Merchandise, Spenden, Reisen – die Geschäfte von »Querdenkern«

Querdenken muss sich lohnen

Merchandise, Spenden, Busreisen – die Bewegung der »Querdenker« ist ein Geschäftsfeld. Auch manche Ärzte wollen mitverdienen.

Der Inhaber des Markennamens einer Protestbewegung trifft sich mit dem Gründer von Phantasiekrankenkassen und -banken, um künftige Arbeitsschritte zu besprechen. Was nach einem schlechten Witz klingt, geschah einem Bericht der Ostthüringer Zeitung zufolge Mitte November im thüringischen Saalfeld / Saale. Demnach traf Michael Ballweg, der Gründer der Bewegung »Querdenken«, dort Peter Fitzek zu Gesprächen, eine öffentlich bekannte Figur aus dem Milieu der »Reichsbürger«.

Wie Fitzek der Zeitung bestätigte, habe es sich um »ein Arbeitstreffen mit Querdenken« gehandelt, man habe versucht, »nächste Arbeitsschritte zu organisieren«, und diskutiert, wie die »Organisation einer neuen menschlichen Form des Zusammenleben« zu bewerkstelligen sei. Fitzek hatte sich 2012 zum Oberhaupt seines Phantasiestaats »Königreich Deutschland« ernennen lassen. Zuvor hatte er bereits versucht, eine eigene Krankenkasse zu gründen, was die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht jedoch unterbunden hatte. Zwischen 2009 und 2013 hatte er in Wittenberg ungenehmigte Bankgeschäfte betrieben. Unter anderem wegen unzulässiger Versicherungsgeschäfte wurde Fitzek zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, im Februar 2019 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen.

Viele »Ärzte für Aufklärung« sind Privatärzte und bekunden Sympathien für Heilpraktikertum, Naturheilkunde und Alternativmedizin.

Die öffentliche Diskussion, die das Treffen zwischen Ballweg und Fitzek ausgelöst hatte, drehte sich hauptsächlich um die politische Nähe zwischen den »Querdenkern« und Reichsbürgern. Dabei kann diese als erwiesen gelten: So sprach Ballweg bereits im August von seiner Bewegung als »verfassunggebender Versammlung« und rief dazu auf, bei einer Großdemonstration in Berlin »gemeinsam mit uns an der neuen Verfassung zu arbeiten«. Die Forderung nach einer neuen Verfassung ist das Hauptanliegen der Reichsbürger, die das Grundgesetz als »Besatzungsrecht« betrachten.

Wenig beachtet blieb in der Debatte, dass sich zwei Geschäftsmänner in Saalfeld getroffen hatten. Ballweg ließ sich im Juni die Markenrechte an »Querdenken 711« sichern. Da war die sogenannte Bewegung schon längst ein Franchise mit Ablegern in ganz Deutschland, nach Postleitzahlen sortiert und mit einheitlicher corporate identity. Der Verkauf des Merchandise von »Querdenken 711« ist ebenso ein Zweig des Protestgeschäfts wie die professionell von »Honk 4 Hope« organisierten Busreisen zu den Demonstrationen.

Der Anwalt Ralf Ludwig, eine weitere prominente Figur der »Querdenker«, ist Schirmherr der Initiative »Das Volk gegen Corona«, die auf ihrer Website um Spenden bittet. Diese gehen auf das niederländische Konto der niederländischen Firma Medical Research Systems, vorgeblich »um dem deutschen Staat eine Blockade zu erschweren«. Auf dieses intransparente Art des Spendensammelns wiesen jüngst Netzpolitik.org und die ZDF-Sendung »Frontal 21« hin. »Querdenken 711« darf wegen der fehlenden Gemeinnützigkeit zwar keine Spenden annehmen, bittet aber um Schenkungen, die auf Ballwegs Privatkonto landen.

Auch die Stiftung »Ärzte für Aufklärung« mischt in dem Milieu mit. Sie verbreitet dem Bezirksamt von Berlin-Neukölln zufolge Flugblätter mit irreführenden Behauptungen zu Zwangsimpfungen und dem Recherchezentrum Correctiv zufolge in Videos teils irreführende Informationen über Gesichtsmasken, PCR-Tests und mögliche Covid-19-Impfstoffe. Die Hamburger Ärztekammer hat sich von der Gruppe distanziert. Kai-Uwe Helmers vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte beobachtet sie schon länger. »Es handelt sich um randständige Kollegen, die versuchen, privatärztlich mit nicht notwendigen Therapien Geld zu verdienen«, sagte er der Jungle World. Kaum einer der selbsternannten Aufklärer habe nennenswerte Publikationen vorzuweisen, einige hätten kaum oder gar nicht praktiziert.

