der nordafrikanischen Länder. Trägt eine betroffene Person keinen Reisepass bei sich, wenn sie bei einer Kontrolle aufgegriffen wird, dann benötigt die zuständige französische Behörde für die Ausführung der Abschiebung einen konsularischen »Passierschein« als Reiseersatzdokument. Die Pariser Regierung wirft den Konsulaten der drei Länder vor, solche Ersatzdokumente zu selten auszustellen; im algerischen Fall liege der Anteil der genehmigten Anträge auf ein solches Dokument angeblich unter einem Prozent.

Zudem wurden Äußerungen Macrons bei einem Auftritt vor Jugendlichen bekannt, unter anderem Nachfahren von Harkis, früheren einheimischen Kämpfern in Frankreichs Kolonialarmee in Algerien. Dort hatte er behauptet, Algerien sei vor der kolonialen Eroberung 1830 keine Nation gewesen, eine Aussage, die traditionell die Kolonialnostalgiker als Argument dafür anführen, warum die Unabhängigkeitsforderung illegitim gewesen sei. Ferner fügte Macron Le Monde zufolge hinzu, das »politisch-militärische System« in Algerien habe sich auf einer »Erinnerungsrente« errichtet, also legitimiere sich durch die angebliche Rolle seiner Entscheidungsträger im antikolonialen Krieg von 1954 bis 1962. Kritik an diesem Legitimationsmodus des Regimes gibt es in Algerien schon seit langem. Doch vom höchsten Repräsentanten der ehemaligen Kolonialmacht kommend, kann sie nur zu Empörung auf algerischer Seite führen. Am Dienstagmorgen sagte Macron, er wünsche eine Beruhigung der Debatten über die Erinnerungspolitik.