Quinoa aus der Kooperative

Wunderkorn mit Tücken

2013 erklärte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) Quinoa zum »Wunderkorn gegen den Hunger«, was einen Boom auslöste. Mittlerweile sind die Preise des Pseudogetreides wieder gefallen. Eine Genossenschaft in Bolivien plant den Anbau und die Verarbeitung dennoch langfristig.

Pesque heißt das einfache traditionelle Frühstück aus Quinoa, Milch, etwas Käse und manchmal einem Ei. Der hellgelbe Brei ist bei Kindern wie Erwach­senen beliebt, im peruanischen Puno genauso wie im bolivianischen El Alto auf der anderen Seite des Titicacasees. In El Alto stehen an den Frühstücksständen oft Tüten mit dem Aufdruck »Quinua Real«, »königliche Quinoa«. So dürfen nur bolivianische Bauern aus den Anbaugebieten zwischen den Salzseen Salar de Uyuni und Salar de Coipa­sa ihre bunten Körner nennen. Zwischen den beiden Seen auf einer Höhe von rund 3 500 Metern über dem ­Meeresspiegel befindet sich das Zentrum der bolivianischen Quinoaproduk­tion.

»Wir sorgen dafür, dass die Brachzeiten der Böden eingehalten werden und produzieren unseren eigenen Biodünger.« Abraham Apaza, Geschäftsführer des Genossenschaftsverbands Anapqui

Hier hat auch das Ankauf- und Verarbeitungszentrum des Genossenschaftsdachverbands Anapqui seinen Sitz. »15 Genossenschaften mit etwa 3 000 Mitgliedern haben wir derzeit«, sagt der Geschäftsführer Abraham Apaza im Büro in La Paz. »In Challapata befindet sich unser regionales Zentrum, inklusive des Forschungs- und Beratungs­zentrums Proquinat.« Dort wird der Anbau und Export von Quinoa koordiniert. Die bunten, nussig schmeckenden Samen gibt es je nach Sorte in Hellgelb, Rot und Schwarz. Auf den Feldern der Produzenten werden sie gemischt angebaut und später in der Sortieranlage von Anapqui gewaschen und voneinander getrennt. Auf jeweils ein bis maximal zwei Hektar werden die bis zu zwei Meter hohen krautigen Pflanzen angebaut, die zahlreiche Rispen mit Samen tragen. Die Quinoa ist genügsam, braucht wenig Wasser und wächst am besten auf über 3 000 Metern Höhe.

Die Inka nutzten sie als Alternative zum Mais. Dennoch galt die nahrhafte und widerstandsfähige Pflanze in Bo­livien lange als Essen für arme Leute. Das lag vor allem daran, dass den spa­nischen Kolonisatoren vieles suspekt war, das Indigene nutzten. Das eiweißreiche, Phosphor und Magnesium enthaltende Korn wurde erst in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wiederentdeckt. Damals hätten sich Produzenten zusammengeschlossen und im Dezember 1983 Anapqui als nationale Vereinigung der Quinoapro­duzenten gegründet, so der Geschäftsführer Apaza. Das Logo der Genossenschaft, ein rosa eingefasstes Oval, in dem der Schriftzug Anapqui auf einem bunten, von Quadraten gebildeten Farbteppich ruht, geht auf die Wiphala zurück, die Fahne der indigenen Bevölkerung der Anden. »Das ist nur folgerichtig, denn wir sind eine von indigenen Bauern gegründete Organisation«, so Apaza.

Anapqui erschloss schnell den eigenen Markt, 1988 nahm sie Kontakt zu Organisationen des fairen Handels auf und vollzog ein paar Jahre später die Umstellung auf Bioanbau. Das waren grundlegende Entscheidungen, die dazu führten, dass Anapqui zwar vom Quinoa-Boom ab 2013 profitierte, die Strukturen im Anbau und Vertrieb aber nicht änderte.

Ausgelöst wurde der Hype um das »Superfood der Inka« von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die 2013 zum »Jahr der Quinoa« ausrief und das Potential der Pflanze im Kampf gegen den Hunger rühmte. Quinoa wurde damals zunächst bei Gesundheitsbewussten in den USA und Europa beliebt, der Hype sorgte dafür, dass das glutenfreie Pseudogetreide auf den Speisekarten von Restaurants rund um den Globus landete. Die Preise für Quinoa schossen in die Höhe und so manche Bauernfamilie in den beiden wichtigsten Produktionsländern, Peru und ­Bolivien, säte aus, so viel ihre Felder hergaben.

