Willkommener Sturz
Er hoffte, als »Nelson Mandela Westafrikas« in die Geschichte einzugehen. Daraus dürfte nun nichts werden. Die Regierungszeit des seit 2010 amtierenden ersten demokratisch gewählten Präsident Guineas, Alpha Condé, ist vorläufig beendet. Sein Sturz folgte daraus, dass er sich auch nach Ablauf seiner zwei verfassungsmäßigen Amtszeiten als Staatspräsident an der Macht festgeklammert hatte. Derzeit befindet sich der 83jährige noch im Gewahrsam der Armeeangehörigen, die ihn am 5. September aus dem Amt entfernt haben. Nicht wenige Guineerinnen und Guineer begrüßten den Putsch.
An jenem Sonntag zeigte ein Video Condé auf einem Sofa hockend, in Jeans und mit zerknittertem Hemd. Man hört eine Frage an ihn: »Eure Exzellenz, sind Sie misshandelt worden?« Condé antwortete darauf nicht. Die Macht in der Hauptstadt Conakry hatte zu dem Zeitpunkt ein »Nationales Komitee für Sammlung und Entwicklung« (CNRD) übernommen, an dessen Spitze der 41jährige Oberst Mamady Doumbouya steht. Er verkündete die Aussetzung der Verfassung von 2010. In jenem Jahr fanden die ersten freien demokratischen Wahlen in der Republik Guinea seit deren Unabhängigkeit von Frankreich 1958 statt.
Condé selbst hatte einst gegen die autokratischen Regime der beiden langjährigen Präsidenten Guineas nach der Unabhängigkeit, Ahmed Sékou Touré und Lansana Conté, opponiert.
Infolge einer von vielen als Maskerade betrachteten Volksabstimmung am 22. März 2020 ließ Condé diese Verfassung abändern, um sich eine dritte Amtszeit zu ermöglichen (Alpha Condé will nochmal). Er profitierte damals vom Ausbruch der Covid-19-Pandemie, der in Guinea zunächst vor allem Mitglieder des reisefreudigen politischen Führungspersonals zum Opfer fielen. Der Präsident ließ Menschenansammlungen verbieten, das Referendum aber stattfinden – zu einer Zeit, als Demonstrationen verboten waren.
Seine Wiederwahl, die die von ihm am 7. April vorigen Jahres unterzeichnete Verfassungsversion ermöglicht hatte und die allgemein erwartet worden war, erfolgte dann am 18. Oktober. Zwar erklärte sich sein Hauptwidersacher Cellou Dalein Diallo zum Wahlsieger, der von 2004 bis 2006 Premierminister war und die Oppositionspartei Union der demokratischen Kräfte Guineas (UFDG) anführt. Darauf nahm Condé jedoch ebenso wenig Rücksicht wie auf Proteste, die er niedergeschlagen ließ.
Condé selbst hatte einst gegen die autokratischen Regime der beiden langjährigen Präsidenten Guineas nach der Unabhängigkeit, Ahmed Sékou Touré (1958 bis 1984) und Lansana Conté (1984 bis 2008), opponiert – sie blieben jeweils bis zu ihrem Tod im Amt. Jahrzehntelang lebte Condé in Frankreich, wo er 1953 als 15jähriger ankam und später einen Doktortitel an der Sorbonne erwarb. 1970 wurde er nach eigenen Angaben Opfer einer rassistischen Attacke in Paris. Im selben Jahr verurteilte ihn in der guineischen Hauptstadt Conakry das Regime Sékou Tourés, dessen Herrschaft mitunter als »tropischer Stalinismus« bezeichnet wurde, aus politischen Gründen in Abwesenheit zum Tod.
Condé war bei der in den siebziger Jahren aufstrebenden französischen Sozialdemokratie unter François Mitterrand aktiv und gründete 1977 im fortdauernden Exil eine Oppositionspartei für Guinea, die nach mehreren Namenswechseln 1992 zur »Sammlung des guineischen Volkes« (RPG) wurde. 1991 kehrte er nach Guinea zurück, denn dort war Anfang der neunziger Jahr das Ende des bisherigen Einparteiensystems verkündet worden.
Die von Condé gegründete Partei existiert noch immer, wurde jedoch unter seiner Präsidentschaft praktisch zur Staatspartei und fusionierte 2012 mit insgesamt 44 anderen Parteien zur neuen Regierungsformation RPG Arc-en-ciel (RPG Regenbogen). Als Präsident ähnelte Condé in vielem seinen autoritären Amtsvorgängern und tat, was er zuvor an jenen kritisiert hatte: Er privilegierte eine nach ethnischen und sprachlichen Kriterien definierte Klientel. Während seiner Amtszeit wurden vor allem Angehörige der Malinké (im deutschen Sprachraum Mandinka genannt) bevorzugt, eine Bevölkerungsgruppe, die überwiegend im Osten des Landes rund um die Regionalmetropole Kankan lebt.
