Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgericht

Kampf um ein Grundrecht

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In dem Verfahren hatte es allerdings nur einen Teil der verschiedenen Sanktionen verhandelt. Der Kläger hatte sich geweigert, eine Stelle und einen Gutschein zum Probearbeiten anzunehmen. Daraufhin hatte das zuständige Jobcenter seinen Satz erst um 30, dann um 60 Prozent gekürzt. In dem Urteil geht es einerseits um die Höhe der Sanktionen: Jede Kürzung um mehr als 30 Prozent des Regelsatzes und auch die Streichung der Unterkunftskosten und der Krankenversicherung sind demnach unzulässig – auch weil diese scharfen Sanktionen nicht wirkten, so das Gericht.

Zum anderen geht es um Ermessensspielräume: Bisher wurden »Pflichtverletzungen« automatisch sanktioniert, auch die Dauer von drei ­Monaten war unvermeidlich. In Zukunft soll es keinen Zwang zur Sanktion mehr geben, wenn dadurch ein Härtefall entsteht. Auch die starre Drei­monatsfrist soll aufgehoben werden, wenn die Sanktionierten ihre Mitwirkung nachholen.

Die Erfinder von Hartz IV und des dazugehörigen Sanktionssystems ­zeigten sich erfreut. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach in der ARD von einem »wegweisenden und aus­gewogenen« Urteil, das Rechtsklarheit schaffe und zeige, dass das Gesetz ­weiterentwickelt werden müsse. ­Katrin Göring-Eckardt (Grüne) teilte mit, durch das Urteil sei klar geworden: »Durch Demütigungen kommt niemand wieder in den Arbeitsmarkt.« Sie hatte 2004 als Bundestagsfraktionsvorsitzende ihrer Partei zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung wesentlich zur Durchsetzung von Hartz IV beigetragen.

Andere halten an der Richtigkeit der Sanktionen fest, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner nannte sie ein »Zeichen der Fairness gegenüber Bürgern, die über ihre Steuern Sozialleistungen finanzieren«. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Hermann Gröhe begrüßte, dass das Bundesverfassungsgericht die Sanktionen »insgesamt nicht in Frage stellt«.

Das Urteil kann man getrost als Niederlage für SPD und Grüne bezeichnen, die die Arbeitsmarktreform inklusive Sanktionssystem 2004 einführten. Viel wichtiger ist aber, dass es die Situation vieler Erwerbsloser im SGB-II-­Bezug deutlich verbessert. Dass jemand mit gut 100 Euro im Monat auskommen muss, in letzter Konsequenz auf der Straße landet oder nicht mehr zum Arzt gehen kann, wenn er sinnlose Maßnahmen verweigert hat, kann nicht mehr so einfach passieren.