Die preisgekrönte Reportage

Siggi, der Boss

Ein ganz normaler Tag im Leben von Sigmar Gabriel.
Kolumne Von

Es ist ein langer Tag für Sigmar Gabriel. Am Morgen Gespräche mit der Liga der Plutoniumhändler. Dann Frühschoppen mit Vertretern großer Schlachtbetriebe – die gesetzlichen Auflagen für Hilfskräfte aus Nicht-EU-Ländern sind immer noch zu hoch, Gabriel verspricht »unbürokratische Hilfe«. Es folgen Interviews mit RT, Asbest Aktuell und Miese Kerle Quarterly. Auch das Mittagessen steht im Zeichen der Arbeit: Gabriel hat an der Börse Blutdiamanten gezeichnet, der Kurs wackelt derzeit dramatisch. »Dann schickt die Arschlöcher halt vier Stunden länger in die Minen! Haben wir doch bei VW auch geschafft«, brüllt er ins Telefon und beißt versehentlich in den Hörer statt ins Schnitzel. Der Macher Gabriel ist sichtlich in seinem Element. Der Nachmittag aber gehört ganz den Kindern: In einer Kleiderfabrik in Bangladesh soll die Schichtarbeit für Jugendliche abgeschafft werden, ­Gabriel berät die Eigentümer. Zwischendrin bleiben rund zehn Mi­nuten für die Kontrolle des Mailpostfachs »boss_siggi@spd.de« – »Die übliche Scheiße!« lacht er froh. »Gott­seidank kann mir das alles jetzt wurscht sein. Also, noch wurschter als ohnehin!«

Der neue Sigmar Gabriel, er scheint nichts von seiner alten Emsigkeit verloren zu haben. Und wirkt doch entspannt. »Ich habe es geschafft, mir Freiräume zu erobern, mich wieder privaten Interessen zu widmen. Ich setze mich zum Beispiel in einer Bürgerinitiative für die Schließung einer Spielstraße in der Nachbarschaft ein. Ich bin hier zwanzig Jahre lang siebzig innerorts gefahren und werde jetzt sicher nicht damit aufhören!« Man staunt über diesen Mann, der mit eiserner Selbstdisziplin sowohl das eigene Gewicht als auch das politische der SPD reduziert hat: »Für jedes verlorene Kilo ein Prozentpunkt, das war die Devise!« Nun soll er Cheflobbyist des mächtigen Verbands der deutschen Autoindustrie werden – ob er sich damit nicht zu viel vornimmt? »Unsinn, die sagen mir einfach, wen ich anrufen soll, und gut ist. Leicht verdiente 50 Mille, würd‘ ich sagen!« Warum er überhaupt noch in der SPD ist? »Die SPD ist für mich die Partei des sozialen Aufstiegs, und solange sie mir das noch ermöglicht, bleibe ich selbstverständlich Mitglied. Gegen Honorar, natürlich.« Man muss sich Gabriel als einen glücklichen Menschen vorstellen. Anders wäre es unerträglich.