Zur nordrhein-westfälischen Kommunalwahl traten auch Kandidaten aus dem islamistischen Umfeld an

Mit Allahs Hilfe in den Stadtrat

Zu den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen traten für mehrere Parteien Kandidaten an, die islamistischen Vereinigungen angehören oder nahestehen. Kritiker finden kaum Gehör.

Auch Kommunalwahlen können überregional für Gesprächsstoff sorgen. In Nordrhein-Westfalen stehen sie am 13. September an, für Diskussionen sorgten in den vergangenen Wochen Kandidaten aus dem Milieu der islamischen Rechten. In Bielefeld erregte die Kandidatur von Selvet Kocabey für die Grünen die Gemüter. Der 39jährige war bis vor kurzem Funktionär der Hicret-Moscheegemeinde im Stadtteil Brackwede, die zur Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) gehört. Erst nachdem der Landesverband der Grünen an der Kandidatur Kocabeys Anstoß genommen hatte, legte dieser seine Ämter in der Moscheegemeinde nieder.

Millî Görüş ist die mit Abstand bedeutendste islamistische Organisation hierzulande. Die Vereinigung unterhält 518 Moscheegemeinden weltweit, über 300 davon in Deutschland. Eigenen Angaben zufolge hat die IGMG in der Bundesrepublik 31 000 und weltweit 127 000 Mitglieder.

In Bielefeld erregte die Kandidatur von Selvet Kocabey für die Grünen die Gemüter. Er war bis vor kurzem Funktionär einer Moscheegemeinde, die zu Millî Görüş gehört.

Trotz heftiger Kritik hält der Kreisverband an Kocabeys Kandidatur fest. Die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Mona Neubaur, bezeich­nete es als unvereinbar, »in beiden Organisationen in Verantwortung zu stehen«. Der Integrationsbeauftragte der Stadt Bielefeld, Mehmet Ali Ölmez, empörte sich darüber, dass »Grüne die Strategie der Gemeinde nicht erkennen wollen und sich zum Steigbügelhalter dieser Verfassungsfeinde machen lassen«. Die Bielefelder Grünen verwiesen lediglich darauf, dass sie »keine antidemokratischen Bestrebungen, keinen Rassismus und Antisemitismus« in ihren Reihen duldeten. Sie seien »dem Grundgesetz, der Rechtsstaatlichkeit, unserer lebendigen Demokratie und unseren Werten« verpflichtet. Kocabey distanzierte sich in einer Erklärung »von der Millî-Görüş-Bewegung, die aktuell in der Türkei aktiv ist«, und behauptete, dass seine Gemeinde »nicht im Kontakt mit der politischen Linie der Millî Görüş« stehe.

Zu Millî Görüş gehört sie aber offenbar. Auf der Website der IGMG ist eine Karte zu finden, in der alle Moscheegemeinden der Organisation in Deutschland verzeichnet sind. Eine davon ist die Hicret-Moschee im Bielefelder Stadtteil Brackwede. Der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak (CDU), sagte in einem Interview mit dem Westfalen-Blatt, dass »die Hicret-Moschee weiterhin zur IGMG« gehöre und Kocabey zudem »stellvertretender Sprecher des Bündnisses islamischer Gemeinden Bielefeld« sei, das den Rücktritt des Vorsitzenden des Bielefelder Integrationsrats, Ali Mehmet Ölmez, gefordert und diesem mit Verleumdungsklagen gedroht habe. Toprak zufolge sei dieses Auftreten »eben das, was man von ultrakonservativen Islamverbänden kennt«.

Auch bei seiner eigenen Partei spart Toprak nicht mit Kritik. Nachdem Ilhan Bükrücü als Ratskandidat für die Christdemokraten in Gelsenkirchen aufgestellt worden war, forderte Toprak, dessen Namen wieder aus der Kandidatenliste zu streichen. Bükrücü soll vor vier Jahren den Wahlkampf der AKP in Deutschland unterstützt haben und dafür sogar von der Partei ausgezeichnet worden sein. Zudem soll er in einem Posting den Völkermord an den Arme­niern geleugnet haben. Bükrücü wird in einem internen Bericht der CDU erwähnt, in dem es um den Einfluss der AKP in der Partei geht. Er ist Inhaber eines ambulanten Pflegedienstes und saß bereits in der noch laufenden Legislaturperiode für die CDU im Gelsenkirchener Stadtrat. Ende August erklärte Bükrücü dem Portal Der Westen zufolge den Verzicht auf seine Kandidatur.

