In Sachsen-Anhalt bilden CDU, SPD und FDP die erste »Deutschland-Koalition«

Die Stunde der Patrioten

Gut zwei Monate nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt einigten sich CDU, SPD und FDP Anfang dieser Woche auf einen Koalitionsvertrag. Vor Mitte September ist trotzdem nicht mit dem Amtsantritt der neuen Regierung zu rechnen.

Eigentlich sollten die Koalitionsverhandlungen für die Bildung einer neuen Landesregierung in Sachsen-Anhalt bereits Ende der vergangenen Woche abgeschlossen werden. Doch dann vertagten sich die Verhandlungspartner von CDU, SPD und FDP erneut. Montagnachmittag meldeten sie schließlich Vollzug. Nach den Landtagswahlen am 6. Juni hatte es mehr als zwei Monate gedauert, bis sich die Verhandlungspartner über Personal und Grundzüge der Regierungstätigkeit in den kommenden fünf Jahren einigen konnten. Dabei gibt es ohnehin keine realistische Alternative zur angestrebten »Deutschland-Koalition«, wie das Bündnis aufgrund der mit den teilnehmenden Parteien assoziierten Farben genannt wird.

Weil in Sachsen-Anhalt rechte Hegemonie besteht, ist zu befürchten, dass die »Deutschland-Koalition« ihrem Namen alle Ehre machen wird.

Eine Koalition unter Einschluss der Linkspartei kommt für die CDU nicht in Frage, und die seit 2016 regierende »Kenia-Koalition« aus CDU, SPD und Grünen wäre nach langen Konflikten Ende des vergangenen Jahres fast am Streit über die Erhöhung der Rundfunkgebühr geplatzt – die Fortführung einer solchen Koalition schlossen die Grünen nach der Wahl aus.

Faktisch bestimmt die AfD, die 2016 das erste Mal zu Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt antrat, seither die Zusammensetzung der Regierungskoalitionen. Als zweitstärkster Partei fehlten ihr damals nur fünf Prozentpunkte zum Ergebnis der CDU. Weil die FDP 2016 an der Fünfprozenthürde gescheitert war, ergab sich als einzige Möglichkeit einer Koalition, an der weder AfD noch Linkspartei beteiligt waren, das Bündnis aus CDU, SPD und Grünen. Belastet wurde die Zusammenarbeit von Anfang an dadurch, dass der Grundsatz, auf dem sie beruhte, eben der Ausschluss der AfD aus dem Kreis möglicher Koalitionspartner bürgerlich-demokratischer Parteien, im CDU-Landes­verband Sachsen-Anhalt höchst umstritten ist. Der starke rechte Flügel des Landesverbandes strebt vielmehr eine Koalition mit der AfD oder zumindest eine von ihr tolerierte CDU-Minderheitsregierung an.

Dass es sich dabei nicht nur um Gedankenspiele einiger Hinterbänkler handelt, wurde spätestens nach den Kommunal- und Europawahlen 2019 deutlich. In Auswertung der Wahlergebnisse verfassten die damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der christdemokratischen Landtagsfraktion, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, eine »Denkschrift«, in der sie die Forderung erhoben, künftige politische Kooperationen von der Überlegung abhängig zu machen, »mit welchen Parteien die eigene Politik und der mehrheitliche Wille der Wähler in Sachsen-Anhalt tatsächlich umgesetzt werden kann«. Es gelte, »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen. Sicherheit vor sozialem Absturz mit Sicherheit vor Kriminalität. Der Sehnsucht nach Heimat und nationaler Identität ist durch eine klare Abgrenzung gegen multikulturelle Strömungen linker Parteien und Gruppen entgegenzutreten.«

Während Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sich darum bemühte, ei­ne »Brandmauer« gegen die AfD hochzuziehen, versuchte der rechte Parteiflügel, vor allem die Gemeinsamkeiten mit den Rechtsextremen und die Differenzen mit den Grünen herauszustellen, um so den Bruch der Koalition zu provozieren. Der Konflikt in der CDU eskalierte Ende 2020 an der Frage der Erhöhung der Rundfunkgebühren.

Für die AfD ist die Abschaffung der Gebühren für den aus ihrer Sicht tendenziös linken Staatsfunk eine zentrale rundfunkpolitische Forderung. Aber in Sachsen-Anhalt sprach sich auch die CDU ausdrücklich gegen weitere Gebührenerhöhungen aus. Das Risiko war groß, dass die jüngste Gebührenerhöhung im Landtag mit den Stimmen von CDU und AfD abgelehnt werden würde. Das hätte das Ende der Koalition bedeutet. Da es Haseloff nicht gelang, seine eigene Fraktion zu disziplinieren, sah er sich schließlich gezwungen, die Vorlage für den Parlamentsbeschluss zur Änderung des Medienstaatsvertrages zurückzuziehen und eine Befassung des Landtages mit dem Thema zu vermeiden. Jüngst haben die öffentlich-rechtlichen Sender deshalb diese Erhöhung per Verfassungsbeschwerde durchgesetzt.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung erklärt sich nicht nur die Unmöglichkeit der Fortsetzung der »Kenia-Koalition«. Auch das derzeitige Bemühen Haseloffs um die Bildung einer Dreier­ko­­alition wird so verständlich, obwohl sogar eine Koalition der aus der Wahl im Juni deutlich gestärkt hervorgegangenen CDU mit der SPD im Landtag über eine knappe Mehrheit verfügt hätte. Ei­ne schwarz-rote Koalition würde 49 von 97 Abgeordneten umfassen, hätte also eine Mehrheit von einem Sitz. Angesichts der Konflikte in der CDU ist dies jedoch keine verlässliche parlamentarische Basis für eine Landesregierung.

Es spricht einiges dafür, dass diese innerparteilichen Konflikte sich auch auf die Dauer der nun abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen ausgewirkt haben. Die SPD erzielte im Juni mit 8,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, der FDP gelang mit 6,4 Prozent nach zehn Jahren Abwesenheit der Wiedereinzug in den Landtag. Trotz dieser Schwäche dürfte die Versuchung bei SPD und FDP groß gewesen sein, den Umstand, dass der Ministerpräsident auf zwei verlässliche Koalitionspartner angewiesen ist, in den Verhandlungen auszunutzen. Insbesondere der Zuschnitt und die Verteilung der Ministerien führten immer wieder zu Reibungen zwischen den Koalitionspartnern in spe. Obwohl sich die Verhandlungsdelegationen schließlich einigten, stehen bei CDU und SPD noch Mitgliederbefragungen zum Koalitionsvertrag an. Die FDP will auf einem Parteitag über den Koalitionsvertrag abstimmen. Vor Mitte September ist deswegen nicht mit dem Amtsantritt der neuen Regierung zu rechnen.

Weil in Sachsen-Anhalt rechte Hegemonie besteht, ist zu befürchten, dass die »Deutschland-Koalition« ihrem Namen alle Ehre machen wird. Die parlamentarische Opposition gegen einen solchen Kurs wird schwach sein: Die Grünen verfügen im Magdeburger Landtag über sechs Mandate. Die Linkspartei, die in den vergangenen Jahren vor allem Symbolpolitik betrieb (Jungle World 12/2020) und im Wahlkampf mit der Parole »Nehmt den Wessis das Kommando« aufzutrumpfen versuchte, ist nach ihrem schlechtesten Abschneiden bei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt jemals nur noch mit zwölf Abgeordneten vertreten. Zusammen erreichen beide Parteien nicht einmal die Fraktionsstärke der AfD, der 23 Abgeordnete angehören.