Versuche, die US-amerikanische Polizei zu reformieren, scheitern häufig am Einfluss ihrer Gewerkschaften

Eine Bruderschaft in Uniform

Die Gewerkschaften und andere Interessenvertretungen der US-amerikanischen Polizei sind mächtig. Reformversuche, etwa zur Eindämmung von Polizeigewalt, scheitern häufig an ihrem Einfluss.

In den USA ebben die Proteste nicht ab. Das Land erlebt eine Welle an Demons­trationen gegen Rassismus und Polizeigewalt, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gab. Ernsthafte Reform­an­strengungen lassen ebenso auf sich warten wie eine entschiedene Strafverfolgung gegen Polizisten. Das neueste Beispiel ist die Anklage gegen Brett Hankison, einen von drei Polizeibeamten, die am 13. März die 26jährige afroamerikanische Krankenschwester Breonna Taylor während einer missglückten Drogenrazzia in ihrer Wohnung in Louis­ville im Bundesstaat Kentucky erschossen. Ihm wird nicht etwa Totschlag oder gar Mord vorgeworfen, sondern lediglich »mutwillige Gefährdung«. Deshalb kam es zu Protesten und Ausschreitungen.

Der Berufsverband »Fraternal Order of Police« unterstützt demonstrativ Beamte, die der Anwendung unrechtmäßiger Gewalt bezichtigt werden, und sammelt Spenden­gelder für den Rechtsbeistand.

Es gibt Gründe, warum Reformversuche immer wieder scheitern. Einer der wichtigsten ist der Einfluss der Polizeigewerkschaften. Ein Blick in die Geschichte hilft, diesen Umstand zu erklären. In der Gründungszeit der Vereinigten Staaten gab es eine organisierte Polizei im eigentlichen Sinne nicht. Erst ab 1880 entstanden in den meisten Städten professionelle Polizeiämter, zumindest in den Nordstaaten, wie der US-amerikanische Historiker Gary Potter 2013 in seiner Dissertation »The History of Policing in the United States« darlegt. In den Südstaaten wurden bereits ab 1704 »Sklavenpatrouillen« organisiert, um die Verfügungsgewalt der weißen Sklavenhalter über die aus Afrika verschleppten Sklaven durchzusetzen.

Das historische Verhältnis der Polizei zu den Gewerkschaften war antagonistisch. Die Polizeiapparate wurden häufig dazu genutzt, die aufkeimende Arbeiterbewegung zu unterdrücken, oftmals mit Gewalt. »In der Zeit vor dem New Deal sah man Gewerkschaften als illegitim an«, sagte der Historiker Sam Mitrani im Juli dem Magazin Rolling Stone. »Die Polizeiapparate wurden größtenteils als Reaktion auf die Arbeiterbewegung aufgebaut.« Während der Great Migration des frühen 20. Jahrhunderts, der Abwanderung von Afroamerikanern aus den Südstaaten in die Nordstaaten, wurden die Polizeietats in den Städten des Nordens deutlich erhöht, vermutlich als Reaktion auf den Zuzug, wie die Historikerin Ellora Derenoncourt von der Universität Princeton darlegt.

Erst im Zuge der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre legte die Polizei ihre Abneigung gegenüber Gewerkschaften ab. »In den frühen siebziger Jahren hatte fast jede städtische Polizei eine eigene Gewerkschaft«, schreibt Potter. Diese Gewerkschaften erfüllen jedoch eher die Funktion aggressiver Lobbyorganisationen. Meist waren sie rassistisch geprägt, manche sind es weiterhin. Die Folgen für die Bevölkerung sind dramatisch, besonders für Schwarze. Phillip Atiba Goff, der Vorsitzende der Forschungsorganisation Center for ­Policing Equity, die zusammen mit etwa 40 Po­lizeidienststellen und Strafver­folgungsbehörden in den USA an Reformen arbeitet, bezeichnet den Einfluss der Polizeigewerkschaften als eines der größten Hindernisse bei den Versuchen, Änderungen zu bewirken: »Viele Polizisten befürchten keine Konsequenzen ihres brutalen Vorgehens, weil es sehr schwierig ist, gewerkschaftlich organisierte Polizisten zu entlassen.« Zudem gibt es die bundesrechtliche Doktrin der qualified immunity, eine Immunitätsregelung, die es beinahe unmöglich macht, dass Opfer von Polizeigewalt Beamte auf zivilrechtlichem Weg nach 42 US Code, Paragraph 1 983 des Bundesrechts erfolgreich auf Schadenersatz verklagen.