Dafür sind manche geschäftstüchtig. Der Hamburger »Ganzheitsarzt« Marc Fiddike, der von den »Ärzten für Aufklärung« als Unterstützer geführt wird, lädt Kassenpatientinnen und -patienten seiner Website zufolge »zu einem zehnminütigen kostenlosen Erstgespräch (gesetzlich Versicherte)« ein, beim Wunsch von Kassenpatienten nach einer »ausführlichen Besprechung« ist »ein Erstgespräch über 30 Minuten oder länger möglich« – die »Kosten dafür wären dann ab 95 Euro«. Viele »Ärzte für Aufklärung« sind Privatärzte und bekunden Sympathien für Heilpraktikertum, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Helmers vermutet, die meisten nutzten die Demonstrationen der »Querdenker«, um Reklame für ihre Praxen zu machen.

Die Ärztegruppe existierte schon vor den Demonstrationen: Auf einer alten Version der Website des im Mai initiierten »Außerparlamentarischen Corona-Untersuchungsausschusses« (ACU) ist als Spendenkonto die Bankverbindung von »Dr. med. Walter Weber« zu finden, einem der »Ärzte für Aufklärung«. Dieselbe Bankverbindung findet sich als Spendenkonto einer Website namens »Wirkraft«, dort allerdings wird als Kontoinhaber »Mike Ahrend« angegeben.

Auf »Wirkraft« wirbt Heiko Schöning unter dem Slogan »Friedlicher Wohlstand für alle ist machbar« für eine vage Sozialutopie. Er engagiert sich ebenfalls im ACU und bei den »Ärzten für Aufklärung«. Zur Utopie von »Wirkraft« gehört auch eine »Bürgschaftsbank«, bei der Interessierte einzahlen können. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Bank, sondern wieder um dasselbe Bankkonto von »Dr. med. Walter Weber« beziehungsweise »Mike Ahrend«.

Olav Müller-Liebenau, einer der Köpfe der »Ärzte für Aufklärung«, bestätigt die Kontakte zwischen Weber und Schöning am Telefon. Mit Schöning habe man aber nicht mehr so viel zu tun, er sei auf seine Geschäfte konzentriert. Müller-Liebenau warnt vor der »Corona-Diktatur«, Demonstrationen könnten bald nicht mehr stattfinden, man müsse sich nach neuen Strategien umschauen. »Propaganda, alles wie bei Stalin«, sagt er. Gegen Covid-19 genüge Zink und Vitamin C. Virologen wie Christian Drosten hätten »keine Ahnung«, der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sei »ein gefährlicher Propagandist«. Solle besser Müller-Liebenau selbst zu Corona befragt werden? »Ja, ich finde schon.«

Müller-Liebenau betreibt eine Privatpraxis, in der er auch eine »biologische Krebstherapie« anbietet. Der Begriff wird häufig gleichbedeutend mit »ganzheitlicher Krebstherapie« verwendet und ist rechtlich nicht geschützt. Walter Weber beschäftigt sich mit der »psychosomatischen Krebstherapie« und arbeitet einem von ihm veröffentlichten Buch zufolge »mittels einer speziellen Gesprächsbehandlung« gemeinsam mit Krebserkrankten »an deren psychischer Verfassung und damit an ihrer Heilung«.

Michael Ballweg ist vom Engagement der »Ärzte für Aufklärung« offenbar angetan. Dem Portal Belltower News sagte er im November, er wolle auch nach dem Ende der Pandemie weiter protestieren, unter anderem gemeinsam mit den »Ärzten für Aufklärung«. »Da werden sich viele Dinge daraus ergeben, die ergeben sich ja jetzt schon«, so Ballweg. Was sich bislang ergeben hat, sind strategische Partnerschaften für ein Protest-Franchise, das noch für eine ganze Weile Anhängerschaft, Aufmerksamkeit und Geld generieren könnte. Der Verschwörungsglaube verspricht, ein lukratives Geschäftsfeld zu bleiben.