Der Iran missachtet das ohnehin brüchige Atomabkommen

Diplomatisch anreichern

Im Konflikt über das Atomabkommen mit dem Iran haben die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens das im Vertrag vorgesehene Streitschlichtungsverfahren in Gang gesetzt. Dabei war es die EU selbst, die einst die Lieferung bestimmter Uran­anreicherungstechnik von Sanktionen ausgenommen hat.

Das Atomabkommen mit dem Iran steht zur Disposition. Am 5. Januar verkündete der iranische Präsident Hassan Rohani, der Iran werde sich nicht mehr an die im Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) vereinbarten ­Restriktionen bei der Urananreicherung halten. Zwei Tage zuvor hatte eine US-amerikanische Drohne General Qasem Soleimani, den Kommandeur der al-Quds-Brigaden, getötet. Die iranische Regierung wollte hart reagieren und benutzte dafür den Vertrag, aus dem sich die USA bereits im Mai 2018 zurückgezogen hatten.

Da es keine Informationen über relevante französische oder britische Zentrifugentechnik gibt, muss davon ausgegangen werden, dass der Iran die Atomanlage Fordo mit deutscher Technik betreibt.

Am 14. Januar antworteten die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands mit einer gemeinsamen Erklärung, in der sie ihren Willen, den Vertrag zu erhalten, und ihr Verständnis für die iranischen Wünsche nach Kompensation für die neuerlichen US-Sanktionen bekräftigen. Ungeachtet dessen habe die iranische Ankündigung »immer schwerere und unumkehrbare Folgen im Hinblick auf die nuk­leare Nichtverbreitung«. Deshalb würden die drei Regierungen das in Paragraph 36 des JCPOA vorgesehene Streitschlichtungsverfahren in Gang setzen, um den Iran wieder zur Einhaltung des Abkommens zu bewegen.

Irans Außenminister Javad Zarif ­reagierte ungehalten. Das eingeleitete Schlichtungsverfahren tadelte er als »strategischen Fehler«. Das Gerücht machte die Runde, die US-Regierung habe mit der Androhung schmerzhafter Zölle auf Autoimporte Druck ausgeübt; die Europäer seien eingeknickt und suchten einen eleganten Austritt aus dem Abkommen. Wenn nämlich im Schlichtungsverfahren keine Einigung erzielt werden kann, genügt der Antrag eines einzelnen Vertragspartners, um die Angelegenheit vor den UN-­Sicherheitsrat zu bringen. Dort würden die USA mit ihrem Vetorecht eine wie auch immer geartete Entscheidung blockieren. Dann träte automatisch der sogenannte Snapback-Mechanismus in Kraft. Alle 2015 aufgehobenen UN-Sanktionen würden dann wieder gelten.

Somit ist es um das vielerorts gefeierte Jahrhundertwerk der Diplomatie nach knapp fünf Jahren schlecht bestellt. Für US-Präsident Donald Trump war es ohnehin eine der schlechtesten Vereinbarungen aller Zeiten. Aber die US-Regierung hat gar nicht erst nach der Bilanz des JCPOA gefragt, als sie aus dem Vertrag ausstieg.

Für den Iran sind natürlich die USA an allem schuld. Diese Ansicht teilen die europäische Politik und viele Medien weitgehend. Erhebliche Zweifel an dieser Sichtweise kommen auf, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass das iranische Atomprogramm nach 2015 weiter vorangetrieben wurde, wie Präsident Rohani am 16. Januar bekundete: Es sei heutzutage »fortgeschrittener« als vor dem Atom­abkommen. Das Land habe mehr Kapazitäten, um Uran anzureichern.

Seinen Fünfjahresplan zum Ausbau der Anreicherungskapazitäten hat der Iran ohne jeden äußeren Anlass oder Zwang verfolgt. Rohanis Feststellung trifft das Abkommen im Kern. Es hatte zum Ziel, den Zeitraum, den der Iran benötigt, um das für eine Atombombe erforderliche waffenfähige Uran oder Plutonium herzustellen, die sogenannte breakout time, auf mindestens ein Jahr festzulegen. Aus der Aussage des iranischen Präsidenten muss geschlossen werden, dass der Iran nun weniger als zwölf Monate benötigen würde.

