Das Urteil gegen einen der Nazis, die das Chemnitzer Lokal »Schalom« attackierten

Nur ein Anfang

Die Enttäuschung ist Uwe Dziuballa, dem Betreiber des koscheren Restaurants »Schalom« in Chemnitz, anzumerken. »Ich bin mit dem Urteil nicht zufrieden, aber ich bin zufrieden, dass es überhaupt ein Urteil gibt«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. Das Amtsgericht Chemnitz verurteilte den 30jährigen Neonazi Kevin A. am 8. September zu einer einjährigen Freiheitsstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurde. A. hatte am Abend des 27. August 2018 in einem Pulk von rund einem Dutzend Vermummten das Lokal »Schalom« mit Steinen und Stangen angegriffen. Von den weiteren zehn bis zwölf Nazis fehlt bislang jede Spur. A. hatte vor Gericht die Aussage verweigert.

Bei der Attacke war Dziuballa an der Schulter verletzt worden. Dieser organisierte Angriff war nicht der erste Vorfall, und sicher vor ähnlichen Attacken kann sich Dziuballa auch in Zukunft nicht fühlen. Auf die Frage, ob sich ein solcher Angriff wieder ereignen könne, sagt er, das sei letztlich überall in Deutschland möglich. Allerdings: »In unserer Region hat sich ein Nährboden für gewisses Gedankengut gebildet.«

Obwohl die rechtsextreme Gesinnung des nun verurteilten Täters offensichtlich ist, wurde das politische Motiv im Gerichtssaal »nur am Rande behandelt«, wie das Neue Deutschland berichtete. A. war wegen Haus- und Landfriedensbruchs bereits vorbestraft. Des Angriffs auf das Lokal »Schalom« hatten ihn DNA-Spuren am Tatort überführt.

Es wäre erstaunlich, wenn kein Nazi aus Sachsen dabei gewesen wäre. A. lebt in Niedersachsen, seine Kontakte zur rechtsextremen Szene in Sachsen und Thüringen sind allerdings seit Jahren belegt. So haben der Chemnitzer Nazi Dennis B. und der Eisenacher Nazi Leon R., wie die »Antifaschistische Recherche Chemnitz« auf ihrem Blog berichtet, Kevin A. zum Gericht gefahren und dort wieder abgeholt. Vor Gericht wurde zudem ein Chat rekonstruiert, in dem sich A. und R. für den 27. August 2018 in Chemnitz verabredet hatten. R. ist wegen Körperverletzung und Landfriedensbruchs vorbestraft.

Der 27. August 2018 war der zweite Tag in Folge, an dem rechte Hooligans und Neonazis die Straßen der ehema­li­gen Karl-Marx-Stadt unsicher machten. Nach einem Tötungsdelikt, für das zwei Asylbewerber verantwortlich gemacht worden waren, riefen Hooligans, die rechtsextreme Splitterpartei Pro Chemnitz und die AfD über zwei Wochen abwechselnd zu Aufmärschen auf. Nazis jagten Andersdenkende, griffen Migrantinnen und Migranten an – oder Menschen, die sie dafür ­hielten.

An den Chemnitzer Ereignissen im Spätsommer 2018 zeigt sich beispielhaft, wie das kollektive Wegschauen, Bagatellisieren und Kleinreden rechter Gewalt in Deutschland bis zu den Anschlägen in Halle und Hanau funktioniert hat. Die Polizei reagierte in Chemnitz nur zögerlich und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) versuchte, die rechte Gefahr kleinzu­reden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kommentierte die Ereignisse in Chemnitz mit der Aussage, die Migration sei die »Mutter aller Probleme«, und der damalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen (CDU) stellte die Authentizität eines Handyvideos in Frage, das eine rassistische Attacke dokumentierte. Die betont Konservativen in der Union wurden in Sachen Chemnitz erst leiser, als der Angriff auf das Lokal »Schalom« mit elf Tagen Verspätung überregional bekannt geworden war.

Das Restaurant »Schalom« war nicht das einzige Ziel einer organisierten Attacke. Im September und Oktober 2018 wurden in Chemnitz auch zwei persische Lokale angegriffen. Mitte September desselben Jahres attackierten zudem die Mitglieder der Neonazi-Gruppierung »Revolution Chemnitz« auf der Schlossteichinsel mehrere Menschen und verletzten sie. Anfang Oktober 2018 ließ die Generalbundesanwaltschaft acht Mitglieder der Gruppierung »Revolution Chemnitz« festnehmen. Sie wurden im März 2020 wegen der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung und der Planung einer staatsgefährdenden Straftat zu zum Teil mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Die Aufmärsche in Chemnitz sind in ihrer Mobilisierungswirkung für die extreme Rechte kaum zu überschätzen. Immerhin gaben die AfD-Politiker Björn Höcke und Andreas Kalbitz bei dem sogenannten Trauermarsch Anfang September 2018 die bis dahin gepflegte taktische Distanz zur rechtsex­tremen Szene auf und zogen mit gewaltbereiten Neonazis, mit Martin Sellner von der Identitären Bewegung und mit Götz Kubitschek durch die Straßen. Stephan Ernst, der spätere Mörder von Walter Lübcke, war mit seinem Helfer Andreas H. anwesend. Was sie alle einte, drückten die damaligen baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple und Hans Peter Stauch, die extra angereist waren, jeweils auf Twitter aus: »Falls ich später mal gefragt werden sollte, wo ich am 27. August 2018 war, als die Stimmung in Deutschland kippte: Ja, ich war in Chemnitz dabei!«

Es bleibt zu hoffen, dass diese Euphorie durch weitere Strafverfahren etwas gedämpft wird: Am besten geeignet wäre dazu wohl, wenn noch die weiteren Nazis gefunden und verurteilt würden, die das Restaurant »Schalom« am 27. August 2018 angegriffen haben.