Ein blick auf die Berliner Kulturszene unter Coronabedingungen

Kultur unter Quarantäne

Die Coronakrise trifft den Berliner Kulturbetrieb hart. Für viele Clubs und Autoren ist die Situation existenzbedrohend. Crowdfunding, Kurzarbeitergeld und staatliche Zuschüsse sollen helfen.

Man muss an keiner Schlange vorbei, doch die Einlasskontrolle an der Tür ist etwas strenger als sonst: Hände des­infizieren, Name, Adresse und Telefonnummer in eine Liste eintragen, Gummihandschuhe optional. Der in Berlin-Friedrichshain gelegene Technoclub About Blank rüstet sich gegen das Coronavirus – ganz ohne Partygäste. Seit dem 14. März ist das Nachtleben in der Hauptstadt eingestellt. Der Senat hat alle Veranstaltungen ab 50 Personen bis zum 19. April verboten. Mittlerweile sind Gruppen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit untersagt, wenn diese nicht zum gleichen Haushalt gehören.

Seit dem 14. März sind wir hier im Ausnahmezustand«, sagt Eli. Fossi nickt. Die beiden gehören zum Kollektiv, das das About Blank betreibt. Sie nehmen Platz im momentan noch kahlen Garten des Clubs. Dort fänden unter normalen Umständen bald die ersten Open-Air-Partys der Saison statt. Aber nichts an der gegenwärtigen Situation ist normal. »Wir kommen aus dem Winter. Das ist bei uns nicht gerade Hochsaison«, sagt Fossi. In wenigen Wochen sollte das About Blank seinen zehnten Geburtstag feiern. Eli und Fossi glauben, dass der Club länger als bis zum 19. April geschlossen bleiben wird. »Wenn das hier eine längere Angelegenheit wird, dann werden wir massive Probleme bekommen«, sagt Eli.

»Wir versuchen, für so viele Leute wie möglich Kurzarbeitergeld zu beantragen und Minijobber in unbezahlten Urlaub zu versetzen.« Fossi, Mitbetreiber des About Blank

Da das About Blank mit vielen externen Promotern zusammenarbeitet, ist der Aufwand, DJs und Partys abzusagen, vergleichsweise gering. Die wichtigste Aufgabe des Clubs besteht derzeit darin, sich um die Mitarbeitenden zu kümmern. »Wir versuchen, für so viele Leute wie möglich Kurzarbeitergeld zu beantragen und Minijobber in unbezahlten Urlaub zu versetzen. Aber die Leute können ja im Veranstaltungsbetrieb, der vor allem am Wochenende stattfindet, gar nicht so viel arbeiten«, sagt Fossi. »60 Prozent des Nettogehalts für kinderlose Mitarbeitende beziehungsweise 67 Prozent für Mitar­beitende mit Kindern bedeutet, unter dem Existenzminimum zu leben.«

SO36

Bis zum nächsten Konzert wird Nanette vom SO 36 wohl noch eine Weile warten müssen

Bild:
Nicholas Potter

Kredite helfen kaum

Der Club versucht, seine Fixkosten auf ein Minimum zu senken. Für Miete, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge hat das About Blank Stundungen beantragt. Das Finanzamt solle kulant sein, hieß es aus der Politik. »Es braucht aber einfache, schnelle und unkomplizierte Hilfen«, fordert Eli. Kredite würden nicht besonders viel helfen. »Wir werden in zwei Monaten nicht doppelt so viele Getränke verkaufen können. Wir können es nicht nachholen.« Es gehe allerdings um viel mehr als bloß um ausgefallene Partys. »Wir und viele andere linke Projekte sind eben auch Orte, wo Soli-Gelder generiert werden, die in linke Strukturen fließen.« Der Club habe nicht am meisten zu leiden. Die Situation an den europäischen Außengrenzen sei wirklich drastisch. Die Krise werde vieles ändern. Fragen von Solidarität und Zusammenarbeit würden auf einer ganz neuen Ebene gestellt. »Man muss sich entscheiden: Bin ich die Person, die Klopapier hortet und den anderen nichts übrig lässt, oder bin ich die Person, die der älteren Nachbarin beim Einkaufen hilft. Wir müssen aufpassen, dass wir in den kommenden Wochen auch weiterhin politisch aktiv bleiben, damit es in eine gute und nicht in eine furchtbare Richtung läuft.«

