In diesem Jahr sollen ­wieder Castor-Transporte durch Deutschland rollen

Der Castor kehrt zurück

Nach achtjähriger Pause sollen wieder Castor-Transporte nach Deutschland rollen. Bislang protestieren nur wenige Atomkraftgegner dagegen.

»Castor stoppen!« Der Aufruf klingt nach den Neunzigern, nach Wendland, nach Schienenblockaden, nach miesem Wetter und Rennerei im Wald. Doch er ist wieder aktuell. In den kommenden Jahren sollen Castor-Transporte aus Frankreich und Großbritannien in mehrere deutsche Zwischenlager für Atommüll rollen. 25 Behälter mit Atommüll aus deutschen Atomkraftwerken (AKW) stehen derzeit noch in den Wiederaufbereitungsanlagen Sellafield und La Hague. In diesem Jahr soll ein erster Castor-Transport aus Sellafield ins hessische Biblis erfolgen. Weitere Transporte sind für die kommenden Jahre geplant. Der Atommüll soll an mehreren AKW-Standorten gelagert werden, bis ein Endlager bestimmt wird – wobei es ein dauerhaft sicheres Endlager, das über Jahrtausende Schutz vor Verstrahlung böte, ohnehin nicht geben kann. Nach Gorleben im Wendland sollen vorerst keine Castor-Behälter mehr transportiert werden.

In diesem Jahr soll ein erster Castor-Transport aus Sellafield ins hessische Biblis erfolgen. Weitere Transporte sind für die kommenden Jahre geplant.

Zwischen 1995 und 2011 gingen 13 Castor-Transporte nach Gorleben. Die Proteste dagegen wurden in dieser Zeit immer größer. Nach der Reaktorkatas­trophe im japanischen Fukushima 2011 beschloss die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie; eine erste Vereinbarung mit den Energieunternehmen zur Abschaltung der deutschen AKW hatte die rot-grüne Regierung ­unter Gerhard Schröder im Jahr 2000 getroffen. Zudem sollte die Situation in Gorleben beruhigt werden. Weiterer Atommüll in der niedersächsischen Provinz hätte das Zwischenlager zum fak­tischen Endlager für radioaktiven Abfall gemacht. 2013 verbot der Bundestag weitere Transporte nach Gorleben, bis ein Endlager gefunden ist.

Doch eine Frage blieb: Wohin mit dem deutschen Müll, der in Sellafield und La Hague auf den Abtransport wartete? Bund und Länder einigten sich 2015 auf eine dezentrale Lagerung in den Zwischenlagern der Atomkraftwerke Brokdorf, Biblis, Philippsburg und Isar. Diese Lösung verkündete die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die betonte, es sei »ein Gebot der Fairness, die Lasten der Atomenergienutzung in einem bundesweit ausgewogenen Verhältnis unter den Bundesländern zu verteilen«.

Allerdings gibt es Probleme mit der Zwischenlagerung an den Atomkraftwerken. Die dortigen Hallen waren nur für den Müll ausgelegt, den die jewei­ligen Kraftwerke selbst produzierten. Ihnen fehlen in der Regel sogenannte heiße Zellen, in denen Castor-Behälter zum Beispiel bei Problemen mit den Deckeln repariert oder umgeladen werden könnten. Auch eine stichproben­artige Untersuchung oder der Austausch eines Behälters ist dort nicht möglich. Die einzige heiße Zelle Deutschlands gibt es in Gorleben. Sie entspricht jedoch nicht mehr dem Stand der Technik und soll in absehbarer Zeit stillgelegt werden. Im Zwischenlagerkonzept des Bundesumweltministeriums heißt es, die Errichtung heißer Zellen an den Zwischenlagern solle geprüft und im »unwahrscheinlichen Fall von Problemen mit den Dichtungssystemen« schnell genehmigt werden. Zudem sind die Hallen nicht gegen schwere Unfälle oder Terroranschläge geschützt. Die Wände und Decken der Zwischenlager sind zu dünn, um etwa Flugzeugabstürze oder Angriffe mit panzerbrechender Munition zu überstehen. Die Wände haben, je nach Standort, eine Dicke von 85 bis 120 Zentimetern. In den Niederlanden haben die Zwischenlager Wände mit einer Dicke von 1,7 Metern.

