Das Nanomaterial Graphen könnte die Elektromobilität revolutionieren

Fortschritt in die zweite Dimension

Das Nanomaterial Graphen könnte unter anderem die Elektromobilität revolutionieren. Die Herstellung dieser besonderen Kohlenstoffform ist allerdings noch sehr teuer.

Supermaterial, Wunder, Revolution – wenn es um die Potentiale des erst seit 2004 herstellbaren Stoffs Graphen geht, sind überschwengliche Begriffe schnell zur Hand. Einen Durchbruch in der Batterietechnologie habe es gegeben, teilte auch das australische Unternehmen Graphene Manufacturing Group (GMG) mit, als es im August seine neue Akku-Technologie vorstellte. Sie könnte ein Hauptproblem von Elektroautos lösen und verspreche unschlagbare Vorteile: Die Graphen-Aluminium-Ionen-Batterien von GMG ­sollen nicht nur dreimal so viel Energie speichern können wie herkömmliche Lithium-Ionen-Batterien, sondern auch eine 60fach höhere Ladegeschwindigkeit als diese besitzen. Eine solche Batterie würde sich also in wenigen Minuten voll aufladen lassen. Das wäre tatsächlich bahnbrechend, denn ein großes Manko bei Elektrofahrzeugen sind die langen Ladezeiten.

Graphen ist 125 Mal so hart wie Stahl, ultraleicht und eine Million Mal dünner als ein Blatt Papier – dazu extrem leitfähig für Strom und Wärme.

Beim Graphen-Akku ersetzt das Na­nomaterial als Anode das bislang übliche Graphit. An dem außergewöhnlichen Werkstoff wird seit fast 20 Jahren intensiv geforscht. 2004 stießen Andre Geim und Konstantin Novoselov, zwei Professoren der Universität Manchester, bei Experimenten mit dem Mineral Graphit auf die erste Herstellungsmethode von Graphen. Die beiden Forscher lösten mit einem gewöhnlichen Klebeband mehrmals eine Schicht von Graphit, das auch in einem gewöhnlichen Bleistift vorkommt. Am Ende, nachdem das Material am Klebestreifen in einen Siliziumträger eingebracht war, hatten die Forscher ultradünne Graphenfilme zur Verfügung, die aus nur einer Lage von Kohlenstoffatomen bestehen. Sechs Jahre später erhielten die beiden Professoren für diese Entdeckung den Nobelpreis.

Das neu entdeckte »2D«- beziehungsweise »Nano«-Material lässt sich als Kohlenwasserstoffanordnung beschreiben und besitzt einzigartige Eigen­schaften: Es ist 125 Mal so hart wie Stahl, ultraleicht und eine Million Mal dünner als ein Blatt Papier – dazu extrem leitfähig für Strom und Wärme. Einige Forscher bezeichnen Graphen deshalb als »Wundermaterial« und »Alles­könner«.

Zu diesen Graphenenthusiasten zählt der gelernte Software-Ingenieur und Materialexperte Ron Mertens, der seit 2009 die weltweit beachtete Informations-Webseite graphene-info.com betreibt. Er ist sich sicher, dass Graphen eine Revolution in der Mikroelektronik und Nanotechnik auslösen kann. Eine wesentlich effizientere Energiespeicherung und schnellere Computerchips sind nur zwei von zahlreichen Möglichkeiten. Zukünftig könnte Graphen Sili­zium als Ausgangsstoff für Halbleitertechnologien ablösen. Die Anwendungsbereiche kennen keine Grenzen, wenn man den Berichten auf Mertens’ Website folgt. Viele Projekte befinden sich allerdings noch im Anfangs­stadium.

»Graphen hat eine Reihe unvergleichlicher Eigenschaften«, sagt Mertens im Gespräch mit der Jungle World. »Wenn es sich durchsetzt, wird es zu den wichtigsten Materialien der Welt gehören. Die Erfolge in der Batterietechnik sind ein erster Schritt. Die Graphenindustrie steht derzeit an einem Wendepunkt, da immer wieder neue Produkte auf Basis von Graphen auf den Markt gebracht werden und die Massenproduktion hochfährt.« Insbesondere in Großbritannien, Australien und den USA gebe es eine Vielzahl von Unternehmen, die die Entwicklung von kommer­ziellen Nutzungen Graphens für ­einen wachsenden Markt vorantreiben. Zahlreiche Firmen und Start-ups ­kümmerten sich dort um die Forschung, Ent­wicklung und die prak­tische Erprobung. »Graphen ist eine neue Materialklasse, die ver­glichen mit ­allen anderen Materialien völlig neue Möglichkeiten bietet und zu drastischen Veränderungen führen kann«, so Mertens.