Der Club hat eine Crowdfunding-Kampagne gestartet: Für 15 Euro bekommt man einen Schlüsselanhänger, für 150 Euro einen Toilettenpapier­halter aus dem Laden. Die Kampagne findet große Unterstützung. Innerhalb der ersten 24 Stunden wurden 37 000 Euro gespendet. Doch die 100 000 Euro, um die das About Blank bittet, wären nur ein Tropfen auf den heißen Stein. »Das ist das Bittere daran. Es ist wahnsinnig viel Kohle, würde uns aber nur helfen, ein bisschen Zeit zu gewinnen und die härtesten Einschnitte zu vermeiden«, sagt Fossi.

Schon bevor der Senat anordnete, Bars und Clubs vorübergehend stillzulegen, mussten Clubs in Berlin schließen oder waren zumindest von der Schließung bedroht. Die Coronakrise könnte das »Clubsterben« in der Hauptstadt beschleunigen. Nach Angaben der Clubcommission Berlin sind 9 000 Mitarbeitende sowie 20 000 Künstlerinnen und Künstler derzeit ohne Beschäftigung. Der Zusammenschluss von Clubbetreibern hat die Kampagne »United We Stream« gestartet. Täglich ab 19 Uhr werden DJ-Sets, Live-Performances und Diskussionen aus den Clubs live im Internet übertragen. Zuschauer können spenden, das Geld wird nach einem Schlüssel von einer sechsköpfigen Jury verteilt. Acht Prozent der gesammelten Gelder kommen einem Stiftungsfonds für zivile See­notrettung zugute.

Bier statt Slime

Auch das Kreuzberger SO 36 stellt die vom Senat verordnete Schließung vor Probleme. Vor der legendären Punk­institution steht ein selbstgemachtes Schild, verziert mit einem Herz, auf dem »Sorry Punks« steht. Am 14. März sollte die altbekannte Punkband Slime wieder einmal im SO 36 spielen. Es wäre das zweite von zwei ausverkauften Konzerten gewesen. Auch das für den 13. März geplante Konzert wurde verschoben. »Für die Leute, die noch nicht Bescheid wussten, hatten wir drei Kästen Bier vor die Tür gestellt«, ­erzählt Nanette vom Organisationsteam.

Das SO 36 wird von ­einem Verein betrieben. Lilo ist Mitglied in diesem. Die 60jährige arbeitet seit 1997 im SO 36. »Das SO hat ja schon in meiner Zeit auch andere Krisen gehabt. Aber diese Krise ist besonders, weil sie nicht nur uns betrifft, sondern so viele andere Menschen – un­sere ganze Gesellschaft im Grunde«, sagt Lilo. Der Club habe ein paar Rück­lagen, viel sei das aber nicht. 40 000 Euro bräuchte der Laden monatlich, um sich über Wasser zu halten – dazu ­kämen noch die Löhne. Der Vermieter habe zwar eine Miete gestundet, Schulden seien aber auch keine Lösung für den Laden, der es auch sonst gerade so über die Runden schafft. Ohne finan­zielle Hilfe könne der Club vier bis sechs Wochen überleben, sagt Nanette. Auch die Belegschaft des SO 36 bezieht Kurzarbeitergeld. Lilo sagt: »Wenn aber nur 60 Prozent von unseren ­Löhnen übrig sind, dann ist klar, dass wir alle irgendwo aufstocken ­müssen.«

Nanette bearbeitet die Kartenstornierungen. »Das ist viel Arbeit. Wir bitten die Leute natürlich darum, nicht alle gleichzeitig ihr Geld zurückzuverlangen. Die Konzerte finden irgendwann noch statt«, sagt sie. Wenn die Karten über externe Plattformen wie Eventim bestellt wurden, sei das aber eher schwierig.