Die »Atommüllkonferenz«, in der sich Bürgerinitiativen verschiedener Lagerstandorte zusammengeschlossen haben, kritisierte die mangelnde Sicherheit der deutschen Zwischenlager schon vor zwei Jahren in einem Positionspapier und forderte Nachrüstungen. Wie schlecht es um die Zwischenlager steht, zeigt sich im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel. Dort hatte ein Anwohner gegen das Lager am Atomkraftwerk geklagt und 2015 vor dem Bundesverwaltungsgericht recht bekommen. Die Richter bestätigten, dass das Lager in Brunsbüttel nicht ausreichend geschützt sei. Diese Entscheidung hat allerdings keine Folgen für die Lagerung des Atommülls. Das schleswig-holsteinische Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume hat erst kürzlich eine Anordnung verlängert, der zufolge der Müll weiterhin in Brunsbüttel gelagert werden darf. Ein neues Genehmigungsverfahren für die Hallen läuft seit mehreren Jahren. Wann dieses ­abgeschlossen wird, ist jedoch nach Angaben des Ministeriums nicht absehbar.

Trotz dieser Probleme in den Zwischenlagern sind Castor-Transporte geplant. Die Gegner bereiten sich darauf vor. Am Sonntag gab es bundesweit Proteste an Atomstandorten. Bei Gorleben spazierten 40 Menschen über die Schienen, auf denen die Transporte in der Vergangenheit ins dortige Zwischenlager transportiert wurden. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg kommentierte: »Der Nachklapp zu den Castor-Transporten, die bis 2011 nach Gorleben rollten, wirkt wie die Rückkehr der Untoten.« Die wendländischen Atomkraftgegner versicherten den Protestierenden in Biblis ihre Solidarität: Jahrelang seien Menschen nach Gorleben gekommen, nun heiße es: »Wir sind alle Biblis.«

In Biblis nahmen 100 Menschen an einem Spaziergang vom Bahnhof zum Atomkraftwerk teil. Sie führten einen selbstgebauten Castor-Behälter mit, der von sechs als Zombies verkleideten Demonstranten getragen wurde. Diese sollten die »sechs totgeglaubten, aber noch laufenden AKW in Deutschland« darstellen.

Jochen Stay von der Initiative »Ausgestrahlt« findet es wichtig, gegen die neuen Transporte zu protestieren. Diese seien gefährlich, weil sie nicht ausreichend gegen Unfälle zu schützen seien. Dass Deutschland seinen Atommüll zurücknehmen müsse, steht für Stay außer Frage. »Damit sollte aber gewartet werden, bis geklärt ist, wo er dauerhaft gelagert werden soll.« Die Lösung mit dezentralen Zwischenlagern und einem noch zu findenden End­lager führe zu unnötigen Transporten. Dass die Behälter länger in Sellafield und La Hague bleiben könnten, sei in den vergangenen Jahren deutlich geworden. Und noch etwas ist Jochen Stay wichtig: »Der Protest gegen die Castor-Transporte wird auch genutzt, um zu zeigen, mit wie viel Widerstand bei ­einer eventuellen Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke zu rechnen ist.«

Ähnliches betont auch das Bündnis »Castor stoppen«. Auf seiner Website heißt es: »Für die breite Bevölkerung scheint der Atomausstieg 2022 beschlossene Sache zu sein. Ausstiegskonzepte beinhalten aber immer die Möglichkeit eines Ausstiegs vom ­Ausstieg.« Im Zuge der Klimakrise gebe es eine »medial befeuerte Debatte« über eine Rückkehr zur Atomenergie. Dieser wolle man sich genauso wie den Castor-Transporten entgegenstellen, weiterhin wolle man auf die erheblichen Gefahren der Nutzung von Atomkraft aufmerksam machen. Der Protest am Wochenende mit bundesweit nur wenigen Hundert Teilnehmern war da allerdings nur ein kleiner Schritt.