Zum Tod des Asterix-Zeichners Albert Uderzo

Der Anachronist der Republik

Seine berühmtesten Figuren waren fröhliche Materialisten, die Humanität bewiesen: Zum Tod des »Asterix«-Zeichners Albert Uderzo.

1941 klingelte ein 14jähriger Laufbursche an der Tür des Pariser Comic­zeichners Edmond-François Calvo, der wieder einmal seine Abgabefrist überschritten hatte. Also sollte der Junge dem Verlag die Blätter im Eiltempo überbringen, doch die waren noch nicht fertig. Also setzte er sich zum Meister an den Zeichentisch und schaute ihm staunend bei der Arbeit zu. Calvo galt damals als der französische Walt Disney. Sein jugendlicher Bewunderer hieß Albert Uderzo, der zu jener Zeit ein einjähriges Praktikum bei Calvos Verlag SPÉ absolvierte und besonders von den Bildgeschichten aus den USA fasziniert war. 1927 in Nordfrankreich als Sohn italienischer Einwanderer geboren, war Uderzo mit Micky Maus, Tarzan und Flash Gordon aufgewachsen. Der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besatzung bereiteten dem Import US-amerikanischer Unterhaltungswaren jedoch ein jähes Ende. Einheimische Zeichner mussten einspringen, um abgebrochene Superhelden-Storys fortzusetzen oder Eigenkreationen auf den Markt zu bringen. Edmond Calvo zeichnete fortan im Geheimen an seiner antinazistischen Tierfabel »Die Bestie ist tot«, in der ein militaristisches Wolfsrudel mit Hakenkreuzbinden die glücklichen Waldbewohner in die Katastrophe stürzt.

Albert Uderzo hatte, von Geburt an mit Farbenblindheit und missgebildeten Händen geschlagen, bereits von Kindestagen an farbenfrohe Bilder und Geschichten zu Papier gebracht, wie um seinem Naturschicksal ein Schnippchen zu schlagen.

Albert Uderzo hatte, von Geburt an mit Farbenblindheit und missgebildeten Händen geschlagen, bereits seit seiner Kindheit farbenfrohe Bilder und Geschichten zu Papier gebracht, wie um seinem Naturschicksal ein Schnippchen zu schlagen. Calvos frühem Ratschlag folgend, sein Talent zur Profession zu machen, setzte er nach der Befreiung Frankreichs schließlich alles daran, es seinen Vorbildern gleichzutun. Nach einem enttäuschenden Zwischenspiel in einem Trickfilmstudio entstanden unter dem amerikanisierten Pseudonym »Al Uderzo« Slapstick-Strips im Funny-Stil wie auch die Geschichten um die sagenhafte Superheldenfamilie des Ritters Arys Buck. Sogar eine »Captain Marvel Jr.«-Episode zeichnete er.

1949 zogen französische Kommunisten und Katholiken gemeinsam gegen den wieder entfachten Enthusiasmus für Comics zu Felde. Die Kommunisten fürchteten die Korrumpierung der Jugend durch triviale amerikanische Unkultur, die Klerikalen sahen die guten Sitten in Gefahr. Im Ergebnis entstand ein rigider Pressekodex, der den Eskapaden kostümierter Verbrecherjäger ein Ende setzte und die Comics zu kindgerechter Wohlgefälligkeit verdammte.

Zwei Jahre später klingelte es an Uderzos Tür. Diesmal war er es, der die Abgabefrist versäumt hatte. Seine Zeichnungen eintreiben, sollte ein junger Verlagskollege namens René Goscinny, der gerade aus der Neuen Welt zurückgekehrt war, in die seine Familie bereits 1928 übergesiedelt war. Nach einem erfolglosen Versuch, bei Walt Disney unterzukommen, hatte Goscinny sich zuletzt auf Vermittlung des späteren MAD-Gründers Harvey Kurtzman in New York mit Illustrationen über Wasser gehalten. Zurück in Frankreich freundete er sich bald nach dieser ersten Begegnung mit Uderzo an und ging mit ihm eine Werkgemeinschaft ein, die bis zu seinem Lebensende anhalten sollte.

In Auftragsarbeiten brachten Uderzo als Zeichner und Goscinny als Texter zunächst die Freibeuterabenteuer »Pitt Pistol« und den »Tim und Struppi«-Abklatsch »Luc Junior« zu Papier. Ihre erste frei entwickelte Serie »Umpah-Pah«, eine humoristische Indianer-Story um einen Ureinwohner, der die moderne Welt entdeckt, wurde zwar zunächst zum Misserfolg, aber an der darin angewandten Methode der Geschichtspersiflage hielten die beiden auch in Zukunft fest.

1959 gehörten sie zu den Gründern der Jugendzeitschrift Pilote, in der zum ersten Mal Asterix auftauchte. Dem älteren Publikum war der gallische Knirps sofort als komischer Wiedergänger der Superhelden geläufig, die sie zuletzt in ihrer Kindheit angefeuert hatten. Die antike Kulisse bot dem künstlerisch versierten Uderzo die Gelegenheit, seinen karikaturesken Stil mit einem akribischen Realismus zu verbinden, den er zuvor für die mit Jean-Michel Charlier produzierte Flieger-Serie »Mick Tanguy« reserviert hatte. Unermüdlich parodierte Uderzo Motive aus dem Bildgedächtnis der Republik. Die Detailfreude seiner historischen Stadt- und Landschaftsansichten trieb die Koloristen in die Verzweiflung.

