Ein Gespräch mit dem Rapper Ben Salomo

»Man muss widersprechen«

Wegen antisemitischer Anfeindungen stieg Ben Salomo aus der Rap-Szene aus. Nun treten von ihm kritisierte Rapper bei Demonstrationen der »Coronarebellen« auf, die von Verschwörungsmythen und Antisemitismus geprägt sind.
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Sie sind Autor, Musiker und in der politischen Bildung aktiv. Aus der Rap-Szene sind Sie ausgestiegen, weil Sie antisemitisch angefeindet wurden. Ist diese Szene besonders anfällig für antisemitisches Gedankengut?

Ich würde sagen, die Rap-Szene bietet bestimmte Faktoren, die eine Anknüpfung an antisemitisches Gedankengut begünstigen. Ich habe die Entwicklungen in der Szene in den letzten 20 Jahren beobachtet, und wie inzwischen gut belegt werden kann, sind dort Verschwörungsphantasien und antisemitische Stereotype kein neues Phänomen. Verschiedene antisemitische Verschwörungslegenden, die ich bereits aus meiner Jugend kannte, von Leuten, mit denen ich aufgewachsen bin, sind irgendwann auch in Rap-Texten aufgetaucht. Speziell nach dem elften September, als die sogenannte Truther-Bewegung entstand, gelangten antisemitische Thesen und Stereotype, als Begleitwerk zum Misstrauen gegen die offizielle Darstellung der Anschläge, mehr und mehr in die Szene.

In Deutschland gibt es bekanntlich viele Rap-Künstler und Rap-Fans, die zum Teil aus bildungsfernen Schichten kommen. Rap hat ja nicht umsonst den Ruf, von der Straße und für die Straße zu sein. Viele in der Rap-Szene haben auch einen Migrationshintergrund und bringen nicht selten ein gewisses Kulturgepäck aus ihren Herkunftsländern oder den Herkunftsländern ihrer Eltern zum Beispiel aus dem Nahen Osten mit, wo antisemitische Verschwörungslegenden und Israel-Hass seit Jahrzehnten Bestandteil des Medien- und Bildungsapparats sind. Irgendwann begannen einige Rapper damit, verschiedene antisemitische Verschwörungstheorien aus fragwürdigen Youtube-Dokus zu reproduzieren oder fake news von Nachrichtensendern aus dem Nahen Osten für bare Münze zu nehmen, und schrieben darüber Songs oder gaben Interviews. Einige zweifelhafte Inhalte wurden von bekannten Rappern musikalisch aufgegriffen und mit großer Reichweite veröffentlicht, wodurch antisemitische Stereotype und Ressentiments recycelt in die Fanbase gelangten oder, wo sie bereits vorhanden waren, nochmal verstärkt wurden.

Hat das auch mit dem Männlichkeitsbild im Rap zu tun?

In dieser Szene geht es immer um ein starkes Image. Künstler denken oft von sich, sie seien die Stimme, die sonst in der Gesellschaft niemand hört, sie gerieren sich als Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit. Gegen Autoritäten und Medien skeptisch zu sein, gehört zum guten Ton. Rapper wollen ihrem Publikum oft etwas von ihren eigenen Erkenntnissen übermitteln. Oft sind die Texte und Botschaften dann aber nicht mehr aufklärerisch, sondern viel zu undifferenziert, stark verkürzt und dadurch antiaufklärerisch.

Wie werden solche Botschaften verbreitet? Nur über die Musik?