Am »Tag der offenen Moschee« besuchte im vergangenen Jahr der sozi­aldemokratische Oberbürgermeister von Remscheid, Burkhard Mast-Weisz, in Begleitung seines Parteikollegen Sven Wolf, des Vizefraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag, die örtliche Ülkü-Ocagi-Moschee der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF). Der Dachverband gilt als deutscher Ableger der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), des politischen Arms der Grauen Wölfe.

In Deutschland vertreten drei Dachorganisation diese Partei. Eine von ihnen ist die in Köln ansässige Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB). Der Islamismusexpertin Sigrid Herrmann-Marschall zufolge könnte dieser Verband bald unter Beobachtung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes stehen. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts des Jahres 2019 im Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags sei dies zumindest in Aussicht gestellt worden.

Deutliche Worte hat der Kreisverband Mönchengladbach der Linkspartei gefunden. »Uns ist egal, in welcher Form uns der Faschismus begegnet, seien es Nazis, AfD oder Graue Wölfe, sei es Islamismus, christlicher Fanatismus oder seien es problematische religiöse (Dach-)Verbände wie Ditib oder Ahmadiyya, welche unmittelbar von den antidemokratischen Führungen anderer Staaten gelenkt werden«, heißt es in dessen Wahlprogramm. Anlass dieser entschiedenen Aussage ist die jahrelange Zusammenarbeit der dortigen CDU mit Personen aus dem Umfeld der Grauen Wölfe (Falken gegen Wölfe - Jungle World 40/2017).

»In Mönchengladbach mussten wir in den vergangenen sechs Jahren einen Integrationsrat unter Dominanz der sogenannten Grauen Wölfe ertragen«, sagte der Kandidat der Linkspartei für das Amt des Oberbürgermeisters, Sebastian Merkens, im Gespräch mit der Jungle World. Der 40jährige kritisiert die »sehr bedenkliche Verschiebung migrationspolitischer Positionen« in der Stadt. So hätten sich viele migran­tische Selbstorganisationen aus dem Rat zurückgezogen oder seien verdrängt worden, während »auf einmal nationalistisch-türkische oder islamistische Themen« im Vordergrund gestanden hätten. Unter dem Deckmantel der interkulturellen Zusammenarbeit sei es den Vertretern der Grauen Wölfe gelungen, Einfluss in den Parteien zu nehmen. Grundlage für diese Unterwanderung ist aus Merkens Sicht die »große Unkenntnis in den Parteien, was solche Strukturen anbelangt«. Deren Vertreter freuten sich, dass »man dem eigenen richtigen Anspruch der Diversität folgen kann, lassen dabei aber völlig außer acht, mit wem man sich so zusammentut«.

Zur diesjährigen Kommunalwahl tritt auch die Partei »Bündnis für Innovationen und Gerechtigkeit« (BIG) an, die der türkischen Regierungspartei AKP nahesteht. Vor sechs Jahren nur in Bonn vertreten, steht sie erstmals in Städten wie Bielefeld, Duisburg und Mönchengladbach zur Wahl. Bei der Gründungsversammlung des Kreisverbands im ostwestfälischen Bielefeld tauchte vor drei Jahren Erhat Toka auf. Das Parteimitglied aus dem niedersächsischen Osnabrück, das eine Kampfsportschule betreibt, wurde bundesweit durch seine Fehde mit dem Kabarettisten Dieter Nuhr bekannt. Toka gilt als hervorragend vernetzt im salafistischen Milieu und verbreitet in den sozialen Netzwerken antizionistische Propaganda.

Das BIG bezeichnet sich als »politisch neutral und offen für alle Religionen«. Der Bielefelder Integrationsratsvorsitzende Mehmet Ali Ölmez hält die Partei dagegen für »islamisch-konservativ geprägt«. Das ist nicht verwunderlich: Spitzenfunktionäre der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD, seit 2018 Union Internationaler Demokraten, UID), eines wichtigen Lobbyvereins der Regierung Erdoğan in Europa, waren maßgeblich an der Gründung der BIG beteiligt.