Der Quellcode des World Wide Web wurde als Non-Fungible Token versteigert

Die Rückkehr der Aura

Non-Fungible Tokens sollen digitale Kunstwerke und andere digitale Güter in begehrte Einzelstücke verwandeln.
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Vor 30 Jahren erfand der Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee das System, das die Websites der Welt miteinander verknüpft. Im vergangenen Monat versteigerte er es beim New Yorker Auktionshaus Sotheby’s für umgerechnet 4,5 Millionen Euro. Wer das World Wide Web (WWW) gekauft hat, wurde nicht bekannt, aber zum Glück steht es weiterhin der Allgemeinheit zur Verfügung. Denn verkauft wurde lediglich ein virtueller Verweis auf ein virtuelles Gut, ein sogenannter Non-Fungible Token (NFT), der dem Käufer bescheinigt, im Besitz des originalen Quellcodes des WWW zu sein, den Berners-Lee 1991 geschrieben hat.

NFTs versetzen auch die Kunstmärkte in Aufruhr, seit immer mehr digitale Werke zu immer höheren Preisen an Sammler gehen. Den Rekord hält eine Collage des Digitalkünstlers Beeple, die im März für 42 Millionen Einheiten der Digitalwährung Ether über die virtuelle Theke ging, was zu dem Zeitpunkt etwa 58 Millionen Euro entsprach. NFTs sind im Kunsthandel angekommen, auch wenn viele Beobachter von einem Hype sprechen und die Verkaufszahlen und Preise derzeit wieder sinken.

Non-Fungible Tokens sind der Versuch, Aura, Einmaligkeit und Echtheit für virtuelle Kunstwerke mit digitalen Mitteln herzustellen.

Doch was sind NFTs eigentlich? Der Begriff Token stammt aus dem Gebiet der Blockchains und Kryptowährungen. Ähnlich wie ein Eintrag ins Grundbuch das Eigentum an einer Immobilie dokumentiert, verbürgt ein Token in einer Blockchain das Eigentum an einem digitalen Gut, zum Beispiel an einer gewissen Anzahl an Bitcoin. Bei NFTs handelt es sich allerdings um Güter, die nicht austauschbar (fungible) sind und einen Wert haben, der über den reinen Gebrauchs- und Materialwert hinausgeht. Eine Münze lässt sich immer durch eine andere Münze gleichen Werts ersetzen, eine Bitcoin durch eine Bitcoin – doch nicht dieser eine ganz bestimmte Glückspfennig, dieser ist non-fungible. NFTs sind also auf einer Blockchain gespeicherte Zertifikate über das Eigentum an einem einzigartigen digitalen Objekt, einem Kunstwerk etwa oder eben dem Quellcode des WWW.

Doch warum sind manche Menschen bereit, Unsummen für NFTs auszugeben? Dass mittlerweile virtuellen Gütern, die nur im Computer existieren, ein realer, auch monetärer Wert beigemessen wird, ist ein Produkt der Gaming-Kultur. In vielen Computerspielwelten können sogenannte Items erspielt werden, virtuelle Gegenstände, die im Spiel nützlich sind oder auch als Statussymbol dienen, weil sie zeigen, dass ihr Inhaber sie mit Ausdauer und Geschick erspielt hat. Andere Items können mit im Spiel erworbenem Geld gekauft werden. Viele Online-Spiele gingen schließlich einen Schritt weiter und ermöglichten den Kauf von Items mit echten Dollars oder Euros, zum Beispiel indem diese in virtuelle Währungen umgetauscht werden. »Fortnite«, wohl das erfolgreichste Videospiel unserer Zeit, finanziert sich vollständig aus dem Handel mit solchen virtuellen Gütern, das eigentliche Spiel ist gratis. Ein anderer Pionier dieses Geschäftsmodells war das Online-Rollenspiel »World of Warcraft«, um das sich ein Markt bildete, auf dem Spieler ihre erspielten Items zum Kauf anboten.

Im virtuellen Gegenstand können also gleich mehrere Formen von Wert stecken: geronnene Arbeitszeit des Gamers, der soziale Wert des Statussymbols, der an Exklusivität geknüpft ist – und natürlich ein monetärer Marktwert, wobei sich der Preis, wie bei jedem Gut, mit Knappheit in die Höhe treiben lässt. Kein Wunder, dass der Handel mit virtuellen Gütern auch den Kunsthandel erreicht hat.

Diesen stellte die digitale Kunst bisher nämlich vor Schwierigkeiten: Als hätte es Walter Benjamin und seinen berühmten Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« nie gegeben, interessieren sich Kunstsammler noch immer für das Eigentum am originalen Werk. Aber während die Mona Lisa in der Tat etwas verliert, wenn man sie als papierne oder digitale Reproduktion betrachtet statt als Ölgemälde im Louvre, ist Digitalkunst Software und als solche technisch einwandfrei kopierbar. Es gibt kein Original mehr, alle Kopien sind echt.