»Gedichtbände sind teure, aufwen­dige Visitenkarten. Die stellst du hin und dann wirst du zu Lesungen eingeladen. Damit verdienst du dein Geld.« Max Czollek, Autor

Angesichts der finanziellen Notsituation hat das SO 36 einen Spendenaufruf gestartet. Am ersten Wochenende wurden 15 000 Euro gespendet. »Das gibt uns Kraft. Aber auch Feedback, dass unser Anspruch, einen politischen und sozialen Laden zu betreiben, von Leuten respektiert wird. Unsere Besucherinnen und Besucher sind nicht die wohlhabendsten auf der Welt. Dass sie trotzdem alle Geld für uns locker machen, das ist schon ganz toll«, sagt Lilo. Wenn der Laden am 19. April wieder aufmachen dürfte, würden das schon gesammelte Geld und die wenigen Rücklagen ausreichen, um eine Insolvenz zu vermeiden.

Lilo und Nanette betonen die sozialen und politischen Folgen des Coronavirus. »Die Gesellschaft, aber auch ­unsere linken Strukturen werden sich sehr dadurch verändern« sagt Nanette. Lilo ergänzt: »Es ist sehr wichtig, dass wir es schaffen, trotz dieser Begrenzung solidarisch zu sein. Das Asylrecht wird ausgehebelt und es darf nicht mehr demonstriert werden. Wir müssen nach anderen Formen suchen und als Linke und queere Menschen auch sichtbar sein.«

4 000 ungelesene E-Mails

Die Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus treffen die subkulturellen Veranstaltungsorte Berlins besonders hart. Doch auch die sogenannte Hochkultur bleibt nicht verschont. Davon berichtet der Theaterregisseur und künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, am Telefon; ein persönliches Treffen will er aufgrund der Empfehlungen des Senats vermeiden. Vom 11. bis zum 22. März sollte hier das unter der Abkürzung FIND bekannte Festival für Internationale Neue Dramatik stattfinden. Zum 20. Jubiläum des Festivals waren neun internationale Gastspiele sowie zwei Premieren geplant. »Es ist furchtbar, vor allem für die Mitarbeiter, die über ein Jahr alles logistisch ausgetüftelt hatten. Da waren die Schmerzen am größten«, sagt Ostermeier.

Anders als einige andere große Bühnen der Stadt ist die Schaubühne ein Privattheater. »Wir werden zwar von der Stadt subventioniert, aber wir sind eine GmbH. Anders als die Stadt- und Staatstheater müssen wir Insolvenz anmelden, wenn wir auf ein Defizit zusteuern und keine positive Perspektive sehen«, erläutert Ostermeier. 32 Prozent seines Budgets muss das Haus selbst bestreiten, bei staatlichen Theatern liegt dieser Anteil zwischen sieben und zwölf Prozent. Ostermeier sagt, die Schaubühne lebe von ihrem Publikum. Auch die vielen internationalen Gastspiele, die nun abgesagt werden, seien wichtige Einnahmequellen.

Dass in der Schaubühne derzeit keine Aufführungen stattfinden, bedeutet nicht, dass keine Arbeit anfällt. »Im Moment ist unsere Kasse damit beschäftigt, die ganzen Anfragen zu bearbeiten. Sie hat 4 000 ungelesene E-Mails«, sagt Ostermeier. Doch viele Zuschauerinnen und Zuschauer wollten das Geld lieber spenden als eine Erstattung zu bekommen. »Wir prüfen gerade auch verschiedene Modelle, um durch diese Krise zu kommen. Eine Option ist Kurzarbeitergeld für unsere Beschäftigten.«

In der Zwischenzeit entwickle die Schaubühne neue künstlerische Formate. »Jeden Tag senden wir einen Clip von einem Ensemblemitglied, Autor, Regisseur oder Musiker, der einen direkten oder weiteren Bezug auf unsere Stücke hat, die wir nicht spielen können«, so Ostermeier. Zudem stelle das Theater täglich eine Aufzeichnung einer Inszenierung zum Streamen online. »Wir hatten schon viele Stücke für das Fernsehen aufgezeichnet. Sie sind ein wirklich professioneller Versuch, ein Theatererlebnis auf einem Bildschirm nachzuempfinden – ohne lange Einstellungen.«

