Präsident Donald Trump gibt der Antifa-Bewegung die Schuld an gewalttätigen Ausschreitungen

Die Antifa soll schuld sein

US-Präsident Donald Trump sucht in der Krise nach einem Sündenbock für den von Schwarzen angeführten Aufstand – will dabei aber nicht mit dem Finger auf Schwarze zeigen müssen.

Das Jahr 2020 ist von rasanten Veränderungen gekennzeichnet, von der Covid-19-Pandemie bis hin zu einem landesweiten Aufstand gegen Rassismus in den Vereinigten Staaten. Eine der merkwürdigsten Wendungen war, wie die antifaschistische Bewegung wieder ins Rampenlicht geriet.

Der Grund dafür ist, dass US-Präsident Donald Trump antifaschistische Gruppen und Anarchisten zum Sündenbock für eine spontane, von Schwarzen ­angeführte Rebellion gegen die weiße Vorherrschaft und Polizei machen will, wie sie das Land seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. Die Rebellion ist fast so gewaltig wie jene, die US-amerikanische Städte in den sechziger Jahren erschütterte.

Was die US-amerikanische Rechte wirklich fürchtet, ist eine wachsende, multiethnische Rebellion gegen die weiße Vorherrschaft.

In Äußerungen hat Trump die »An­tifa« und die »Anarchisten« für Ausschreitungen verantwortlich. Tatsächlich kam es zu Gewalt und Plünderungen, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang, als es die rechten Medien darstellen. Und obwohl sich Antifaschisten und Anarchisten an den Protesten beteiligten, war ihre Rolle insgesamt eher unbedeutend. Würde man sie aus den Protesten entfernen, sähen diese im Wesentlichen unverändert aus.

Seit Trumps Äußerungen diskutieren rechte Medien wieder einmal darüber, ob die antifaschistische Bewegung terroristisch sei. Die Debatte ist absurd – ein Ablenkungsmanöver, mit dem der Präsident die Aufmerksamkeit von den offensichtlichen Problemen ablenken will. Es gibt großen und wütenden Widerstand gegen die insbesondere für Afroamerikaner allzu oft tödliche Polizeigewalt nahezu überall im Land. Der Staat verliert auf den Straßen die Kontrolle. Die Legitimität der politischen Struktur der USA wird zusehends bezweifelt. Donald Trump und seine Kompagnons versuchen verzweifelt, jemandem die Schuld dafür zu geben, ohne die Afroamerikaner noch stärker gegen sich aufzubringen. Stichwort: Antifa.
Diese Art der Schuldzuweisung hat in den Vereinigten Staaten eine lange Tradition und basiert direkt auf aus Europa importierten antisemitischen Verschwörungstheorien. Die »Protokolle der Weisen von Zion« wurden in den Vereinigten Staaten erstmals nach der Russischen Revolution veröffentlicht, und diese erste Ausgabe nannte »Bolschewisten« anstelle der Juden als Verschwörer. Doch schon bald wurde daraus ein »jüdisch-bolschewistisches« Komplott, eine Formulierung, die auch für die entstehende NSDAP in Deutschland eine wichtige Rolle spielte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchten solche Motive in den Vereinigten Staaten erneut in der antikommunistischen Verschwörungstheorie auf, die Senator Joseph McCarthy und später die extrem rechte John Birch Society verbreiteten. Dieser Verschwörungswahn fand schnell ein neues Ziel: die Bürgerrechtsbewegung der fünfziger und sechziger Jahre. Behauptungen, Martin Luther King sei Kommunist gewesen, verfolgten diesen und sind noch heute im Umlauf.

Die Beschreibung der Antifa-Bewegung in mehr oder weniger frei phantasierenden rechtsextremen Artikeln ist – wenn auch mit neuem Anstrich – nichts weiter als dieselbe antikommunistische Verschwörungstheorie, die sich in den fünfziger Jahren gegen Linke und in den zwanziger Jahren gegen Bolschewisten respektive Juden richtete. Die antifaschistische Bewegung in den Vereinigten Staaten ist gegenwärtig vergleichsweise klein und konnte bislang nur wenige Demonstrationen mit mehr als 1 000 Menschen veranstalten.

Eine Bewegung von der Tragweite der George-Floyd-Proteste zu organisieren – zumal diese vorwiegend von Menschen getragen wird, deren Herkunftsmilieus dem Kern der Antifa-Bewegung fernstehen – übersteigt bei weitem deren Möglichkeiten und auch die der wesentlich größeren anarchistischen Bewegung. Plünderungen, selbst die Zerstörung von Eigentum, sind Taktiken, die nicht zum Standardrepertoire der antifaschistischen Gruppen gehören. Mutmaßlich hat Trump »Anarchisten« in seine Schuldzuweisung einbezogen, weil mit deren üblichem Vorgehen zumindest die Zerstörung von Eigentum besser in Einklang stünde.

