Abtreibungsgegner demonstrieren in Berlin

Fundis ohne Plan

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Am vergangen Samstag versammelten sich in Berlin Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten Lebensschutzbewegung wieder zum jährlichen »Marsch für das Leben«. Die Bundesvorsitzende des veranstaltenden Bundesverband Lebensrecht (BVL), Alexandra Maria Linder, begrüßt die Teilnehmenden am Platz des 18.März gewohnt schwunglos, jedoch mit Dringlichkeit. Die Bewegung werde »sehr genau beobachtet, nicht nur wer kommt und wie viele, sondern auch, was wir sagen und fordern«, raunt sie. Die Veranstaltenden legen viel Wert darauf, nicht als fundamentalistische Christinnen und Christen zu erscheinen, die Freiheitsrechte und Gesundheitsfürsorge einschränken wollen.

Das BVL-Vorstandsmitglied Hartmut Steeb machte sich über die Maskenpflicht lustig und sprach mehrfach von »im Mutter­leib liquidierten Menschen«.

Das erstmalig entsandte Grußwort des Bundesvorstandes der AfD findet demzufolge weder auf der Website des BVL noch während der Auftaktkundgebung des Marsches Erwähnung. Die Partei stellt sich darin als die einzige dar, die sich »für die Rechte ungeborener Kinder stark« mache, und ruft »alle überzeugten Lebensschützer und alle Familien« auf, sie zu wählen. Anders als im Vorjahr nahm die stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, Bea­trix von Storch, nicht an der Veranstaltung teil.

Bei der Frage nach der Zahl der bundesweit anreisenden Teilnehmenden sah sich der BVL vor der Covid-19-Pandemie wahrheitswidrig bereits an der Zehntausender-Grenze angelangt. Nach der Veranstaltung am Samstag wird der Verein 4500 teilnehmende »Lebensschützer« vermelden, eine Schätzung der Berliner Polizei wird deren Zahl »im unteren mittleren vierstelligen Bereich« sehen. Journalistinnen, die die Bewegung seit Jahren beobachten, gehen von etwa 2200 Teilnehmenden aus, etwas weniger als im Vorjahr. Einige »Querdenker« und Impfgegnerinnen mischen sich unter die Abtreibungsgegner. Zuvor wurde in deren Telegram-Gruppen auf die angemeldete Kundgebung hingewiesen, um mögliche Polizeisperren zu umgehen.

Die Rednerinnen und Redner bieten bekannte Argumentationsmuster. Der Journalist und frühere Leiter der evangelikalen Nachrichtenagentur Idea, Helmut Matthies, beklagt ausführlich die Abtreibungsgesetzgebung, die in der DDR galt, und bezeichnet Schwangerschaftsabbrüche nach der Neuregelung des Paragraphen 218 als »schwerste Menschenrechtsverletzung im letzten Vierteljahrhundert«. Der Palliativmediziner Volker Eissing versucht, in seiner Rede eine Alternative zur Sterbehilfe aufzuzeigen, ihm fällt jedoch lediglich Beten ein. Das BVL-Vorstandsmitglied Hartmut Steeb macht sich über die Maskenpflicht lustig und spricht mehrfach von »im Mutterleib liquidierten Menschen«. Immer wieder äußern Redner sich enttäuscht über die »C-Parteien«, da die Unionsparteien das Thema Schwangerschaftsabbruch in ihrem Wahlprogramm nicht einmal erwähnen. Außer dem wiederholten Appell, die jeweiligen Direktkandidaten an­zuschreiben und anzurufen, folgt daraus jedoch keinerlei politische Handlungsempfehlung.

Frischer Wind kommt auch beim obligatorischen Auftritt der »Jugend für das Leben« nicht auf; die Premiere der internationalen »Pro-Life-Fahne« ist eher peinlich als stimmungsvoll. Ein Poe­try Slam aus der Perspektive eines Fötus bildet den skurrilen Abschluss des Bühnenprogramms. Immer wieder hallen Sprechchöre von der Kundgebung des »Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung« herüber, die auf der anderen Seite des Brandenburger Tors stattfindet.

Beim anschließenden Schweigemarsch durch Berlins Mitte geht der Jugendblock voran, geprägt wird die ­Demonstration durch die einen Meter hohen obligatorischen Holzkreuze und in Grün gehaltenen Banner und Schilder mit Slogans wie »Babies Welcome«, »Inklusion statt Selektion« oder »Nie wieder unwertes Leben«, die der BVL ausgibt. Wie in den Vorjahren trägt ein Teilnehmer ein T-Shirt mit der Aufschrift »Stoppt den Babycaust«. Von Seiten der Veranstaltenden ist kein Versuch erkennbar, diese Relativierung der Shoah zu unterbinden. Die Polizei überprüft den Mann zwar, kann aber kein strafrechtlich relevantes Problem feststellen.

An vielen Punkten treffen die Abtreibungsgegner und Abtreibungsgegnerinnen auf Protest. Besondere Aufmerksamkeit erregt dabei eine pinksilberne Cheerleading-Gruppe, die den Demonstrierenden mit ihren Pompons und Sprüchen wie »Wir sind die Perversen, wir sind euch auf den Fersen« entgegentritt. Das Bündnis »What the Fuck« hatte bereits am Vorabend eine Demonstration unter dem Motto »Blut Kot Glitzer« veranstaltet, um auf die Repressalien aufmerksam zu machen, die auf die Sitzblockade gegen den Marsch für das Leben 2019 folgtegefolgt waren. Über 100 Personen hatten Anzeigen wegen Nötigung erhalten. Seit November 2020 laufen die Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten Berlin. Die Pro-Choice-Bewegung zeigt sich deutlich dynamischer als ihr ideologischer Konterpart. Im Jahr des 150.Geburtstags des Abtreibungsparagraphen ist sie entschlossen, bei der anstehenden Wahl etwas zu dessen Abschaffung beizutragen.