Sieht man sich an, wie es trotz der beispiellosen Überwachung des Atomprogramms durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) dazu kommen konnte, wird deutlich: Die Europäer haben dem Iran dazu verholfen. Im JCPOA verzichtete der Iran auf den Betrieb von zwei Dritteln seiner etwa 17 000 alten Zentrifugen des Typs IR-1. Zarif feilschte hingebungsvoll um jeden einzelnen Rotor, das gefährdete aber zu keinem Zeitpunkt die Verhandlungen. Ein paar Hundert IR-1-Zentrifugen mehr oder weniger – darauf kam es nicht an. Viel wichtiger waren dem iranischen Regime Forschung und Entwicklung. Hier forderte das Staatsoberhaupt Ali Khamenei persönlich, dass es keine Einschränkung für die Forschung und Entwicklung geben dürfe. Vereinbart wurde schließlich, dass der Iran 15 Jahre lang nur IR-1-Zentrifugen für die Urananreicherung benutzt und dass diese ausschließlich in der Atomanlage Natanz stattfindet. Für fortgeschrittenere und viel leistungsstärkere Zentrifugen des Typs IR-4, IR-6 und IR-8 wurden lediglich Test­installationen in sehr begrenzter ­Anzahl erlaubt. Sie sollten nicht mit Uran arbeiten und nicht in Serie ­geschaltet werden. In der Atomanlage Fordo war es erlaubt, einige der bis­herigen Zentrifugen zu betreiben, aber nicht zur Anreicherung von Uran, sondern zur Herstellung »stabiler Isotope« für technische oder medizinische Zwecke.

Nun hat der Iran zunächst 30 und dann 60 Zentrifugen vom Typ IR-6 in Betrieb genommen. Mit ihnen pro­duziert er nach Angaben der iranischen Atomenergieorganisation derzeit täglich fünf Kilogramm angereicherten Urans. Geht man im besten anzunehmenden Fall davon aus, dass das Regime die ihm auferlegte Begrenzung der ­Anreicherung auf 3,67 Prozent nicht überschreitet, und setzt man dessen ­Respekt vor religiösen Feiertagen voraus und veranschlagt lediglich 200 Arbeitstage im Jahr, dann entspräche das einer Jahresproduktion von einer Tonne Uran mit einem Anteil von 36,7 Kilogramm des spaltbaren Isotops Uran-235. Schon eine vorsichtige Schätzung bestätigt somit Rohanis Feststellung.

Alles deutet darauf hin, dass diese Produktion in Fordo stattfindet. In Kürze dürfte der nächste IAEA-Report darüber Aufschluss geben. Aber was hat die EU damit zu tun? In ihren Dokumenten zum JCPOA findet sich ein Beschluss des Rats der EU vom 31. Juli 2015, unmittelbar nach der Billigung des Abkommens durch den UN-Sicherheitsrat. Darin heißt es, dass »die Sanktionen nicht mehr für die Bereitstellung von Material, Ausrüstung oder Unterstützung in Bezug auf Folgendes gelten«, und unter dem ersten Punkt wird »die Modifizierung von zwei Kaskaden der Anlage von Fordo für die Herstellung stabiler Isotope« genannt. Damit hat der Rat der EU einige spezifische Sanktionen – die allerdings auf die Proliferation bezogen waren – sofort nach Abschluss des JCPOA und noch vor dessen Inkrafttreten aufge­hoben. Das Verbot von Lieferungen für das iranische Atomprogramm sollte laut Vertrag jedoch erst nach acht Jahren enden. Heute könnten sich die europäischen Diplomatinnen und Diplomaten, allen voran der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Helga Schmid, damals stellvertretende Generalsekretärin für politische Fragen, seit September 2016 Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), nur mit Verweis auf ihre grenzenlose Naivität verteidigen.

Höchstwahrscheinlich wird die Öffentlichkeit nicht erfahren, um welche Unternehmen es sich handelte, die ­Material, Ausrüstung und know-how für diejenigen Zentrifugenkaskaden ­geliefert haben, mit denen der Iran zurzeit die breakout time unterbietet, die der JCPOA als kritisch ansieht. Da es keine Informationen über relevante französische oder britische Zentrifugentechnik gibt, muss davon ausgegangen werden, dass der Iran die Atomanlage Fordo mit deutscher Technik ­betreibt. Das ist ein niederschmetternder Befund für den JCPOA und insbesondere für die deutschen Politiker und Wirtschaftsvertreter, die bereits im Juli 2015 zu den »alten Freunden« (Sigmar Gabriel) reisten, um iranische Aufträge zu akquirieren, zum Beispiel für »Medizintechnik«, wie sie angeblich in Fordo produziert werden sollte.