Es gibt zwei weitere Gründe, aus denen der Präsident sich auf die Antifa-Bewegung konzentriert. Der erste ist, dass er, wie er es immer tut, seine Basis bedient und alle anderen US-Amerikaner ignoriert. Rechte Medien haben »Antifa« längst zum abwertenden Etikett für alles gemacht, was links der US-amerikanischen Rechten steht. Voriges Jahr twitterte Trump, er wolle, dass die Antifa zu einer »Terrororganisation« erklärt werde – eine Idee, die zunächst in der extremen Rechten aufkam und die er nun wiederaufgegriffen hat.
Der zweite Grund ist, dass Trump und alle, die ihm nachplappern, auf die Antifa-Bewegung zeigen, um die afroamerikanische Bevölkerung nicht noch mehr in Aufruhr zu versetzen. Man könnte meinen, dass der Präsident seiner rechten Anhängerschaft folgen und die Afroamerikaner verleumden würde, indem er eingefahrene rassistische Vorstellungen bedient und sie beispielsweise als Tiere abqualifiziert, die sich nicht selbst kontrollieren können. Doch er hat dies – wohl ganz bewusst – nicht getan, eine Tatsache, die nicht genügend Beachtung findet. Vielmehr drückten der Präsident, so wie viele Gouverneure, Bürgermeister und Polizeichefs, sein Mitgefühl für George Floyd und sein Verständnis für die Proteste aus. Dies zeigt wohl ihre tiefsitzende Angst davor, was passieren würde, wenn ein größerer Teil der ­afroamerikanischen Bevölkerung auf die Straße ginge. Bislang waren die Proteste vergleichsweise klein und die Teilnehmerzahlen gehen in die Zehntausende. Die Pandemie sorgt für eine verhältnismäßig geringe Beteiligung, ebenso die Abwesenheit der größeren nationalen Organisationen, die ihren Ruf wahren und nicht mit Straftaten in Verbindung gebracht werden wollen.

Während Afroamerikaner die Proteste anführen und sich an einigen Orten andere Minderheiten anschließen, haben Weiße die Proteste stark unterstützt. Ein New Yorker, der an den Märschen teilnimmt, sagte dem Internetportal The Battleground, dass unter den Teilnehmenden durchschnittlich etwa 40 Prozent Weiße sind, was durchaus typisch für Proteste gegen die Polizeibrutalität in der Stadt ist. Nur ein kleiner Prozentsatz der afroamerikanischen Bevölkerung geht auf die Straße, obwohl sich die große Mehrheit zweifellos darüber einig ist, dass Veränderungen notwendig sind.

Derzeit hat die Polizei in New York City keine abendliche Ausgangssperre verhängt. Demonstrationen mit Tausenden von Menschen dauern bis in die Nacht hinein an, wobei es in Manhattan auch zu Plünderungen kam. Ein Aufstand der afroamerikanischen Bevölkerung würde eine Entwicklung, die bereits droht, außer Kontrolle zu geraten, womöglich in eine revolutionäre Situation verwandeln. Am 29. Mai brannten Protestierende in Minnea­polis eine Polizeistation nieder, womit sie ein Fanal für weitere Angriffe und Plünderungen setzten. Wenn solche Angriffe sich landesweit wiederholen würden, wäre die Polizei kaum nicht in der Lage, diesen effektiv zu begegnen.

Die Repression, die Trump zu forcieren beginnt, bedarf einer Rechtfertigung, und die meist weißen Anarchisten und Antifaschisten sind ein bereits bekanntes Feindbild. Doch gibt es den Vereinigten Staaten keine rechtliche Grundlage, um inländische Gruppen zu Terrororganisationen zu erklären – dies ist nur bei internationalen möglich. Auch kann man in den Vereinigten Staaten, anders als in vielen europäischen Ländern, eine inländische Organisation oder deren Ideologie nicht verbieten. Aber wenn der Präsident bestimmte Gruppen als terroristisch ­bezeichnet, können das FBI und andere Polizeibehörden sich mindestens ermuntert fühlen, hart gegen diese vorzugehen. Es wird auch Staatsanwälte und Richter dazu ermutigen, die Strafforderungen beziehungsweise Strafen zu verschärfen, wenn Menschen aufgrund bestehender Gesetze angeklagt beziehungsweise verurteilt werden, wie beispielsweise wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten oder Brandstiftung. Nicht zuletzt gibt es den Propagandawert der Behauptung, dass Terroristen hinter den Protesten stehen.
Während der Bürgerrechtsbewegung in den fünfziger und sechziger Jahren war die Verschwörungstheorie, Kommunisten leiteten heimlich afroamerikanisch geführte Organisationen, gleichzeitig antisemitisch und rassistisch: Man hielt die Afroamerikaner für zu dumm, um ihre eigenen erfolgreichen politischen Bewegungen zu organisieren, und machte daher die gerissenen Kommunisten – oder die Juden, oder beide – dafür verantwortlich. Weiße Rassisten, berauscht von ihrer Ideologie, konnten nicht glauben, dass ihre Handlungen diejenigen, die sie unterdrückten, dazu inspirierten, gegen sie zu rebellieren. Es war viel bequemer, dritten Parteien die Schuld zu geben.

Dasselbe geschieht nun wieder. »Antifa-Terrorismus« ist nur der neueste Name für das »kommunistische Komplott«, das früher die »jüdisch-bolschewistische Verschwörung« war. Was die US-amerikanische Rechte wirklich fürchtet, ist eine wachsende multiethnische Rebellion gegen die weiße Vorherrschaft. Der Aufstand weitet sich auf kleine Städte und Ortschaften und sogar auf traditionell konservative Gegenden aus, die noch nie zuvor Protest dieser Art erlebt haben. Donald Trump und seine Anhänger versuchen nicht nur verzweifelt, dies aufzuhalten, sondern weigern sich auch, diese Situation sich selbst einzugestehen.

Dieser Text erschien in englischer Sprache auf dem Internetportal The Battleground.eu.

Übersetzung: Carl Melchers