In Dortmund beschwor ein Hannoveraner Polizist auf einer Kundgebung den Umsturz

Ein Polizist wirbt für den Umsturz

Bei einer Demonstration sogenannter Coronaleugner in Dortmund hielt ein Beamter aus Hannover eine bemerkenswerte Rede.

»Ich bin 57 Jahre alt und Kriminalhauptkommissar.« Die Menge auf dem Dortmunder Hansaplatz applaudiert. Auf der Bühne steht Michael Fritsch. Der Niedersachse liest seine Rede ab. Er sei sich der Bedeutung und der möglichen Wirkung seiner Rede bewusst, sagt er: »Glaubt mir, ich habe mir jedes Wort reiflich überlegt.« Und dann legt der Polizist los: »Es gibt aus meiner Sicht schon lange keine Gewaltenteilung mehr.« Der Politik und den Medienvertretern attestiert er, diese hätten sich »ihr eigenes Grab geschaufelt«.

Fritsch sprach an jenem Sonntag vor anderthalb Wochen vor etwa 2 800 Demonstrierenden. Die Coronaleugner, Impfgegner, Verschwörungsgläubigenund extremen Rechten wollten gegen die Pandemiemaßnahmen demon­strieren – ohne Abstände und Schutzmasken, wie schon eine Woche zuvor in Berlin (Die Freiheit, die sie meinen - Jungle World 32/2020). In Telegram-Chats hatten die selbsternannten »Querdenker« vorher behauptet, die Polizei stehe hinter ihnen. Da kam der niedersächsische Hauptkommissar also gerade recht.

Fritsch zitierte nicht nur den umstrittenen Arzt Sucharit Bhakdi, er beurteilte auch die Pandemieschutzmaßnahmen als verfassungswidrig und forderte seine Kollegen auf, zu demonstrieren, also das Recht in Anspruch zu nehmen, sich illegalen Anweisungen ihrer Vorgesetzten zu widersetzen: »­Jeder von euch trägt die Verantwortung für sein Handeln und wird sich früher oder später dafür rechtfertigen müssen, also schließt euch an!« Dann phantasierte er von einem kommenden Umsturz: »Es liegt an euch allen und unseren Soldaten, ob der anstehende gesellschaftliche Wandel friedlich oder gewaltsam verläuft.« Anschließend verglich er den Nationalsozialismus und die Shoah mit der gegenwärtigen Politik: »Im dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte haben Regierende ihre Sicherheitskräfte schon einmal bedingungslosem Gehorsam unterworfen und sie für die abscheulichsten Verbrechen missbraucht, die einem Menschen je angetan wurden. Mein Bauch sagt mir, dass sich gerade alles in dieselbe Richtung entwickelt.«

»Ich bin mir sicher, dass mein Verhalten dienst- und disziplinarrechtliche Konsequenzen haben wird«, schloss Fritsch seine Rede. Zumindest damit sollte er Recht behalten. Nachdem die Hannoversche Allgemeine Zeitung über seinen Auftritt berichtet hatte, teilte die Polizeidirektion Hannover mit, Fritsch sei die Ausübung der Dienstgeschäfte vorläufig untersagt worden. Man prüfe die Einleitung disziplinarrechtlicher Schritte: »Generell gilt, dass sich Polizeibeamtinnen und -beamte sowohl im Dienst als auch in ihrer Freizeit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Einhaltung einzutreten ­haben.«

Vier Tage nach dem Auftritt in Dortmund veröffentlichte der Bundes­verband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) eine Pressemitteilung: Fritsch sei als Polizist auch für die Bewertung der Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen zuständig gewesen. Wenige Stunden später bestätigte Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe, dass Fritsch an der Sicherheitsprüfung für jüdische Einrichtungen beteiligt ge­wesen sei, und kündigte Konsequenzen an: »Die Polizeidirektion Hannover nimmt den jüngsten Sachverhalt in Dortmund zum Anlass, die auf den Überprüfungen fußenden Sicherheitskonzepte von einer unabhängigen Stelle prüfen zu lassen.«

Den Anlass, die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen zu überprüfen, hatte der antisemitische Terroranschlag im Jahr 2019 geliefert, bei dem der ­Täter versucht hatte, an Yom Kippur die Tür der Synagoge in Halle aufzusprengen, um die Jüdinnen und Juden im Inneren des Gebäudes zu ermorden. In seinem Bekennerschreiben wird deutlich, dass der Täter an antisemitische Verschwörungsmythen glaubt. Auch auf den Demonstrationen der »Coronarebellen« verbreiten Redner häufig solche Ansichten. Im Juli merkte Rias dazu an: »Das antisemitische Grundmuster – die Vorstellung einer geheimen, reichen Gruppe, die die Welt beherrscht und die Menschen ins Unglück stoßen will – ist auf den Coronademos weit verbreitet und kann leicht in expliziten Antisemitismus umschlagen.« Der Auftritt des Kriminalhauptkommissars sei deswegen in mehrfacher Hinsicht besorgniserregend.

So sieht es auch Rebecca Seidler, die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. Der Süddeutschen Zeitung sagte sie, sie habe Fritsch ­damals die Synagoge und die Kindertagesstätte der Gemeinde sowie die möglichen Sicherheitslücken gezeigt. Nun bestehe die Sorge, dass solch ­sensibles Detailwissen bei einem Mann liege, »der sich in Kreisen von Verschwörungstheoretikern bewegt, bei denen auch antisemitische Erzählungen verbreitet sind«.