»Faschisten weinen nicht«
Lucio Urtubia Jiménez kannte sie alle: André Breton, Albert Camus, Ernesto »Che« Guevara, Eldridge Cleaver – und einen, der ihm zum Vorbild wurde: Francesc Sabaté Llopart, genannt »El Quico«, Anführer des Maquis, des antifranquistischen Widerstands in Katalonien. Geboren wurde Urtubia 1931 in Cascante in Navarra. Sein Vater war aus Familientradition ein konservativer Royalist, ehe er zum Sozialisten wurde und als solcher Vizebürgermeister und Gewerkschafter bei der UGT – bis er inhaftiert wurde. Schwerkrank kam er aus dem Gefängnis frei und sagte auf dem Sterbebett seinem 19jährigen Sohn: »Wenn ich nochmals geboren werde, dann werde ich Anarchist!« Das prägte Urtubia.
Im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) wuchs Urtubia in Armut auf. In der spanisch-baskischen Provinz Navarra erlebte er, wie er sagte, »als Kind nur Hunger, Ungerechtigkeiten und Verbrechen«. Sein Lehrer (»ein Vollidiot«) prügelte ihn regelmäßig. Rückhalt boten ihm in der katholischen Schule Karmeliter-Schwestern, »auch wenn sie ausschließlich Blödsinn schwafelten«. Als wehrpflichtiger Soldat unter der faschistischen Diktatur Francisco Francos war er an der Grenze zu Frankreich stationiert, was Urtubia dafür nutzte, Uniformen und Verpflegung zu stehlen, um sie entweder zu verschenken oder weiterzuverkaufen. Als er 1954 Gefahr lief, aufzufliegen, desertierte er und flüchtete nach Frankreich. Auf »Raub vom Vaterland« stand unter Franco die Todesstrafe. »Was für ein verdammtes Vaterland?« erzürnte er sich in seinen Memoiren: »Das ist nicht meines!«
Er fälschte für sich Ausweisdokumente, und das vortrefflich. In Paris schloss er sich Anarchisten an, der Existentialist Camus und der Surrealist Breton zählten zu seinem Freundeskreis. Sein Fälschertalent nutzte er, um der anarchistischen Bewegung finanziell unter die Arme zu greifen. Neben Papieren für exilierte Spanier druckte er Geldscheine.
Über enge Kontakte zur anarchosyndikalistischen Confederación Nacional del Trabajo (CNT) kam er dazu, in seiner Wohnung El Quico zu verstecken. Francos Agenten und die spanische Botschaft in Paris waren erpicht darauf, die Regimegegner zurück nach Spanien zu holen und mit dem Tod zu bestrafen.
Der Maquis, der spanische antifaschistische Untergrund, führte nach dem Sieg Francos im Bürgerkrieg am 1. April 1939 den bewaffneten Kampf gegen das Regime fort. Im Stich gelassen von Stalins Sowjetunion, kämpfte der Maquis bis in die sechziger Jahre selbstorganisiert vor allem im schwer zugänglichen Hügel- und Bergland in verschiedenen Teilen Spaniens gegen Francos Armee und die Guardia Civil, die kasernierte Polizei. Aber auch in Städten war er aktiv, etwa in Barcelona, dem baskischen Bilbao, in Málaga und Valencia.
In der andalusischen Stadt Granada waren es die Gebrüder Quero, die mit Entführungen hochrangiger Angehöriger des Regimes hohe Lösegelder erpressten. Die Brüder Pepe, Antonio, Pedro und Paco waren im politisch linken Stadtteil Albaicín und dem von Roma bewohnten Sacromonte bereits zu Lebzeiten Legenden und galten wie Urtubia als moderne Robin Hoods.
»Ich habe einen Deal mit der seinerzeit größten Bank ausgehandelt. Und ich habe sie Arschlöcher genannt.« Lucio Urtubia
Antonio, Pepe und Pedro Quero hatten im Bürgerkrieg in der Republikanischen Armee gekämpft und kehrten dann nach Granada zurück, wo ihnen die franquistische Diktatur nachstellte. Im Juni 1940 drohte Antonio und Pepe die Todesstrafe. Sie brachen aus dem Gefängnis aus und formierten eine Miliz, die im August 1941 den Armeeoberst Eduardo Entrala entführte – ein Angriff auf das Prestige der Armee. Für den Offizier wurden 500 000 Peseten Lösegeld gezahlt – die Wut der Franquisten war unermesslich. Eine Viertelmillion Peseten brachte die Entführung des Bankiers Manuel Rodríguez-Acosta ein. Die jüngeren Brüder Paco und Pedro schlossen sich in den nächsten Jahren ebenfalls der Guerilla an.
