Folge 26: Ann Cotten

Lahme Literaten

Kolumne Von

Dass es die Aufgabe der Literatur sei, automatisierte Wahrnehmungsweisen aufzubrechen und »Chaos in die Ordnung zu bringen« (Adorno) – das also, was einst zum Selbstverständnis einer sich vom bürgerlichen Kunstbegriff emanzipierenden Moderne gehörte, ist heutzutage, da es weder Bürgertum noch Moderne gibt, in den Satzbaukasten des zeitgemäßen Konformismus eingewandert. Wenn man auch sonst nichts kann, kann man auf jeden Fall Genderstereotype dekonstruieren; jeder Diskursbrei wird mit antiokzidentalen Metaphern gewürzt, jeder Hohlkopf verlangt von der Literatur, dass sie mehr als Unterhaltung sei, und die Unfähigkeit, wenigstens alle zehn Seiten einmal einen geraden Satz hinzu­bekommen, gilt als Subversion der androzentrischen Grammatik. Auch die Neigung von Dichtung, den Autoritarismus des Sinns durch Unsinn zu suspendieren, nimmt angesichts solcher Verheerungen eine andere Bedeutung an. Der Nonsens ist nicht mehr etwas, das die Verkettung des Sinns unterbricht, das Unverständliche keine Gegenkraft zur »Wut des Verstehens« (Jochen Hörisch), sondern nur noch Verdoppelung der Banalität, die sich im Quatsch, den sie hervorbringt, selbst spiegelt.
In einer solchen Welt, in der Margarete Stokowski für ihre »Entlarvung gesellschaftlicher Schieflagen« den Tucholsky-Preis bekommt, während sich kein Stilstatiker ihrer windschiefen Metaphern annimmt, werden die Bücher von Ann Cotten dafür gelobt, dass man es auch sein lassen kann, sie zu lesen. »Man muss das nicht streng von vorn nach hinten lesen, kann zwischendurch hin und her springen, denn es gibt in diesen Geschichten genau genommen keinen Anfang und kein Ende«, rühmt der MDR ihren jüngsten Prosaband »Lyophilia«. Und die Rezensentin der Taz bemüht Friedrich Schlegel, H. G. Wells, John Donne, die Kleist-Philologie sowie die Konzepte von »Bricolage« und »Installation«, um dieser »Science-Fiction auf Hegel-Basis« (Cotten) etwas abzugewinnen. Das Resümee, es handle sich um »irgendwas zwischen Gehirnjogging und Flaschendrehen«, klingt trotzdem wenig enthusiastisch. Weil Cotten in den USA geboren, aber in Wien aufgewachsen ist, gab sie ihr Debüt 2007 mit dem Lyrikband »Fremdwörterbuchsonette«, dem mit seinem Versuch eines originellen Einsatzes der Fremd- als Reimwörter (»Die Liebe ist voll inkommensurabel (…)/wo in Sonetten hergereimt: Parabel«) eine Art unfreiwillige Unkomik gelang. Als 2013 ihr Prosaband »Der schaudernde ­Fächer« erschien, zeigte sich die Zeit begeistert über den »Schlag ins Gesicht all derer, die finden, man müsse Literatur auch verstehen können«. Während Matthias Politycki seine Prosa nach dem Marathonlauf taktet, verrät Cotten der Zeit, beim Dichten gelte es, »wie beim Skifahren locker und konzentriert zu bleiben«. Ihren Begriff von Dialektik erklärt sie so: »Es ist das Halbperfekte, das nicht ganz Runde, das einen aber doch weiterbringt.« Womöglich ist, was sie schreibt, nicht so leer wie die Köpfe derer, die es loben. Doch eine sinnkritische Moderne, die gegen ihre Absorption durch die Nachmoderne nichts einzuwenden hat, wird irgendwann sinnlos wie diese. In »Lyophilia« verwendet Cotten das »polnische Gendering«, bei dem alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende gestellt werden (»Europäerni« statt Europäer). Vor zwei Jahren erhielt sie den Hugo-Ball-Preis. Wer die Hoffnung nicht aufgeben will, kann also darauf harren, dass ihr nächstes Buch sich der Verwandtschaft von geschlechter­gerechter Sprache und Dadaismus widmet.