Nein, nicht nur. In der deutschen Rap-Szene sind zum Beispiel B-Lash und MC Bogy ein gutes Beispiel für die Reproduktion von gefährlichen Verschwörungstheorien auch außerhalb der Musik. Die beiden betreiben einen Podcast (der kürzlich von Youtube gesperrt wurde, Anm. d. Red.) und haben eine enorme Reichweite. In den letzten Monaten luden sie vermehrt zweifelhafte Gäste ein, wie den veganen Koch Attila Hildmann oder den AfD-Politiker Homib Mebrahtu. In den Gesprächen werden sehr oft krude Verschwörungstheorien und unwissenschaftliche Thesen vertreten. Dort wurde zum Beispiel behauptet, dass Araber keine Antisemiten sein könnten, weil sie ja selbst Semiten seien, oder dass die Sudetendeutschen wie die Juden Opfer des Holocaust seien, weil sie nach der Kapitulation der Nazis aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben worden seien. Das sind Thesen, die eigentlich nur Islamisten und Rechtsradikale vertreten. Besonders schlimm an der Rap-Szene ist darüber hinaus jedoch, dass solche Äußerungen völlig folgenlos bleiben. Weder die Fanbase noch die Künstler-Kollegen grenzen sich von diesen Leuten oder deren Thesen ab. Auch in den einschlägigen Rap-Magazinen oder HipHop-Medien ist zu solchen Äußerungen kaum ein kritisches Wort zu lesen.

Um Ressentiments zu verbreiten, bietet jetzt die Pandemie eine willkommene Gelegenheit. Bei vielen Demonstrationen gegen Covid-19-Maßnahmen treten Protagonisten dieser Szene auf.

Was wir dort sehen, ist eigentlich nicht neu. Diese Querfront von Extremisten und Strömungen aus allen Lagern kann man seit mehreren Jahren auch in den sozialen Medien beobachten. Neu daran ist allerdings, dass sie sich inzwischen weit in die Mitte der Gesellschaft vorgearbeitet haben und diese Mitte leider kaum Abgrenzung artikuliert. Das erinnert doch wieder an die seit Jahren vollzogenen Entwicklungen in der Rap-Szene. Woran liegt das? Der gemeinsame Nenner, auf den sich sehr viele Menschen verständigen können, ist der Antisemitismus. Dieses Phantasma, dass Juden oder Angehörige einer »kleinen Elite«, die am Ende auch wieder Juden sind, die Welt beherrschen, übt auf viele leider immer noch eine enorme Anziehung aus.

»Vergleiche mit der Nazizeit werden in Bezug auf die Coronamaßnahmen leider immer öfter gezogen.«

Diese verengte Wahrnehmung beruhigt Ängste vor der Komplexität unserer globalen Zivilisation. Dieses alte Phantasma gibt Halt und gleichzeitig ein Feindbild, das die Anhänger zusammenbringt. Und wenn Prominente wie Xavier Naidoo dann solche Ansichten öffentlich von sich geben, mit ihrer gesellschaftlichen Stellung als Superstar und ihrer enormen Reichweite, werden diese Thesen promotet und legitimiert. Das ermutigt die zahlreichen Anhänger von Verschwörungstheorien, Reichsbürger, Hooligans und andere reaktionäre Umstürzler und Extremisten aller politischen Lagern von rechts bis links, auf die Straße zu gehen und »Schließt euch an« zu skandieren. Leider sehen wir unter ihnen dann auch viele normale Leute aus der Mitte, die unkritisch mitlaufen und mitskandieren.

Es geht nicht nur um Verschwörungsphantasien, auf den Demonstrationen sind auch NS-Verherrlichung und Holocaustleugnung nicht zu übersehen.

Das ist selten voneinander zu trennen. Leute, die sich auf diesen Demos gelbe Sterne anheften, um sich als Impfgegner zu viktimisieren, verharmlosen damit natürlich gleichzeitig die Shoah. Diese Vergleiche mit der Nazizeit werden in Bezug auf die Coronamaßnahmen leider immer öfter gezogen. Und natürlich vermuten viele das »jüdische Finanzkapital« hinter allem. Bill Gates will die Menschheit dazu zwingen, sich impfen zu lassen, und die Rothschilds finanzieren ihn. Und natürlich geht es auch immer wieder um Israel. Israel wird von einigen vorgeworfen, erst Sars-CoV-2 entwickelt zu haben und nun den Impfstoff dafür zu liefern, an dem die Juden dann viel Geld verdienen. Das sind eigentlich ganz alte Legenden, die da wieder neu aufgelegt werden. Doch darin schwingt auch eine weitere Komponente mit: Durch die Viktimisierung der Demonstranten als die heutigen Juden soll auch die historische deutsche Verantwortung an der Shoah in einer Täter-Opfer-Umkehr übertragen werden. Der Subtext lautet im Prinzip: Wir Deutschen waren schon damals die Opfer und sind es auch noch heutzutage, wohingegen die Juden eigentlich damals schon die Täter waren und es jetzt auch wieder sind.

