The Go! Team haben ein neues Album veröffentlicht

Retromania mit Ausrufezeichen

Die englische Band The Go! Team um den Songwriter Ian Parton und die Rapperin Ninja spielt sich auf ihrem sechsten Album weiterhin eklektisch wie gutgelaunt durch die Musikstile.

Das Album »Get Up Sequences Part One« beginnt schrullig, wie man es von The Go! Team kennt. Ein Aufnahmegerät wird angeschaltet, ein Knacken, eine leiernde Gitarrenspur, ein Feedback – und eine Frauenstimme, vermutlich die der Schlagzeugerin Simone Odaranile, die den Takt vorgibt: »One, two, one-two … « Abbruch, Piepen, andere Frauenstimme: »Take two!« Und los geht’s mit einem gewohnt lässigen, groovigen Rhythmus und Jangle-­Gitarren. Dann tritt der drückende Bass von Adam Znaidi hinzu und stakkatoartige Bläserfanfaren, abgelöst von harmonischen Flötenpassagen, die wiederum in übersteuerte old school HipHop-Beats mit Steel­drum-Klängen übergehen – und ­zurück zu den Bläsern, bis der Gesang einsetzt mit der optimistischen ­Botschaft, dass sicher wieder bessere Zeiten kommen werden: »There’s a way back / If you see that / When life went away / It goes in waves … «

»Let the Seasons Work« heißt dieser hoffnungsfrohe Auftakt des nunmehr sechsten Albums der englischen Band The Go! Team – nicht zu verwechseln mit der in den achtziger Jahren aktiven US-Indie-Band gleichen Namens, aber ohne Ausrufe­zeichen. Diese kam aus Olympia, Washington, und bestand aus Calvin Johnston, bekannter für die Gruppe Beat Happening und seine Plattenfirma K Records, sowie Tobi Vail, die vor allem als Schlagzeugerin von ­Bikini Kill bekannt ist. Ein Hang zur Lo-Fi-Ästhetik ist allerdings beiden Bands gemein.

The Go! Team war zunächst ein Wohnzimmerprojekt des Brightoner Dokumentarfilmers Ian Parton, der sich anfangs noch bemühte, alle In­strumente selbst einzuspielen, wenn die Tonspuren nicht ohnehin großzügig mit Samples gefüllt waren. Erst während der Aufnahmen 2004, aus denen das Debütalbum »Thunder, Lightning, Strike« hervorgehen sollte, suchte er im Freundeskreis eine Band zusammen, mit der er auch live auftreten konnte. Von diesen sind heute noch die schnell zur Frontfrau der Gruppe avancierte Rapperin ­Ninja (eigentlich Nkechi Ka Egenamba) und der Gitarrist Sam Dook mit von der Partie.

The Go! Team war zunächst ein Wohnzimmerprojekt des Brightoner Dokumentarfilmers Ian Parton, der sich anfangs noch bemühte, alle Instrumente selbst einzuspielen, wenn die Tonspuren nicht ohnehin großzügig mit Samples gefüllt waren.

Das Debütalbum von The Go! Team wurde damals als Sensation gefeiert, womit der Produzent und Songwriter Parton jedoch selbst nicht gerechnet hatte. Denn als »Thunder, Lightning, Strike« im September 2004 bei dem Londoner ­Indielabel Memphis Industries herauskam, mit Hits wie »Ladyflash«, »The Power Is On« und »Bottle Rocket«, waren die Rechte an den zahlreichen verwendeten Samples längst nicht geklärt oder gar lizenziert. Prompt wurden zumindest die Aneignungen, deren Verwendung sich nicht legalisieren ließ, durch nachgebaute, daran angelehnte Klänge und Melodien ersetzt, damit das Album ein Jahr später auch in den USA und überhaupt neu erscheinen konnte. Zu dem Zeitpunkt waren The Go! Team zu einer richtigen Band angewachsen. 2005 wurden sie mit ihrem Erstling zudem für den prestigeträchtigen britischen Mercury Prize nominiert.

Der leichtfüßige (retro)manische Eklektizismus, der The Go! Team auszeichnet und zugleich einen ganz eigenen Sound hervorbringt, zog schnell Vergleiche mit dem sample­lastigen, genresprengenden Big Beat der Australier von The Avalanches und deren Album »Since I Left You« (2000) auf sich, doch die warme, euphorische Verspieltheit von The Go! Team hat viel mehr mit Becks idiosynkratischem Slackerpop, vor allem mit dessen tanzbarer, zusammen mit den Dust Brothers produzierter Platte »Odelay« (1996), gemein.