Ins Exil zu gehen, kam für sie nicht in Frage, und ehe sie von den Franquisten hingerichtet werden würden, wollten sie sich lieber selbst töten – das war der Pakt der Brüder. Im November 1944 starb Pepe mit 29 Jahren beim Versuch einer weiteren Entführung durch einen Schuss der Polizei in den Rücken. Im Juli 1945 erschoss sich Pedro in einer stillgelegten Mine oberhalb des Barrios Sacromonte, als ihn die Guardia Civil umzingelt hatte. Im März 1946 kam Paco bei einer Schießerei mit der Guardia Civil im Zentrum Granadas ums Leben. Ebenfalls im Zentrum Granadas nahm sich Antonio im Mai 1947 nach einer mehrtägigen Schießerei das Leben.
Einer der jüngsten der Quero-Brüder, der 1940 geborene Rafael Quero, berichtete der Jungle World von seinen Erinnerungen und den Jahren der Repression: »Alles begann, als die Faschisten unseren Vater ermordeten.« Dieser sei »beim Sonntagsspaziergang grundlos erschossen« worden, so Rafael. Die Familie einte der Antifaschismus. Man unterhielt zwar Kontakte zum CNT, war aber nicht Mitglied bei den Sozialdemokraten (PSOE) oder den Kommunisten (PCE). »Sie nannten meine Mutter ›die Hyäne‹. Eine, die Bestien gebar.« Die Grabsteine seiner Brüder hätten falsche Namen getragen, »damit sie nicht geschändet würden«.
Seinen Bruder Bernardo habe die Polizei mehrfach im Kommissariat verprügelt, damit er seine Brüder verrate. Auch er selbst, Rafael, habe Erniedrigungen und Misshandlungen erlitten, von Beamten beim Verhör, aber auch von Gleichaltrigen. »Ich fühlte mich wie ein Vogel, der nirgends landen und rasten kann«, sagt der alte Mann im Gespräch mit der Jungle World unter Tränen: »Das, was uns widerfahren ist, das kann man nicht verzeihen – nicht in 120 000 Jahren.«
»Woran man Faschisten erkennt?« fragt Rafael. »Sie weinen nicht, denn sie haben kein Herz.« Die Geschichte seiner Familie sei über Jahrzehnte verschwiegen und bis heute kaum aufgearbeitet worden, so Rafael. Historiker, Dokumentarfilmer und die Flamenco-Szene bemühen sich, die Erinnerung wachzuhalten.
Lucio Urtubia erinnerte sich 2014 anlässlich der Präsentation seiner Memoiren in Pamplona: »Wir haben für den Widerstand Tausende Dokumente, Abertausende Banknoten gefälscht.« Sein größter Coup war ein Betrug während der siebziger Jahre. In mehreren Druckereien in Paris stellte er Reiseschecks der damaligen First National City Bank, der heutigen Citibank, her, die täuschend echt wirkten. Er ergaunerte auf diese Weise nach heutigem Wert über 20 Millionen Euro, die er Anarchisten und vor allem Guerilleros in Südamerika und Europa schickte. Erst im Oktober 1980 nahm ihn die französische Polizei fest, doch mussten Bank und Behörden mit Urtubia einen außergerichtlichen Deal aushandeln – im Gegenzug für die Übergabe der Druckplatten.
Der Anarchist war nach einem Jahr wieder in Freiheit und erhielt noch »eine beachtliche Summe« von der Citibank für »seine perfekte Arbeit«. Der gelernte Maurer, der zeitlebens diesem Beruf nachging, bereute nichts, ganz im Gegenteil: »Ich habe einen Deal mit der seinerzeit größten Bank ausgehandelt. Und ich habe sie Arschlöcher genannt.« Für Urtubia war der Betrug »ein Genuss«, weil er die Beute verteilte und inhaftierte Genossen sowie deren Familien half. »Je mehr man gibt, desto mehr bekommt man«, war sein Credo. Bewaffnete Überfälle und Bankraub stellte er bereits in den Fünfzigern ein, »aus Angst, dabei Bankangestellte zu verletzen«, so Urtubia. Am 18. Juli starb er im Alter von 89 Jahren in Paris.