Vor der Präsidentschaftswahl vom Oktober 2020 schürte er ethnisierte Konflikte: Es sei, »als ob wir uns im Krieg befänden«, und wenn alle Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der Peul (im Deutschen meist als Fulbe bezeichnet, die Gruppe macht rund ein Drittel der Bevölkerung Guineas aus) »wie ein Mann« für ihren Kandidaten stimmten, dann dürften die Malinké ihre Stimmen nicht auf mehrere Kandidaten verteilen. Diallo stellte er als »Kandidaten der Peul« dar.
Gegen den mutmaßlich durch Manipulation zustandegekommenen Wahlsieg Condés im vorigen Jahr gab es große Proteste, so wie zuvor gegen die Verfassungsänderung. Insgesamt töteten die Sicherheitskräfte dabei mindestens 200 Menschen. Zu den Kritikerinnen und Kritikern Condés gehören keineswegs nur Peul, auch bei den anderen Bevölkerungsgruppen hatte er wegen der von seiner Regierung zu verantwortenden ökonomischen und sozialen Probleme nur noch geringen Rückhalt. Die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als einem Euro pro Tag.
Anfang August kam erneut Unmut auf, weil die staatlich regulierten Treibstoffpreise von zuvor 9 000 Guineischen Francs pro Liter (umgerechnet 0,77 Euro) auf 11 000 angehoben wurden. Auch in der Armee wuchs die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten, da er mittels eines Dekrets vom 1. Juni eine neue Einheit geschaffen hatte, das Schnelle Eingreifbataillon (BIR), das den bis dahin bedeutenden Spezialkräften Konkurrenz machte. Letztere hatten bei der Niederschlagung der Proteste gegen Condés Wiederwahl, aber auch einer Meuterei von Soldaten im Militärlager von Kindia im Oktober 2020 eine wichtige Rolle gespielt. Condé wollte jedoch nicht zu sehr von diesen Spezialkräften abhängen, zumal ihnen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, die zu internationalen Sanktionen führen könnten. Den Unmut nährten des Weiteren die Ernennungen neuer Generäle und Botschafter im Januar 2019, mit denen Condé eine Reihe politischer und militärischer Funktionäre ersetzte, die in seinen Augen zu mächtig zu werden drohten.
Doumbouya, den Condé 2018 an die Spitze der Spezialkräfte gesetzt hatte, ist ein aus Kankan stammender Malinké, er zählte also zur Klientel des Präsidenten. Infolge der jüngsten Konflikte kursierten allerdings Gerüchte, Doumbouya solle abgesetzt oder verhaftet werden. Vermutlich wollte er dem mit dem Putsch zuvorkommen. Er wurde unter anderem an der International Security Academy in Israel, am Generalstab in Libreville, der Hauptstadt des erdölreichen Gabun, sowie an der prestigereichen Militärakademie École de guerre (EdG) in Paris ausgebildet.
Das nun regierende Komitee versprach, nach einer Übergangsperiode die Macht an eine zivile Regierung zu übergeben. In seiner Antrittsrede als Vorsitzender dieses Komitees zitierte Doumbouya unter anderem Jerry Rawlings, einen linksnationalistischen Präsidenten Ghanas (1981 bis 2001), der ebenfalls im Zuge eines Militärputschs an die Macht gelangt war, mit den Worten, dass es Sache der Armee sei, ein Volk von seinen korrupten Eliten zu befreien. Es bleibt abzuwarten, ob die Militärführung tatsächlich einer demokratisch gewählten zivilen Regierung Platz machen oder eine neue autoritäre Herrschaft errichten wird, wie es etwa 2008 nach dem Tod Lansana Contés geschehen ist. Damals stand Moussa Dadis Camara nach einem Militärputsch rund ein Jahr lang an der Spitze der militärischen Übergangsregierung und verfolgte einen äußerst autoritären Kurs – bis zu seiner schweren Verwundung durch ein Attentat.
Nach dem Sturz Condés erhielten die Putschisten zunächst von vielen Menschen öffentlich Applaus. Die Militärregierung schloss die Grenzen und verkündete eine Ausgangssperre ab 20 Uhr. Karamba, ein guineischer Zivilist und Augenzeuge des Geschehens im Lande, sagte der Jungle World telefonisch, die Bevölkerung habe in der vorigen Woche »weitgehend normal« weitergearbeitet. Einige Politiker des bisherigen Regierungslagers seien über Vorladungen durch die Armee beunruhigt, während die Bevölkerung mehrheitlich abwarte, ob sich dieses Mal die Hoffnungen in den Machtwechsel als besser begründet erweisen als in der Vergangenheit. Condé erklärte am Montag, er sei »lieber tot« als seine Unterschrift unter eine Rücktrittserklärung zu setzen. Abgesetzt ist er dennoch. Die »Nationale Front zur Verteidigung der Verfassung«, die seit 2019 gegen Condés Verfassungsmanipulationen protestierte, begann zu Wochenanfang Konzertierungen mit der Armee.