Homestory #49

Vom »Aufbruch in eine neue Zeit« und der »neuen Freiheit« ist die Rede, vom »voll integrierten Arbeitsplatz« zu Hause. »Ist das die Arbeitsform der Zukunft?« fragt der Sprecher. Bei solchen Sätzen zucken Redakteurinnen und Redakteure der Jungle World nur gelangweilt mit den Schultern. Schließlich befinden sie sich seit März im Homeoffice, sind mittlerweile also alte Häsinnen und Hasen, was die Heimarbeit angeht. Doch nicht der Inhalt dieser Sätze ist aufsehenerregend, sondern das Datum, an dem sie veröffentlicht wurden. Am 7. November 1986 strahlte das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) in der Sendereihe »MTW – Menschen, Technik, Wissenschaft« einen Beitrag mit dem Titel »Arbeiten von zu Hause« aus. Statt vom Homeoffice ist darin zwar drollig-umständlich von »Teleheimarbeit« die Rede. Doch ansonsten muss man den Kolleginnen und Kollegen, die damals für das Schweizer Fernsehen tätig waren, einen guten Riecher für Zukunftsthemen attestieren. Auch was die sozialen Folgen der Heimarbeit angeht, machten sie sich offenbar keine Illusionen. »Die Gefahr ist sehr groß, dass der Arbeitsplatz den Lebensraum und dadurch die Lebensqualität der ganzen Familie vermindert«, heißt es da. Zudem wird vor der »Gefahr einer sehr monotonen Arbeit« gewarnt. »Wir haben festgestellt, dass bei Frauen die Gefahr besteht, dass in der häuslichen Umgebung Isolationseffekte auftreten«, sagt ein befragter Wissenschaftler. Und beinahe hellseherisch klingt die Frage des Sprechers: »Ändert sich gar das Freizeitverhalten?« Ja, möchte man antworten – wobei die Verhaltensveränderung derzeit aber eher der Pandemie und den Gegenmaßnahmen geschuldet ist als dem technischen Fortschritt. Den Seuchenfall haben die Macherinnen und Macher der Sendung dann doch nicht vorausgesehen. Das wäre ja auch unheimlich.

Was in der Sendung als Begleiterscheinung des Homeoffice unerwähnt bleibt: Keine Kollegin steht plötzlich mit einem Teller Plätzchen am Tisch und sagt: »Bedien’ dich.« Kein Kollege sorgt für wohligen Duft, indem er in der Küche einen großen Topf Glühwein ansetzt. Alles muss man selbst machen. Und das ist gar nicht so einfach, wenn man erst einmal allein den Glühweintopf geleert hat. Trotz solcher Widrigkeiten können wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auch in dieser Woche eine neue Ausgabe präsentieren. Vielleicht blättert jemand in 35 Jahren in ihr und entdeckt zukunftsweisende Worte.