Vor der Präsidentenwahl in Belarus wurden mutmaßliche russische Söldner verhaftet

Wahl und Wagner

Alexander Lukaschenko wird am Sonntag voraussichtlich zum sechsten Mal zum Präsidenten von Belarus gewählt. Vorige Woche ließ er mutmaßliche Angehörige der privaten russischen Söldnergruppe Wagner festnehmen.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Alexander Lukaschenko am Sonntag zum sechsten Mal zum Präsidenten der Republik Belarus gewählt. Trotzdem läuft bei diesem Durchgang nichts wie bisher – oder gerade deshalb. Der machthungrige Mann mit dem charakteristischen Schnauzbart stößt mit seinen langjährig erprobten Methoden an Grenzen. Zwar verfügt er nach wie vor über die volle Kommandogewalt im Sicherheitsapparat, und an den ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen hat sich ebenfalls wenig geändert – der Anteil der im staatlichen Sektor Beschäftigten ist leicht rückläufig, aber immer noch hoch. Die Staatsmedien haben ihr Informationsmonopol jedoch inzwischen selbst in der tiefsten Provinz zugunsten unabhängiger Medienprojekte eingebüßt. Lukaschenkos Rückhalt schwindet im gleichen Maße, wie der Aufwand steigt, diesen zu sichern.

Vorige Woche leistete er sich einen heftigen Affront gegen Russland. Auf dessen wirtschaftliche Unterstützung ist Belarus in hohem Maße angewiesen. In einem Sanatorium bei Minsk erfolgte die Festnahme von 32 russischen Staatsbürgern, kurz darauf wurde zudem ein Mann mit belarussischem Pass aufgegriffen. Alle sollen der privaten Söldnergruppe Wagner an­gehören. Diese soll der russische Geschäftsmann Jewgenij Prigoschin betreiben. Medienberichten zufolge soll die Wagner-Gruppe diverse Sonderaufträge für die russische Regierung erledigt haben, insbesondere in Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien oder Libyen. Die staatliche belarussische Nachrichtenagentur Belta gab bekannt, dass sich über 200 Kämpfer im Land aufhielten, um dieses während des Wahlkampfs zu destabilisieren. Welcher Auftrag die Festgenommenen tatsächlich nach Belarus verschlagen hat, bleibt Gegenstand zahlreicher Spekulationen.

Nach einer eilig einberufenen Sitzung des belarussischen Sicherheitsrats hieß es, gegen die Söldner seien Strafermittlungen wegen Vorbereitung von Terroranschlägen eingeleitet worden; Kontrollen würden verschärft. Sollte die belarussische Führung ernsthaft Umsturzpläne des russischen Nachbarn ­befürchten, wäre mehr Aufregung zu erwarten. Das russische Außenministerium reagierte überraschend verhalten. Der Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten löse Befremden aus, denn die Männer seien lediglich auf der Durchreise nach Istanbul gewesen, hieß es in einer Erklärung. Tatsächlich klingt dies plausibler als die Annahme, die Festgenommenen hätten einen Aufstand anzetteln sollen, zumal der Aufenthalt ausländischer Söldner im Land ohne Kenntnis der belarussischen Sicherheitsbehörden sehr unwahrscheinlich ist. Es lässt sich nicht einmal völlig ausschließen, dass die belarussische Regierung selbst nicht ganz unbeteiligt war und eine Abmachung bestand, den Männern und einigen schweren Koffern mit unbekanntem Inhalt den Transit zu ermöglichen.