Die wohl größte Berufsorganisation der US-amerikanischen Polizei ist die Fraternal Order of Police (FOP), was auf Deutsch so viel heißt wie »Polizei­bruderschaft«. Sie ist keine Gewerkschaft, sondern ein nationaler Interessenverband mit 330 000 Mitgliedern in 2 200 Ortsverbänden. Die FOP wurde 1915 in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania gegründet und gilt als die wichtigste Lobbyorganisation für Polizisten. »Obwohl die Polizei heutzutage wesentlich mehr Diversität aufweist, scheint sich die FOP vor allem weißen Männern verpflichtet zu fühlen«, schrieb Paul Butler, ein Jurist, der an der Harvard Law School und der Georgetown University lehrt, im Oktober 2017 in einem Artikel im Magazin The Nation. »Ihre Führungsriege vertritt konsequent Positionen, die in Konflikt mit der Sicherheit und den Rechten von Afroamerikanern stehen. Das wirkt sich rückschrittlich auf die Polizeiarbeit aus, insbesondere in Bezug auf Bürgerrechte.« Da die Zahl der Mitglieder der FOP beständig wächst, verfügt die Organisation über die nötigen Mittel, um Reformbestrebungen vor Gericht anzufechten, wie die New York Times im Juni berichtete. Steve Fletcher, der im Stadtrat von Minneapolis sitzt, gab an, dass in der FOP organisierte Beamte auf ­Reformversuche mit der Missachtung von Notrufen und vorsätzlicher Langsamkeit bei Einsätzen reagierten. Er sprach von einer Dynamik, die an eine Schutzgelderpressung erinnere.

Bei der Präsidentschaftswahl 2016 unterstützte die FOP Donald Trump, der sich bei Polizeibeamten weiterhin großer Beliebtheit erfreut – womöglich weil er sich entschieden gegen die Politik seines Amtsvorgängers Barack ­Obama stellt. Noch bis Anfang 2017 bekämpfte das US-Justizministerium unter Justizminister Eric Holder und seiner Nachfolgerin Loretta Lynch Machtmissbrauch und Rassismus in der ­Polizei. So hatte das Ministerium mit mehreren Polizeibehörden Reformabkommen ausgehandelt, die jedoch die Regierung Trump nach und nach außer Kraft setzte. Das wiederum ist ganz im Sinne der Polizeiorganisation.

»Viele Polizeigewerkschaften geben jährlich Millionen von Dollar aus, um Leute ins Amt zu bringen, die ihre Positionen unterstützen«, sagte Paul Butler dem nichtkommerziellen Radiosender NPR. Zugleich unterstützt die FOP demonstrativ Beamte, die der Anwendung unrechtmäßiger Gewalt bezichtigt werden, sammelt Spendengelder für deren Rechtsbeistand und hilft ihnen bei der Stellensuche. So vermittelte der Ortsverband der FOP dem Polizisten Jason Van Dyke eine neue Arbeitsstelle, nachdem dieser im Oktober 2014 in Chicago den 17jährigen Laquan McDonald mit 16 Schüssen getötet hatte. Vor der Strafverfolgung konnte die FOP Van Dyke nicht schützen: Er wurde im Januar 2019 zu knapp sieben Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt Auch die Rhetorik der FOP sei oftmals problematisch, so Butler: »In Philadelphia bezeichnete der Vorsitzende der FOP die Demonstranten von Black Lives Matter als eine Gruppe tollwütiger Tiere.« Bob Kroll, der Vorsitzende der FOP in Minneapolis, bezeichnete solche Demonstranten als eine »Terrorbewegung«. So entsteht ein gefährlicher Kreislauf: Je heftiger die Polizei kritisiert wird, desto beharrlicher unterstützen die Gewerkschaftsmitglieder reform­unwillige Hardliner wie Kroll.