NFTs sind der Versuch, Aura, Einmaligkeit und Echtheit für virtuelle Kunstwerke mit digitalen Mitteln herzustellen. Echt, einmalig und nachträglich nicht änderbar ist zwar nicht das Kunstwerk selbst, aber das Blockchain-Zertifikat, das eine Art Eigentümerschaft bestätigen soll. Diese Eigentümerschaft ist allerdings nur symbolisch, denn mit ihr korrespondiert keine Verfügungsgewalt über ein Objekt. Das Original der Mona Lisa kann der Eigentümer in den Safe sperren. Eine Kopie des Quelltexts des World Wide Web in den Safe zu sperren, ist hingegen sinnlos, denn mit ­einer Google-Suche lässt sich in Bruchteilen einer Sekunde eine identische Kopie finden.

Kritiker vergleichen NFTs deshalb mit dem Versuch windiger Geschäftemacher, Grundstücke auf dem Mond zu verkaufen. Das wird ihnen jedoch nicht gerecht. Während es für Grundeigentum auf dem Mond bislang keine an­erkannte rechtliche Grundlage gibt, haben digitale Kunstwerke Eigentümer. Es gibt zwar kein Original des WWW, das Tim Berners-Lee verkaufen konnte, aber eine zum Original erklärte Kopie des Quelltexts sowie die Tatsache, dass dieser Quelltext einst von ihm verfasst worden ist. Und offenbar ist es Menschen etwas wert, sagen zu können, dass diese »Originalkopie« ihnen gehört.

Ist das eine Absurdität oder eine neue Form werthaltiger Rechtstitel? NFTs ­haben einen bilanzierbaren Wert, der oft sogar in die Millionen geht. Und dass Dinge, deren Materialwert gegen null geht, dennoch kraft sozialer Konvention einen monetären Wert besitzen, ist nichts Neues.

An NFTs wird dann auch weniger diese Form virtuellen Eigentums kritisiert, als dass diese in einer Blockchain gespeichert werden. Eine solche erfüllt den Zweck eines öffentlich geführten Hauptbuchs, in dem Transaktion für Transaktion festgehalten ist und die Einträge kryptographisch so miteinander verkettet werden, dass diese nachträglich nicht verändert werden können. Echtheit und Identität von digitalen Prozessen könnten natürlich auch ohne Blockchain mit mathematischen Verfahren belegt werden, sonst hätte es vor der Erfindung der Blockchain kein Online-Banking geben können. Auch NFTs könnten bestens ohne Blockchain funktionieren, doch offenbar macht die Verwendung des buzzword, das wegen der Spekulation mit Kryptowährungen einen Hype erlebte, einen Teil ihrer Attraktivität aus.

Die Frage, wie sinnvoll es ist, NFTs auf einer Blockchain zu speichern, wäre kaum relevant, wären Blockchains aufgrund der für ihr Funktionieren notwendigen riesigen Rechnerkapazitäten nicht so außerordentlich energieintensiv. Der Künstler und Ingenieur Memo Akten hat rund 18 000 Versteigerungen auf einem NFT-Marktplatz namens »Superrare« ausgewertet und kam zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Versteigerung eines NFT auf der Ehtereum-Blockchain 340 Kilowattstunden an elektrischem Strom verbrauche und damit schätzungsweise 211 Kilogramm CO2 erzeuge. Das entspricht dem Künstler zufolge ungefähr dem monatlichen Stromverbrauch eines durchschnittlichen EU-Bürgers. Beim täglich tausendfachen Handel mit NFTs auf den diversen Handelsplätzen kommt da einiges zusammen.

Von den Klimaschäden abgesehen stellt sich auch die Frage, ob der Verkauf von NFTs nicht doch als Schwindelei zu betrachten ist. Das hängt wohl auch davon ab, ob den Käufern klar ist, was sie da kaufen: Ein Token, das auf eine Adresse im Internet verweist. Mehr nicht. An dieser Adresse kann sich ein digitales Kunstwerk oder dessen Abbildung oder Beschreibung befinden, aber auch einfach nichts, wenn ein Server abgeschaltet wurde oder Daten ­verloren gegangen sind. Und das scheint längst nicht allen klar zu sein, die sich für NFTs interessieren.

Es häufen sich Klagen von Käufern, die die von ihnen erstandenen Kunstwerke im Internet nicht mehr auffinden können. Ihre NFTs sind und bleiben zwar in der Blockchain eingetragen, verweisen jedoch auf Nichts. Deshalb wird es vor allem bei teureren NFTs immer beliebter, den Käufern zusätzliches materielles Beiwerk zu übergeben, wie ausgedruckte und handsignierte Versionen des Quellcodes im Fall des WWW. Den Wunsch, eine einmalige, auratische, an Zeit, Ort oder wenigstens eine Adresse im Internet gebundene Manifestation eines Kunstwerkes zu besitzen, scheint ein reines Token wohl doch nicht zu aller Zufriedenheit zu erfüllen.