Linda Scotts »Das weibliche Kapital«

Gender, Kapital und Frieden

Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Linda Scott fordert in ihrem Buch »Das weibliche Kapital« dazu auf, die Armut von Frauen entschiedener zu bekämpfen und weibliche Karrieren zu fördern. Den ökonomischen Machtzuwachs von Frauen hält sie nicht nur für entscheidend, um die globale Wirtschaft zu stärken, sondern auch für einen Beitrag zum Weltfrieden.

Linda Scotts Studie »Das weibliche Kapital« ist eine auf zahlreiche Datenerhebungen und Statistiken gestützte Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Situation von Frauen und ein entschiedenes Plädoyer für ihre ökonomische Stärkung – nicht nur, um die wirtschaftliche Lage der Frauen zu verbessern, sondern auch, um die Ökonomie insgesamt zu beleben. Das Buch der emeritierten Professorin für Entrepreneurship und Innovation an der Universität Oxford, das im englischen Original unter dem Titel »The Double X-Eco­nomy. The Epic Potential of Women’s Empowerment« erschienen ist, erhebt den Anspruch, ein umfassendes Bild der ökonomischen Lage von Frauen sowohl in Entwicklungs- und Schwellenländern als auch in den Ländern des Westens zu zeichnen.

Scott untersucht nicht nur die Situation von Frauen in den Bereichen Lohnarbeit, Familie und Reproduktion, sondern widmet sich unter frauenspezifischen Gesichtspunkten auch der Konsum- und Finanzsphäre, den Besitzverhältnissen, der unternehmerischen Aktivität sowie ganz allgemein dem Handel und dem Weltmarkt. Sie kommt zu dem Schluss, dass »ökonomische Hindernisse sowie kulturelle Beschränkungen« eine »spezifisch weibliche Schattenwirtschaft« entstehen lassen, die sie – in Anspielung auf den biologisch geschlechtsbestimmenden weiblichen Chromosomensatz – als »XX-Ökonomie« oder als »das weibliche Kapital« bezeichnet. Scott zufolge ist der wirtschaftliche Ausschluss von Frauen und die daraus resultierende Abhängigkeit von Männern eine Konstante, die sich in verschiedenen Ausprägungen und unterschiedlicher Intensität in allen Ländern der Welt zeigt. Die Ursachen dafür reichen weit in die Geschichte zurück und stehen in engem Zusammenhang mit den materiellen Lebensbedingungen. Weitreichende Folgen hatte etwa der Ausschluss der Frauen vom Grundbesitz, der als Ressource die Bildung und Anhäufung von Kapital ermöglichte und zugleich landwirtschaftliches Produktionsmittel war. Doch »in zig Zivilisationen und Kulturen und Jahrhundert über Jahrhundert«, so die Autorin, »konnte Land nur von einem Mann an den nächsten weitergegeben werden«.

Besonders erschütternd ist Scotts Schilderung der aktuellen Situation von Frauen in den Entwicklungsländern, die sie aus ihrer Arbeit bei lo­kalen Projekten an verschiedenen Orten kennt. Anhand von Forschungsergebnissen und zahlreichen konkreten Beispielen führt sie eindrücklich vor Augen, dass Frauen auch im 21. Jahrhundert in großen Teilen der Welt noch immer elementare Freiheiten und Rechte verwehrt werden, vor allem wenn es um sexuelle Selbstbestimmung und Eheschließung geht: Sie werden durch die Erhebung eines »Brautpreises« als Objekte ohne Mitbestimmungsrecht gehandelt, sie stehen mit ihren Kindern völlig mittellos da, wenn ihre Ehemänner sie verlassen; ihre Sexualität ist der Kontrolle von Männern unterworfen. Frauen dürfen in manchen islamisch geprägten Gesellschaften das Haus nur in Begleitung von Verwandten verlassen und werden Opfer von »Ehrenmorden«, wenn sie gegen religiöse Verhaltensvorschriften verstoßen. Überall auf der Welt werden Mädchen und Frauen versklavt, erleiden sexuelle und häusliche Gewalt oder müssen als Prostituierte arbeiten.