Was auch immer Lukaschenko zu diesem riskanten Manöver bewegt haben mag, es sieht aus wie ein auf die Schnelle inszeniertes, unglaubwürdiges Spektakel. Die Beziehungen zwischen Russland und Belarus sind zwar angespannt, aber trotz erheblicher Anstrengungen der russischen Regierung, ein Zusammenwachsen beider Länder zu forcieren, ist derzeit wohl kaum mit dem Versuch einer feindlichen Übernahme zu rechnen. Womöglich versucht Lukaschenko, sich gegenüber dem Westen als einzig denkbarer Garant der belarussischen Unabhängigkeit in Szene zu setzen, zumal er durch ständige Festnahmen Oppositioneller in den vergangenen Monaten erhebliche Rückschritte im Verhältnis zur Europäischen Union in Kauf genommen hat. Die Freilassung politischer Gefangener hatte erst vor einigen Jahren einen Prozess der Wiederannäherung in Gang gesetzt. Die russische Regierung wiederum scheut offenbar vor den Wahlen eine offene Auseinandersetzung mit Lukaschenko, aber längerfristig könnten den belarussischen Prä­sidenten seine Anschuldigungen teuer zu stehen kommen.

Fünf Kandidatinnen und Kandidaten erhielten die Zulassung zur Präsidentschaftswahl, darunter auch Swetlana Tichanowskaja, die Frau des kritischen Videobloggers Sergej Tichanowskij. Im April begann dieser, durch das Land zu reisen. Er besuchte gezielt Kleinstädte, die von der Opposition gewöhnlich wenig beachtet werden und als Hochburgen Lukaschenkos gelten. Von dort berichtete er über Armut und staatliche Willkür, damit erreichte er ungeahnte Popularität. Mittlerweile sitzt er in Untersuchungshaft und wurde von der Wahl ausgeschlossen. Ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit dem Anführer der nicht registrierten sozialdemo­kratischen Partei, Nikolaj Statkewitsch, Massenunruhen geplant zu haben.

Tichanowskaja führte die Präsidentschaftskampagne ihres Mannes weiter. Anfangs fiel sie eher durch Unsicherheit auf, Politik ist für sie ein völlig neues Metier. Sie schien eine ungefährliche Gegenspielerin zu sein, noch dazu erpressbar mit ihrem Mann als Geisel und zwei Kindern, die sie mittlerweile ins Ausland geschickt hat. Doch ihre Auftritte sorgten für wachsendes Interesse. Vorige Woche nahmen nach Schätzung der Menschenrechtsorganisation Wjasna über 63 000 Menschen an einer Wahlkampfveranstaltung Tichanowskajas in Minsk teil. Diesem Erfolg liegt eine kluge und für die belarussische Opposition völlig untypische Strategie zugrunde. Nach der Nichtzulassung der beiden aussichtsreichsten potentiellen Herausforderer Lukaschenkos, Wiktor Babariko und Walerij Zepkalo, blieben deren Wahlstäbe unter der Leitung von Maria Kolesnikowa beziehungsweise Weronika Zepkalo bestehen. Mitte Juli schlossen sich die beiden Frauen mit Tichanowskaja zusammen. Seither treten sie als Trio auf, das durch sein unkonventionelles Erscheinungsbild in der altbacken wirkenden belarussischen Politik für Furore sorgt.

Ihr Programm ist auf einige wesentliche Punkte reduziert. Ein Sieg Tichanowskajas am 9.August soll den Weg freimachen für baldige faire Präsidentschaftswahlen unter Beteiligung aller ausgeschlossenen Kandidaten. Voraussetzung dafür sind die Freilassung aller politischen Gefangenen und die un­abhängige und uneingeschränkte Wahlbeobachtung, um Fälschungen vorzubeugen. Zu Protesten rufen die Frauen nicht auf, vielerorts organisieren sich die Menschen ohnehin längst selbst. Anstoß zur Vernetzung gab nicht zuletzt Lukaschenkos ignoranter Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Praktische ­Solidarität mit dem überlasteten medizinischen Personal oder Arbeitslosen mündete in politischen Protest.

Die Verkündung der Wahlergebnisse wird bestimmt nicht ohne lautstarken Widerspruch vonstatten gehen. Friedlich soll es bleiben, wünscht sich Tichanowskaja. Lukaschenko inspiziert derweil seine Truppen, um sich ein Bild zu machen von deren Einsatzbereitschaft gegen die eigene Bevölkerung. Bleibt zu hoffen, dass es lediglich bei ­einer Drohgebärde bleibt.