Der Vatikan will ein italienisches Gesetz gegen LBGTQ-Feindlichkeit verhindern

Kulturkampf alter Schule

In Italien kämpft der Vatikan gegen ein Gesetz, das sexuelle Minderheiten vor Diskriminierung und Hassrede schützen soll.

Am Wochenende war der Regenbogen vielerorts zu sehen. Die italienische LGBTIQ-Bewegung feierte in mehreren Städten zwischen Mailand und Neapel ihren traditionellen Pride. Aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen gab es keine karnevalesken Umzugswagen, dafür klare politische Botschaften. In der Hauptstadt Rom lautete ein Slogan: »Schafft das Konkordat ab! Beschließt das Zan-Gesetz!«

Der Slogan verweist auf einen beispiellosen Vorgang: Zum ersten Mal hat der Vatikan auf Basis des Konkordatsvertrags versucht, in die italienische Gesetzgebung einzugreifen. Zu Beginn vergangener Woche hatte der Vatikan beim italienischen Außenministerium mit einer diplomatischen Verbalnote Protest eingereicht. Grund war ein im Parlament diskutierter Gesetzentwurf, der Homo- und Transfeindlichkeit bekämpfen soll. Es handelt sich um eine Ergänzung des bestehenden Antidiskriminierungsgesetzes Legge Mancino, das Hasspropaganda und die Anstiftung zu rassistischer, ethnischer und religiös motivierter Gewalt unter Strafe stellt. Der umstrittene Gesetzentwurf ist als Legge Zan bekannt, nach seinem Initiator, dem Abgeordneten Alessandro Zan vom linksliberalen Partito Democratico. Er sieht vor, zukünftig auch Diskriminierungsdelikte zu sanktionieren, die sich gegen das Geschlecht, die Genderidentität und die sexuelle Orientierung richten (Viel mehr als Zan).

Der Vatikan sieht dadurch seine im Konkordat garantierte Verkündigungs- und Lehrfreiheit gefährdet. Die Gegner des Gesetzes befürchten, dass die Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe und Elternschaft von der italienischen Justiz als Diskriminierung ausgelegt und bestraft werden könnte. Kritisiert wird außerdem die geplante Einführung eines nationalen Aktionstags, mit dem an Schulen eine »Kultur des Respekts« für Homo, Bi-, Inter- und Transsexu­elle beworben werden soll. Der Vatikan verlangt, dass katholische Schulen von diesem Pflichtprogramm befreit werden.

Verteidiger des Gesetzes betonen, dass eine solche Verpflichtung gar nicht vorgesehen sei. Außerdem werde im Gesetzentwurf ausdrücklich »Meinungsfreiheit« eingeräumt. Das Konkordat wurde 1929 in Rom zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien unter der faschistischen Regierung Benito Mussolinis geschlossen. Seit 1984 gilt eine revidierte Fassung, wonach der Katholizismus nicht mehr Staatsreligion ist. Dennoch wusste sich der Vatikan seinen Einfluss auf die italienische Politik jahrzehntelang über die katholische Partei Democrazia Cristiana zu sichern. Doch seit diese Partei 1994 nach einer Reihe von Korruptionsskandalen aufgelöst wurde, ist die Verbindung des Vatikans zur italienischen Politik komplizierter geworden.

Für die Tageszeitung Corriere della Sera ist die bisher einmalige direkte ­Intervention des Vatikans auch als Kritik an der italienischen Bischofskonferenz zu verstehen. Deren Vorsitzender, Kardinal Gualtiero Bassetti, protestierte zwar gegen die Nennung der »Gender­identität«; die zu schützen, stelle in für die Kirche inakzeptabler Weise die gottgegebene Geschlechterordnung in Frage, weswegen Bassetti ein »anthropologisches Chaos« prophezeite. Doch sprach er sich nicht grundsätzlich dagegen aus, den Diskriminierungsschutz zu erweitern. Seine Amtsvorgänger hatten dagegen noch offen die Allianz mit den erzkonservativen bis klerikalfaschistischen Kräften der rechten Parteien propagiert.

Fundamentalistische Christen sind in Italien vor allem in der rechtsextremen Partei Lega organisiert. Der Blockade der Lega im Verbund mit Forza Italia und Fratelli d’Italia ist es geschuldet, dass die Legge Zan in der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, seit Monaten nicht zur Abstimmung kommt. In der Abgeordnetenkammer ist das Gesetz schon im November 2020 verabschiedet worden.

Vor allem die Lega führt einen Kreuzzug gegen eine vermeintliche Gender­ideologie, den sie selbst als Kampf für die Meinungsfreiheit deklariert. Durch die diplomatische Note aus dem Vatikan fühlt sie sich nun bestätigt. Ihr Vorsitzender, Matteo Salvini, drängt auf eine »Neuverhandlung« der Gesetzesvorlage auf Basis eines eigenen Entwurfs, wonach erst der homophobe gewalttätige Angriff, nicht schon die Hassrede besonders unter Strafe gestellt werden soll. Eine Bezugnahme auf den Schutz vor Hass und Gewalt für Transgenderpersonen fehlt völlig.

Würde der Gesetzestext der Legge Zan im Senat neu verhandelt, müsste er auch der Abgeordnetenkammer noch einmal zur Abstimmung vorgelegt werden. Das Verfahren ließe sich somit immer weiter verzögern. Vielleicht ­spekuliert die Lega aber auch darauf, dass der Vatikan mit seiner Protest­note an das katholische Gewissen einiger linksliberaler Senatsmitglieder ­appellieren konnte. Würden sie gegen ihre jeweilige Fraktion stimmen, könnte das Gesetzesvorhaben aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse scheitern.

Doch scheint dieses Kalkül nicht aufzugehen. Auch viele Gläubige missbilligen die vatikanische Einmischung. Katholische Basisgruppen distanzierten sich von dieser Art »Kulturkampf«. Ministerpräsident Mario Draghi stellte klar, dass Italien »kein konfessioneller Staat« sei. Außerdem kritisierte er auf dem EU-Gipfel am Donnerstag voriger Woche seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán für dessen LGBTIQ-feindliche Gesetzgebung.

Alessandro Zan mahnte am Wochenende auf der Pride in Mailand, dieselbe kritische Haltung müsse im eigenen Land gelten; eine Neuverhandlung der Gesetzesvorlage mit Orbáns Freunden von der Lega dürfe es nicht geben. Der Partito Democratico und der Movimento 5 Stelle drängen auf eine Abstimmung im Senat noch vor der Sommerpause. Ob die Legge Zan dann eine Mehrheit erhält und rechtskräftig wird, steht aber noch nicht fest.