In der Geschichte westlicher Länder leitete die Christianisierung mit dem Verbot der Polygamie und einer als notwendig erachteten Zustimmung der Frau zur Heirat einen Wandel ein. Auch wenn die Kirche über Jahrhunderte hinweg wesentlich zum Erhalt patriarchaler Strukturen beitrug, war dies eine Veränderung, die »der Frau zum Status einer eigenständigen Person verhalf und den Status als Eigentum zurückdrängte«, wie Scott ausführt. In westlichen Ländern haben sich Frauen weitgehende rechtliche Gleichstellung erkämpft, erleben aber dennoch zahlreiche Benachteiligungen im Alltag. Dazu gehören etwa ein sexistisches Klima am Arbeitsplatz oder dass Frauen, etwa durch Mobbing, aus bestimmten akademischen Disziplinen gedrängt werden, wie Scott es für die Wirtschaftswissenschaften belegt. Eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu mehr ökonomischer Gleichheit ist die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit, die weiterhin vor allen auf Frauen übertragen wird und dazu führt, dass Frauen weniger Zeit für bezahlte Arbeit haben und oft nur Teilzeitjobs bekommen. Zahlreiche Studien zeigen zudem, dass das Durchschnittsgehalt von Frauen sinkt, wenn sie Kinder bekommen haben. Das ist zwar nichts Neues, wird aber von Scott mit Daten überzeugend belegt.

Frauenhände an einer Nähmaschine

Frauen in Bangladesh, Indien und Vietnam nähen für den Weltmarkt

Bild:
mauritius images / Luka Storm

Die ökonomische Stärkung von Frauen wird im Buch nicht nur als Schlüssel zu einer prosperierenden Wirtschaft gepriesen, sondern auch als Allheilmittel beschworen, um zentrale Probleme der Welt zu lösen. Scott ist der Ansicht, die Weltgesellschaft könne durch die wirtschaftliche Einbeziehung von Frauen »in eine nie dagewesene Ära des Friedens und Wohlstands eintreten«. Mit Blick auf Länder, in denen Frauen ganz grundlegende Selbstbestimmungsrechte verwehrt sind, mag man dem Argument, wirtschaftliche Eigenständigkeit helfe Frauen dabei, sich barbarischen traditionellen und religiösen Praktiken zu entziehen, durchaus einiges abgewinnen. Es greift allerdings zu kurz, die Ursache für Benachteiligung und Unterdrückung nur in der fehlenden wirtschaftlichen Eigenständigkeit von Frauen zu sehen. So wichtig es ist, die ökonomischen Grundlagen dafür zu schaffen, dass Frauen solche Zwangsverhältnisse verlassen können, so wichtig ist die Bekämpfung jener Ideologien, die diese legitimieren. Frauen unterwerfen sich auch ohne ökonomische Notwendigkeit solchen Strukturen, weshalb diese nicht in erster Linie, wie Scott behauptet, »Vertuschungsmaßnahmen« darstellen, die helfen, den ökonomischen Vorteil zu verschleiern, den Männer daraus ziehen. In islamischen Staaten etwa ist die Kontrolle der Frau und ihrer Sexualität nicht nur Folge ihrer ökonomischen Abhängigkeit, sondern vor allem elementar für die Konstitution einer antimodernen, religiös legitimierten Gemeinschaft und die spezifische Triebstruktur insbesondere ihrer männlichen Mitglieder.

Schade ist auch, dass Scotts Bezugsgröße für »Wohlstand« zumeist das jeweilige Bruttoinlandsprodukt darstellt, welches Statistiken zufolge durch frauenfreundlichere Bedingungen steige. Interessanter wäre es da gewesen, in solche Analysen auch Daten zur Lohnentwicklung, zum Zustand der Sozialsysteme sowie sozialer Ungleichheit miteinzubeziehen. Mit dem Bruttoinlandsprodukt lässt sich zwar abbilden, ob eine Gesellschaft im Vergleich zu anderen wohlhabend ist, es gibt jedoch keine Auskunft darüber, wie Einkommen und Vermögen innerhalb der Gesellschaft verteilt sind. Gesamtgesellschaftliche Prekarisierungstendenzen bleiben unberücksichtigt und dürften vermutlich auch die Wirtschaftswissenschaftler, die Scott mit diesen Statistiken von ihrem Anliegen überzeugen möchte, wenig interessieren.