Nicht zufällig ist das namenlose gallische Widerstandsdorf in den »Asterix«-Comics in der Bretagne gelegen. Dort hatte der jugendliche Uderzo 1942/43 glücklich mit seinem großen Bruder ausgeharrt, der sich vor der Vichy-Regierung verstecken musste. Die Bretonen konnten den Comic-Galliern auch deshalb als Vorbild dienen, weil sie stets als provinzielle Eigenbrötler galten und häufig gegen den staatlichen Zentralismus opponiert hatten. In »Asterix« wurde jedoch nicht bloß der Gegensatz von ländlichem Idyll und urbaner Bürokratie parodiert, die Comicserie war ebenso sehr eine Allegorie der französischen Résistance.

Umso dreister war es, dass in der ersten deutschen Veröffentlichung von »Asterix« von 1965 die Gallier zu Germanen verfälscht wurden, die gegen »Denglisch« sprechende Nato-Besatzer und zwielichtige Wucherjuden kämpften. Die Hauptfiguren wurden in Siggi und Babarras umgetauft, statt eines Hinkelsteins schleppte letzterer einen »Schuldkomplex« mit sich herum. Verantwortet hatte das Machwerk der ehemalige Wehrmachtsoffizier Rolf Kauka, bekannt durch seine sadistischen Comics »Fix und Foxi«, die seit den fünfziger Jahren in nachkriegsdeutschen Kinderzimmern krachende Lachsalven ausgelöst hatten. Uderzo erinnerte sich: »Wir kauften uns eine Ausgabe, und dann ist uns der Himmel wirklich auf den Kopf gefallen.« Kauka verlor die Lizenz und Goscinny kontrollierte seitdem jede deutsche Übersetzung aufs Penibelste.

Nicht verhindern konnte das einige linksradikale Plagiate, in denen Asterix gegen Atomkraftwerke oder die Startbahn West zu Felde zog. Den antiimperialistischen Heimatschutz mussten linke und rechte Adepten dem Comic jedoch erst andichten. Im Original verteidigte Asterix schließlich kein urwüchsiges Barbarenvolk gegen die Zivilisation, sondern eine pittoreske Enklave, deren Bewohner eher Exponenten republikanischer Tugendhaftigkeit waren, wie André Stoll in seiner unübertroffenen Monographie über »Asterix« darlegte: Der gewitzte Titelheld und sein gut­mütiger Kompagnon vereinten Ratio und Empfindsamkeit. Ihre Kraft verdankten sie der wissenschaftlichen Formel eines säkularisierten Druidenpriesters. In ihren Abenteuern bewiesen sie Widerstandskraft, Generosität und Humanität.

Auch zeugten ihre regelmäßigen Ausflüge in fremde Länder keineswegs, wie linke Kritik es häufig meinte, von französischem Nationalchauvinismus. Nie wurden andere Völker hämischem Gelächter ausgesetzt, sondern zeitgenössische Klischeebilder in die antike Handlungszeit übertragen, mit absurden Effekten, die die Plausibilität von zeitlosen Wesenszuschreibungen gerade in Frage stellten. Stereotype wurden aufklärerisch ihrer Borniertheit überführt. In andere Gefilde reisten die Gallier dementsprechend nie als protzige Heroen, sondern als ebenso selbstbewusste wie bescheidene Botschafter eines französischen savoir vivre, etwa als sie den Briten bei der Erfindung des Tees aushalfen. Dass sie selbst fröhliche Materialisten waren, bewies nicht zuletzt das genüss­liche Wildschweinmahl, das jeden Band beschloss. Auf die Heldengesänge des Barden konnten sie verzichten.

Mit René Goscinnys plötzlichem Tod im Jahr 1977 hatte »Asterix« einen seiner Väter verloren. Nur auf Drängen der Leser entschloss sich Uderzo, die Serie im Alleingang fortzusetzen, konnte aber nie wieder die Höhen erreichen, die er zusammen mit seinem genialen Freund Goscinny erklommen hatte. Zudem erlag er der Versuchung, »Asterix« als Vehikel für tagespolitisches Engagement zu nutzen. Sein erstes selbstgetextetes Album enthielt eine rührselige Parabel auf das geteilte Berlin (»Der große Graben«, 1980). Zuletzt schrieb er 2005 eine skurrile Abwehrschlacht gegen außerirdische Mangafiguren, bei der den Galliern Uderzos Kindheitshelden Superman und Micky Maus zu Hilfe kamen.

Schweren Herzens übergab der inzwischen chronisch kranke Uderzo die Serie 2013 an das neue Zeichner- und Autorenduo Jean-Yves Ferri und Didier Conrad. Diese Entscheidung war jedoch fatal: Anstatt den klassischen Wortwitz wiederzubeleben, wartete ihr erstes Heft mit blassem Semiologenhumor auf. Im nächsten Band ging es plötzlich hochpolitisch um Whistleblower und Big Data. Ihr jüngstes Werk dreht sich um eine bezopfte Kriegertochter, die das »Wildschweinesystem« der gallischen Männergesellschaft stürzen will. Greta Thunberg erhielt ein persönliches Widmungsexemplar.

Der Anachronismus dient hier nicht mehr dazu, den Borniertheiten der Gegenwart ihre Willkürlichkeit vorzuführen, sondern ist nun der Modus, in dem die Welt, in der »Asterix« angesiedelt ist, den Politpossen der Gegenwart unterworfen wird. Anachronistisch sind jetzt die Gallier selbst geworden, wie auch der repub­likanische Elan, den sie einst versprüht hatten. Uderzo hingegen eignete dieser bis zuletzt: Unter fortgeschrittener Arthritis leidend brachte er nach dem Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo seine letzte Zeichnung zu Papier, einen kinnhakenschlagenden Asterix, der ausruft: »Moi aussi, je suis un Charlie!« Am 24. März 2020 starb Albert Uderzo im Alter von 92 Jahren.