Max Czollek

Mit Schlappen in Schreibklausur: der Autor Max Czollek

Bild:
Nicholas Potter

Lesungen auf Instagram

Für Autorinnen und Autoren ist die derzeitige Situation existenzbedrohend. Viele leben nicht von Buchtantiemen, sondern von den Honoraren, die sie für Liveveranstaltungen wie Lesungen und Diskussionen erhalten. »Gedichtbände sind teure, aufwendige Visitenkarten«, sagt der Lyriker und Essayist Max Czollek. »Die stellst du hin und dann wirst du zu Lesungen eingeladen. Damit verdienst du dein Geld.« Czollek nippt an seinem Kaffee. An der Wand des Arbeitszimmers stehen Regale voller Lyrik, geordnet nach Sprachen: rechts die deutschsprachigen Bände, links die internationalen. 2018 erschienen sein Buch »Desintegriert euch!«, das polemische Manifest gegen das deutsche Integrationsparadigma machte den 32jährigen Autor bekannt. Zur Zeit arbeitet er an einem Buch mit dem Arbeitstitel »Gegenwartsbewäl­tigung«. Es soll eine Abrechnung mit der deutschen Leitkultur werden. Bis Ende April muss das Buch fertig sein. »Faktisch bin ich jetzt in einer Art Schreibklausur – gezwungenermaßen«, sagt Czollek.

Am 3. März wurde die Leipziger Buchmesse abgesagt. Die Messe sollte Mitte März stattfinden. Die Lyrikszene wollte sich trotzdem treffen, doch die Coronainfektion eines Autoren machte den Beteiligten einen Strich durch die Rechnung. Das Verlagshaus Berlin, das Czol­leks Gedichte verlegt, hat eine Reihe von Videolesungen auf Instagram gestellt. Auf Instagram lesen Schauspie­lerinnen und Schauspieler wie Jane Chirwa und Clemens Schick Auszüge aus »Desintegriert euch!« vor. »Das ist seit einem Jahr in Planung. Das kommt jetzt wirklich zufällig zu diesem Zeitpunkt«, sagt Czollek.

Er hat zwei Initiativen als Reaktion auf die aktuelle Notsituation mitorga­nisiert: Das Alumninetzwerk des jüdischen Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks sammelt Geld für Freischaffende, die akut finanzielle Hilfe benötigen. Auch in seinem Freundeskreis sei ein Notfalltopf initiiert worden, ­erzählt Czollek. Seit Freitag voriger Woche können zudem in Berlin ansässige Selbständige und Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitenden insgesamt bis zu 14 000 Euro aus Landes- und Bundesmitteln beantragen. Das Geld muss nicht zurückgezahlt werden.

Czollek ist bewusst, dass er in einer privilegierten Position ist. »Die Situation trifft gerade Menschen, die prekär beschäftigt sind, die keine große Wohnung haben. Und das sind prozentual mehr Migrantinnen und Migranten als in den oberen Schichten«, sagt er. »Das wäre mal wieder ein Anlass, an ein Bündnis einer postmigrantischen Linken zu denken.« Czollek blickt aber nicht nur optimistisch in die Zukunft. Über die drohende Wirtschaftskrise macht er sich keine Illusionen, sondern Sorgen. Er meint: »Davon werden vor allem rechte Parteien profitieren. Die AfD hat gemeinsam mit CDU, CSU und FDP die letzten Jahre gute Vorarbeit geleistet.«

Diese zwiespältigen Erwartungen dürften die Stimmung, die auch anderswo in der Berliner Kulturszene herrscht, auf den Punkt bringen. Die derzeitige Krise könnte eine Chance sein, den neoliberalen Status quo zu hinterfragen. Doch die Gefahr, die sie birgt, ist nicht zu unterschätzen.