In manchen Bereichen hat Graphen bereits Einzug in den Alltag gefunden: Das Gewicht von Sportausrüstung wie Rennrädern oder Tennisschlägern, die Robustheit von Laufschuhen, die Schnitt­festigkeit von Arbeitshandschuhen oder die Schusssicherheit von Westen lassen sich bereits mit einem kleinen Anteil Graphen verbessern. Auch die Rüstungsindustrie weiß die besonderen Eigenschaften des Materials zu schätzen: Zweilagiges Graphen, an dem an der City University of New York geforscht wird, ist so flexibel wie Alufolie, aber hart genug, um eine Pistolenkugel abzuhalten.

Die Nutzung von Graphen böte im Vergleich zu den bisher verwendeten Materialien oftmals große Vorteile für den Umwelt- und Klimaschutz, besonders wenn es in den Bereichen Wasseraufbereitung, Energiespeicherung und Stromleitung zur Anwendung kommt. Aufgrund seiner vielseitigen Eigenschaften könnten Materialien, die heute die Umwelt belasten, verbessert oder ersetzt werden; zum Beispiel Lithium, für ­dessen Abbau giftige Chemikalien eingesetzt werden, die Gewässer und Böden kontaminieren. Auch Solarpaneele könnten deutlich günstiger, effizienter und leichter recycelbar werden.

Dass Graphen noch keine größere Bedeutung erlangt hat, liegt an dem für den Massenmarkt noch untauglichen Herstellungsverfahren. Zur Graphenherstellung wird hauptsächlich mit zwei Verfahren gearbeitet: Bei der Synthese aus Kohlenstoff und Gasen benötigt es einfache Gase als Rohstoff und ein bestimmtes Trägermaterial, in der Regel Palladium oder eine wiederverwert­bare Kupferfolie. Die zweite Methode arbeitet mit dem Rohstoff Graphit. Das Graphen wird von dem Graphit abgeblättert. Beide Verfahrenswege sind derzeit allerdings sehr teuer.

Mertens bleibt jedoch optimistisch: »Alles, mit dem wir in der Umwelt zu tun haben, ist dreidimensional. Graphen ist das erste Material, das es in zwei­dimensionaler Form gibt. Der Weg aus dem Labor auf den Markt ist in der ­Materialforschung äußerst komplex. Insbesondere große zusammenhängende Graphenplatten herzustellen, erweist sich als schwierig. Aber es gibt große Fortschritte, denn die ­Materialpreise, die anfangs extrem hoch ­waren, sinken jetzt, da immer größere Produktionskapazitäten eingeführt werden.«

Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts sagen die erste Massenherstellung von Produkten auf Basis von Graphen in vier Jahren voraus. In einer Pressemeldung hieß es Anfang dieses Jahres: »Die Marktnachfrage nach Graphen hat sich in den letzten zwei Jahren fast vervierfacht. Durch die Schaffung maßgeschneiderter, hochwertiger Materialien erwarten wir, dass wir bis 2025 über Nischenprodukte und -anwendungen hinausgehen und eine breite Marktdurchdringung erreichen.«

Auch wenn neuartige Graphenbatterien noch nicht nach einer umfassenden Materialrevolution aussehen, ist das Potential immens: Die »Super-Akkus« wären ein erster, wichtiger Schritt hin zur Markteinführung eines zukunftsträchtigen Materials. Ob es am Ende auch für den oft belächelten Weltraumlift reicht, den man sich als ein 96 000 Kilometer langes Seil zu einer Raumstation vorstellen kann, ein Projekt, an dem derzeit Forscher aus Japan arbeiten, wird sich zeigen: Ein Material wie Graphen ist für die Herstellung extrem robuster, aber auch leichter Seile die Grundbedingung.