Ist Afghanistan "unser Vietnam"?
Viele sehen sich angesichts der bitteren aktuellen Bilder aus Afghanistan an "Vietnam" - vor allem den hastigen Abzug der USA aus Saigon 1975 - erinnert. Das Einzige, was diese Assoziation rechtfertigt, ist allerdings der Einmarsch einer jahrelang von den USA und anderen westlichen Staaten bekämpften bewaffneten Aufstandsbewegung in die Hauptstadt Kabul und die panischen Reaktionen der USA und anderer. Nichts verbindet die Ideologie der Taliban mit der des nordvietnamesischen Regimes bzw. des Vietcong in den siebziger Jahren. Wollte man die afghanischen Islamisten unbedingt mit einer nichtislamistischen Bewegung vergleichen, so läge der Blick auf die "Steinzeitkommunisten" Kambodschas, die sogenannten Roten Khmer viel näher. Die wurden immerhin 1979 von der vietnamesischen Armee gestürzt aber anschließend im Untergrund de facto auch von westlichen Staaten im Zuge des kalten Krieges gegen die von Hanoi eingesetzte Regierung unterstützt.
Wenn die schrecklichen Aussichten in Afghanistan etwas verdeutlichen, dann dass es eine "Systemauseinandersetzung" des Westens wie mit dem Realsozialismus nie mit dem Islamismus gegeben hat. Wäre es anders, es müsste sofort die Frage gestellt werden, in welchem Verhältnis die Situation in Afghanistan zu jenem Land steht, in dem die Djihadisten am nachhaltigsten herrschen und seit über 40 Jahren an der Macht sind: Iran.
Der Smokescreen von den "gemäßigten Fraktionen" der Islamisten, mit denen man eine "Verhandlungslösung" über die Teilung der Macht in Afghanistan erreichen könne, ist innerhalb weniger Monate zusammengebrochen. Bezüglich der Islamischen Republik wird er nach Jahrzehnten des Scheiterns immer noch aufrecht erhalten. Noch vernichtender wird das Urteil, wenn man die Situation in Afghanistan unmittelbar mit der im Iran vergleicht:
In Afghanistan findet nach zwanzig Jahren ein Rückzug aus einem anscheinend nicht zu gewinnenden bewaffneten Konflikt statt, und man weiß nicht genau, wie groß die Unterstützung der Taliban In der afghanischen Bevölkerung noch ist.
Im Iran hat dagegen sogar das Regime zugegeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung kürzlich die Fake-Präsidentschaftswahlen boykottiert hat. Und: keine Stimme mit Relevanz hat je ernsthaft den Einmarsch des kriegsmüden Westens im Iran gefordert, diese Mär und die Warnung vor westlichen ‚Kriegstreibern’ @Iran ist selbst Teil der ubiquitären Propaganda für den "kritischen Dialog" mit den Menschheitsverbrechern in Teheran.
Die Bekämpfung der Islamisten kann letztlich niemand der lokalen Bevölkerung im Mittleren und Fernen Osten abnehmen. Was iranische Regimegegner strömungsübergreifend fordern, ist viel bescheidener: dass westliche Staaten und Gesellschaften im Umgang mit der Islamischen Republik jene zivilisatorischen Minimalstandards einhalten, die man innerhalb westlicher Demokratien und im Umgang mit anderen Regimes für sich reklamiert: nachhaltige Berichterstattung über und Solidarität mit den Protesten der Bevölkerung, Verurteilung und Sanktionierung von Verbrechen des Regimes - und letztendlich die Unterstützung einer regionalen und internationalen Koalition zur Eindämmung der Islamischen Republik, ihrer Proxies und Bündnispartner (inclusive Taliban) unter Einschluss Israels, der arabischen Nachbarn des Iran und der säkularen iranischen Opposition.
Die Intervention in Afghanistan wurde ursprünglich mit Herberge und Support der Taliban für Al-Qaida begründet. Die Islamische Republik ist ein um vieles gefährlicherer globaler djihadistischer Akteur, die gerade die Amtseinführung ihres neuen Präsidenten Raisi mit Top-Terroristen aus der ganzen Region begangen hat. Wer die obigen Konsequenzen nicht aussprechen will, kann sich auch markige Sprüche über Afghanistan sparen. Eine Politik, die auf die gemäßigten und demokratischen Gegner des iranischen Regimes zwischen Jerusalem und Teheran setzt, würde dagegen Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Region bedeuten, mittelfristig hoffentlich auch für Afghanistan.