Auch bei Anapqui war das so – aber im Rahmen der Vorgaben der Agrartechniker der Genossenschaft. »Wir sorgen dafür, dass die Brach­zeiten der Böden eingehalten werden, produzieren unseren eigenen Biodünger und kümmern uns um den Schutz und den Erhalt der Flächen, zum Beispiel mit Hecken gegen den Wind, der die Humusschicht sonst ­abträgt«, erklärt Apaza das nachhaltige Konzept, über das die Agrartechniker der Firma Proquinat wachen. Das war die richtige Entscheidung, die Genossenschaft stand nicht wie so manche in Peru nach zwei, drei Jahren auf ausgelaugten Böden. »Wir haben auch nicht mechanisiert wie in Peru, wo der Anbau von den andinen Höhenlagen teilweise an die Küste verlagert wurde, wo nach agroindustriellen Konzepten angebaut wird«, sagt Apazas Kollege Ricardo Machicado, der seinem Vorgesetzten gerade neue Zahlen übermittelt hat.

In den Boomjahren von 2013 bis 2016 war der agroindustrielle Anbau von Quinoa weit verbreitet, mittlerweile hat sich das Geschäft wieder beruhigt. »Die Importeure haben schon begriffen, dass es Qualitätsunterschiede gibt, sowohl was den Nährwert als auch die Belastung angeht«, so Apaza, der sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen kann, weil Anapqui so gut dasteht. Die Hälfte der ungefähr tausend Tonnen, die eine Ernte der Genossenschaft durchschnittlich einbringt, wird exportiert, der Rest auf dem nationalen Markt abgesetzt. Das Verhältnis könnte sich in den nächsten Jahren noch ändern, denn Anapqui will den Anteil der verarbeiteten Quinoaprodukte ausweiten und damit sowohl den nationalen als auch den internationalen Markt erobern. Höhere Wertschöpfung zugunsten der Produzenten lautet die Devise.

Zum wichtigsten Instrument wurde dabei die eigene Fabrik in der über der bolivianischen Hauptstadt La Paz liegenden Stadt El Alto mit ihrer wachsenden Industrie- und Freihandelszone. Die ­Fabrik ist im Stadtviertel Kenko angesiedelt. Das Logo von Anapqui ist schon von weitem neben dem Eingangstor in der Avenida Nestor Galindo zu sehen. Ein Lastwagen mit dem Logo der Schulbehörde passiert das Tor. »An den Schulen sind unsere Quinoa-Pops Teil des Frühstücks der Pennäler. Das hat uns einen Schub verliehen, so dass wir in den Ausbau der Fabrik investieren können«, sagt Apaza, während er das Tor passiert. Am Eingang zur Produktionshalle empfängt wenig später Juan Carlos Colque die Besucher mit Kitteln, Mundschutz und Haarnetzen. Er ist der leitende Ingenieur der Fabrik, in der die Quinoasamen zu knapp einem Dutzend Produkten verarbeitet werden.

Neben dem Eingang hängt eine bunte Metallplakette, die belegt, dass auch aus einem EU-Entwicklungsfonds Geld in die Ausstattung der Fabrik geflossen ist; vielleicht in die Nudelmaschine aus italienischer Produktion, die gleich ­neben dem Eingang steht. Gegenüber trocknen auf langen Blechen in einer containergroßen Kammer die Quinoa­nudeln, die im nächsten Hallenabschnitt verpackt werden. Dort steht auch die Anlage, mit der gepuffte Quinoakörner für das Schulfrühstück produziert werden. In einer Ecke dahinter wird der Teig für Quinoakekse angerührt. »Derzeit haben wir ein gutes Dutzend eigene Produkte im Angebot, aber wir wollen unser Angebot kontinuierlich erweitern. So generieren wir nicht nur höhere Einnahmen, sondern schaffen auch Arbeitsplätze im Land und sorgen dafür, dass der Quinoakonsum sich nicht ins Ausland verlagert«, sagt Apaza.

Eine solche Verlagerung kritisierten Entwicklungsexperten, als die Nachfrage nach Quinoa 2013 explodierte. Die Preise stiegen, der Quinoakonsum in den Produktionsländern sank. Mittlerweile hat sich das zumindest in Bolivien wieder geändert. Ein Grund dafür ist, dass Produkte wie Quinoanudeln in den ersten Supermärkten Boliviens angekommen sind; ein anderer ist, dass die Nachfrage aus dem Ausland und damit der Preis gesunken ist. 500 Bolivianos (63 Euro) kosten 46 Kilogramm der Körner auf dem lokalen Markt von Challapata, dem größten Quinoahandelsplatz des Landes. »Wir hingegen zahlen 780 Bolivianos und wir holen die Ware nicht nur ab, sondern haben auch ein Gesundheitsprogramm und ein Rentenprogramm für unsere Mitglieder aufgelegt«, sagt Apaza, sein Kollege Machicado nickt stolz. Diese Fortschritte haben viel zu tun mit der Verar­beitung in der eigenen Fabrik und dem Festhalten am eigenen Entwicklungskonzept.