Zwar will Scott die gesellschaftlich tief verwurzelten patriarchalen Strukturen herausstellen, reduziert diese jedoch allzu oft bloß auf sexistisches, destruktives Verhalten von Männern, die an ihren Privilegien festhielten und »ihren Willen über die von ihnen dominierten Institutionen« durchsetzen. Dabei lässt sie außer Acht, welche Funktion das Geschlechterverhältnis für die bürgerliche Gesellschaft hat. So bleibt ihre Aufmerksamkeit für die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, die Ermöglichung gleicher Karrierechancen und des Aufstiegs zur Unternehmerin zu sehr in der Logik kapitalistischer Verhältnisse gefangen, um die grundlegende Funktion unbezahlter Reproduktionsarbeit für diese zu erkennen. Zwar kritisiert Scott, dass jener kein »Wert« beigemessen werde, sie sieht dies aber hauptsächlich im Sexismus der Wirtschaftswissenschaftler begründet. Dass Reproduktionsarbeit und Care-Tätigkeiten aufgrund ihrer geringen bis nicht vorhandenen Profitabilität gemäß der Logik des Kapitalismus entweder als unbezahlte Arbeit oder eben als notwendig prekäre Dienstleistung erfolgen müssen, erkennt sie leider nicht. Zwar können solche Tätigkeiten durch soziale Kämpfe oder Reformen, wie sie Scott vorschlägt, in einem gewissen Rahmen aufgewertet oder in das Sozialsystem verlagert werden, aber letztlich bleibt Reproduktionsarbeit ein systemimmanentes Hindernis für die Emanzipation von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft, das es auch aus feministischen Gründen notwendig macht, über diese Verhältnisse hinauszudenken.

Auch sonst interessiert sich Scott kaum für grundlegende Funktionsbedingungen kapitalistischer Gesellschaften, die sich nicht einfach so aushebeln lassen: Wachstum hält sie zwar für ein »Charakteristikum patriarchaler Ökonomien«, übersieht dabei aber, dass der Kapitalismus auch in der von ihr angestrebten »frauenfreundlichen« Marktwirtschaft des Wachstums bedarf. Bisweilen vermittelt die Lektüre fast den Eindruck, Frauen seien den Zwängen des Markts und der Konkurrenz weniger unterworfen und könnten deshalb moralischer wirtschaften. Unternehmerinnen mögen vielleicht für ein weniger sexistisches Klima im Betrieb sorgen, höhere Löhne zahlen sie deshalb aber noch lange nicht. Wenn sie keinen entsprechenden Profit generieren, werden auch sie an der Konkurrenz scheitern. Bessere und sozial verantwortlichere Konsumentinnen seien Frauen ebenfalls, weshalb sie statt mit Frauenstreiks lieber durch Konsumverweigerung in der Weihnachtszeit Druck aufbauen sollen, so Scott. Da stellt sich allerdings die Frage, wie prekär ­lebende Frauen eigentlich einen Konsum verweigern sollen, den sie sich schon zuvor nicht hatten leisten können.

Natürlich ist das Engagement für graduelle Verbesserungen der Lage von Frauen, die auch im Kapitalismus möglich sind, begrüßenswert. Indem Scott aber dessen systemimmanente Logik unangetastet lässt und nicht über sie hinausdenkt, bleibt das emanzipatorische Potential ungenutzt, das ihren Analysen zum Teil innewohnt. Auch wenn der deutsche Titel »Das weibliche Kapital« suggeriert, die Autorin wolle in die Fußstapfen von Marx treten, darf man bei Scott keine radikale Kritik an der kapitalistischen Spezifik von Frauenunterdrückung erwarten.

Die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen, denen man immerhin zugutehalten kann, dass sie nicht nur auf bessergestellte Frauen zielen, sind allenfalls als sozialdemokratisch zu bezeichnen. Ihr Vorhaben, globale Armut durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage von Frauen zu bekämpfen, dürfte daher nur begrenzte Erfolgsaussichten haben. Von der Menge an validen Daten und anschaulichem Material zur globalen Situation von Frauen können dennoch auch materialistisch-feministische Analysen profitieren.

Linda Scott: Das weibliche Kapital. Aus dem Englischen von Stephanie Singh. Hanser, Berlin 2020, 416 Seiten, 26 Euro

 

Linda Scott ist emeritierte Professorin für Entrepreneurship und Innovation an der Universität Oxford. Sie forscht zur wirtschaftlichen Rolle der Frauen und zu den ökonomischen Folgen des Ausschlusses von Frauen aus dem Erwerbsleben. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist sie als Beraterin unter anderem für die Vereinten Nationen, verschiedene Think Tanks und internationale Unternehmen tätig.