Die algerischen Präsidentschaftswahlen waren umstritten

Präsident der Machthaber

In Algerien haben Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Viele Bürgerinnen und Bürger sind jedoch weder mit deren Ablauf noch deren Ausgang einverstanden und befürchten unlautere Machen­schaften der Übergangsregierung.

Algerien hat nach den Wahlen am Donnerstag vergangener Woche einen neuen Präsidenten. Das ist eine Erwähnung wert, denn zuvor hatten sich wesentlich mehr Menschen für einen Boykott, eine Absage oder zumindest eine längerfristige Verschiebung der Wahl eingesetzt als für deren Stattfinden. Die gesamte soziale und politische Opposition, die seit dem durch Massenproteste erzwungenen Rücktritt des früheren Präsidenten Abdelaziz Bouteflika aktiv ist, protestierte ­gegen die Wahl zum vorgegebenen Zeitpunkt. Sie befürchtet, dass nach zehnmonatigem Dauerprotest auf den Straßen und Plätzen die Übergangsregierung unauffällig eine Normalisierung ihres Regimes einleiten könnte. Zunächst brauche es eine neue Verfassung, erst dann seien wirklich demokratische Wahlen möglich, so die Opposi­tion.

Algeriens Innenminister Salah Eddine Dahmoune erklärte neun Tage vor der Wahl den erkennbaren Unmut vieler Wahlberechtigten auf seine ganz eigene Art: Es gebe in Algerien »Verräter, Söldner und Homosexuelle«, die vom »kolonialistischen Geist« ­vergiftet seien und die Wahl deshalb ablehnten. Überzeugt haben dürfte er die wenigsten. Die Demonstration drei Tage später, am 6. Dezember, zählte zu den größten dieses Jahres.

Es gebe in Algerien »Verräter, Söldner und Homosexuelle«, die vom »kolonialistischen Geist« vergiftet seien und die Wahl deshalb ablehnten, sagte der Innenminister.

An der Wahl beteiligten sich offiziellen Angaben zufolge 41,1 Prozent der Wahlberechtigten. Diese Zahl halten allerdings viele Algerierinnen und Al­gerier für unglaubwürdig. Selbst das Staatsfernsehen ENTV, das gewöhnlich willfährig auftritt – wobei auch einige seiner Journalisten in den vergangenen Monaten aufbegehrt haben –, zeigte Bilder von weitgehend leeren Wahllokalen. In Frankreich, wo etwa zwei Millionen algerische Staatsangehörige ­leben, war deren Wahlteilnahme überhaupt nicht wahrnehmbar. Es war kein Vergleich zu der Situation in Frankreich während der algerischen Präsidentschaftswahl im November 1995, die inmitten des Bürgerkriegs stattfand und Hoffnung auf ein Abebben der extremen Gewalt versprach. Vier bis sechs Stunden standen Algerier vor ihren Wahllokalen in Paris, Lyon oder Marseille damals Schlange.
In diesem Jahr hingegen gingen nur 8,7 Prozent der im Ausland lebenden Algerierinnen und Algerier zur Wahl, und das offiziellen Angaben zufolge, die vermutlich noch geschönt sind.

Von den 22 Bewerbern, die eine Kandidatur bei der Wahlkommission eingereicht hatten, hatte das Verfassungsgericht fünf Kandidaten zur Wahl zugelassen (Jungle World 45/2019). Vier dieser fünf behaupteten am Wahlabend, sie seien in die Stichwahl eingezogen. Die Behauptungen stellten sich als haltlos heraus, denn letztlich fand keine zweite Wahlrunde statt: Abdel­madjid Tebboune wurde mit 58,15 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt. Vermutlich wollten die derzeitigen Machthaber das Risiko eines zweiten Durchgangs nicht eingehen. Die Bevölkerung hätte sonst erneut massenhaft demonstrieren oder gar den Wahlvorgang stören können, wie in den beiden zentralen Städten der ­Berberregion Kabylei, Tizi Ouzou und Bejaïa, bereits geschehen. Aber auch im Zentrum der Hauptstadt Algier hatte die Polizei am Nachmittag des Wahltags Protestierende auseinandergetrieben.

Der 74jährige Tebboune ist verglichen mit den wichtigsten Repräsentanten der Übergangsregierung fast noch jung. Ob er sich nicht doch als Fehlgriff für sie erweist, wird sich zeigen. Tebboune gilt als Technokrat, der in den neunziger Jahren mehrere Präfektenposten, jedoch bislang nie ein Wahlmandat innehatte. Von Mai bis August 2017 amtierte er als Premierminister unter Bouteflika. In jener Zeit ließ er einige korrupte Geschäftsleute staat­licher oder staatsnaher Unternehmen festnehmen – allerdings ist seine Familie selbst in den größten Skandal der vergangenen Jahre verwickelt. Es geht um einen Container mit 700 Kilogramm Kokain, der im Vorjahr im Hafen von Oran entdeckt wurde (Jungle World 40/2018). Tebbounes Sohn Khaled sitzt deswegen in Untersuchungshaft. Der Fall hat die verschiedenen Clans der herrschenden Oligarchie gegeneinander aufgebracht.