In ihrem Musik-Potpourri kommen aber noch stärkere Anleihen bei Indierock-Gitarren zum Beispiel von Sonic Youth und Soundtrack-Fragmente aus sentimentalen Kinderfernsehserien vergangener Jahrzehnte hinzu. Daran hat sich auch nach einem halben Dutzend Longplayern wenig geändert, die Gruppe um Parton erweitert allerdings beständig ihre Palette. Mit »Tame the Great Plains« findet sich auf »Get Up Sequences« sogar eine fabelhafte Rocksteady-Nummer im Sechsachteltakt.

Der energiegeladene Sprechgesang von Ninja erinnert einerseits an die eingängigen Reime und Slogans von Salt-N-Pepa, andererseits stehen ihre shouts und chants in der Tradition von Cheerleader-Gesängen, die das Publikum animieren sollen, sowie Kinderreimen, wie sie beim gemeinsamen Seilspringen, dem sogenannten double dutch, zum Einsatz kommen und schon früh, zum Beispiel von KRS-One (Boogie Down Productions) im HipHop ­adaptiert wurden.

Mit Niadzi Muzira verfügt The Go! Team über eine weitere Sängerin (und Gitarristin), denn nur einige der neuen Stücke haben Rap-Passagen, darunter die beiden flotten Vorabsingles »Cookie Scene« und »Pow«, in denen Ninja daher im Vordergrund steht. Aber egal ob instrumental, mit Sprechgesang oder mit me­lodischer Singstimme, die Musik von The Go! Team fordert gelegentlich fast schon aufdringlich eine gewisse Begeisterungsfähigkeit von den ­Hörerinnen und Hörern ein; jedenfalls ist sie gänzlich ungeeignet für abgeklärte Pop-Zyniker.

Für die neueste Single »A Bee ­Without Its Sting« wurden die Teenagerinnen Jessie Miller und Rian Woods vom Chor der Detroit Academy for Arts and Sciences als juve­nile Gastsängerinnen engagiert, die dem Stück einen noch unbefangeneren Charakter verleihen. Der herzerweichende Bubblegum-Soul des Songs ist deutlich geradliniger als viele der sonstigen Stilcollagen mit ihren unerwarteten Brüchen und Übergängen. Es handelt sich um ein Protestlied, dem diese idealistische Direktheit ohnehin guttut, wenn Miller und Woods geradezu beiläufig von Selbstorganisation und Selbst­ermächtigung singen, die Stück für Stück, in kleinen Schritten und dadurch unaufhaltsam erfolgen soll: »Down in the station, down in the grocery store / Making it happen, working it door to door / Takin’ ’em one by one / Keeping on ’til its done.«

Die Aufnahmen zu »Get Up Sequences Part One« gestalteten sich vor allem für Parton als äußerst schwierig und auch als tragisch, denn bei ihm zeigten sich plötzlich An­zeichen einer erst recht für ihn als Musiker folgenreichen Erkrankung. Über Nacht konnte er im Oktober 2019 auf einem Ohr kaum mehr hören. Doch es war kein Hörsturz, wie ihn viele kennen, sondern etwas Schlimmeres. Die Krankheit Morbus Menière tritt meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf und hat zur Folge, dass anfallartig neben ­einem oft dauerhaften Hörverlust und Tinnitus auch starker Schwindel auftreten kann. Parton ist in­zwischen Ende 40. Die Behandlungsmöglichkeiten sind noch geringer als bei einem Hörsturz.

Selbst als er sich halbwegs an sein reduziertes Hören auf dem rechten Ohr gewöhnt hatte und an der neuen Platte weiterarbeiten konnte, fiel es Parton schwer, wieder enthusiastisch zu werden: »Es war ein seltsamer ­Gegensatz, fröhliche Musik zu hören, während ich so niedergeschlagen war.« Gleichzeitig habe die Arbeit mit der Band ihm geholfen, die durch die Krankheit bedingte persönliche Krise hinter sich zu lassen. Wenn im ersten Song des Albums also eine schönere Jahreszeit in Aussicht gestellt wird, um den Trübsal zu vertreiben, gilt diese Botschaft offensichtlich auch dem Songwriter selbst.

The Go! Team: Get Up Sequences Part One (Memphis Industries)