Im Internet ist Antisemitismus an der Tagesordnung. Hat dieser Hass sich einfach vom digitalen Raum auf die Straße übertragen?

Solche Aussagen haben im Internet eine riesige Fanbase und sehr viele Follower. Das motiviert diese Menschen, weitere antisemitische Mythen zu verbreiten, sie fühlen sich dabei stark und als Teil einer Massenbewegung, die immer weiter wächst. Der nächste logische Schritt war der Weg auf die Straße. Die Coronakrise hat diese Emanzipation vom Virtuellen in den physischen Raum letztendlich nur beschleunigt, weil zusätzliche Angstelemente, wie der angebliche Impfzwang oder die Legende vom Chipimplantat, den Verschwörungstheoretikern noch mehr Anhänger zugeführt haben.

Begegnet Ihnen diese Form des Antisemitismus auch bei Ihrer Bildungsarbeit?

In den Schulen, in denen ich Workshops gebe oder Vorträge halte, kennen circa 70 bis 80 Prozent der Schüler unterschiedliche antisemitische Stereotype oder Verschwörungstheorien. Reale Begegnungen mit Juden hatten dagegen gerade einmal circa zehn bis 20 Prozent. Da fällt also ein erheblicher Mangel an Begegnungen auf, in dem sich Halbwahrheiten und Lügen wunderbar verbreiten können. Mir begegnen dadurch sehr viel Unwissen und Unsicherheit, nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Lehrern. An einer Schule sollte ich vor einigen Monaten zum Beispiel einen Vortrag halten, weil es antisemitische Vorfälle gegeben hatte. »Jude« wurde dort von einigen als Schimpfwort verwendet. Als dann Plakate zu Ankündigung der Veranstaltung aufgehängt wurden, hat jemand Hakenkreuze darauf geschmiert. Die für meinen Vortrag verantwortliche Lehrkraft wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie sagte, man habe sich im Kollegium dazu entschieden, die beschmierten Plakate nicht abzuhängen, damit der Täter sich nicht als Sieger fühle. Man ließ die antisemitischen Schmierereien unkommentiert stehen. Richtig wäre gewesen, die Plakate zu entfernen, neue Plakate aufzuhängen und die Schmierereien in einer öffentlichen Ansprache vor allen Schülern zu verurteilen und eine offene Diskussion über das Problem anzuregen.

Egal ob man es mit Neonazis, Impfgegnern oder Verschwörungstheoretikern zu tun hat: Muss man sich mit diesen Leuten denn auseinandersetzen?

Unbedingt. Diese Demos gibt es ja unter anderem deshalb, weil die Auseinandersetzung gefehlt hat. Viele von diesen Demonstranten sind natürlich Spinner, aber es sind inzwischen zu viele, darunter auch einige Prominente. Deshalb wäre es sehr falsch, sie einfach machen zu lassen. Denn die Gefahr besteht, dass sie noch mehr werden und immer mehr Menschen ihre Lügen und Gerüchte glauben. Deswegen muss man ihnen widersprechen und man muss diese Mythen und fake news mit Fakten widerlegen. Das ist zwar anstrengend, aber die Leute, die man noch erreichen kann, darf man nicht einfach diesen Spinnern überlassen.

 

Ben Salomo heißt mit bürgerlichem Namen Jonathan Kalmanovich. Er stammt aus Rechovo, Israel, und wuchs in Berlin-Schöneberg auf. Der Rapper, Youtuber und Buchautor kritisierte Antisemitismus, Antizionismus, Frauenfeindschaft, Homophobie und die Glorifizierung des Islamismus in Teilen der ­HipHop-Szene sowie die mangelnde Bereitschaft von Szenemedien sich mit mit diesen Phänomenen kritisch aus­einanderzusetzen. Im April 2018 kündigte er seinen Rückzug aus der Szene an. Salomo klärt an Schulen über Antisemitismus auf.