Streit um das Kopftuch

Kein Frieden mit dem Tuch

Die Grünen wollen Lehrerinnen an Berliner Schulen das Tragen des Kopftuchs erlauben.

Für Sandra Scheeres war es eine erfreuliche Nachricht: Das Berliner Neutralitätsgesetz verstößt einem von der sozialdemokratischen Bildungssenatorin in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zufolge weder gegen das Grundgesetz noch gegen das All­gemeine Gleichbehandlungsgesetz oder das EU-Recht. In dem Gutachten kommt der Rechtswissenschaftler Wolfgang Bock zu dem Schluss, dass sichtbar getragene religiöse Kleidung im Öffentlichen Dienst unter Umständen die Selbstbestimmung von Bürgerinnen und Bürgern einschränken könne und deshalb untersagt bleiben soll. »Das Gutachten bestätigt unsere Rechtsauffassung«, sagte Scheeres. Das Neutralitätsgesetz schütze Schülerinnen und Schüler vor Diskriminierung. 

Im November 2018 hatte das Berliner Landesarbeitsgericht einer muslimischen Frau rund 5 100 Euro Entschädigung zugesprochen. Die Informatikerin hatte sich als Quereinsteigerin an verschiedenen Schulen beworben. Diese lehnten die Bewerberin ab, unter anderem weil sie nicht bereit war, ihr Kopftuch während des Unterrichts abzulegen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts und weitere Urteile hatten Zweifel am Neutralitätsgesetz aufkommen lassen.

Über dieses gibt es in der rot-rot-grünen Koalition gibt es seit einiger Zeit Streit. Die Bildungssenatorin will an dem 2005 von der damaligen rot-roten Koalition beschlossenen Gesetz festhalten, einige Funktionäre der Linkspartei bezweifeln mittlerweile dessen Verfassungsmäßigkeit. So sprach sich etwa Klaus Lederer, der bei der Verabschiedung des Gesetzes rechtspolitischer Sprecher der Berliner Linkspartei war, 2016 nach seiner Ernennung zum Kultursenator umgehend gegen ein umfassendes Verbot religiöser Symbole im Öffentlichen Dienst aus. Religiöse Bekundungen von Lehrkräften müsse eine offene Gesellschaft aushalten, sagte der Jurist dem Evangelischen Pressedienst damals. Dies gelte auch für das Kopftuch. 

Bock schreibt in seinem Gutachten, viele muslimische Familien seien hierzulande von »einer islamischen Religionskultur geprägt, die eine dem Mann in vieler Hinsicht untergeordnete Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft propagiert und verwirklicht«. Dies schränke die Selbstbestimmung von Frauen erheblich ein. Zudem würden heranwachsende Männer dazu erzogen, »dem Grundgesetz widersprechende Gebote und Forderungen zu erheben und durchzusetzen«. Angesichts der an Berliner Schulen weitverbreiteten islamischen Religionskultur gäben nicht zuletzt Kleidungsgebote Anlass zu Auseinandersetzungen, die dazu führten, »dass ungehindertes Lernen in der Schule bedroht oder eingeschränkt wird«. Angesichts dessen sei das Verbot »religiös ausdrucksstarker Kleidung« recht- und verhältnismäßig. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2015 die Entscheidung einer Klage zugunsten zweier muslimischer Lehrerinnen ­gegen das Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen damit begründet, dass ein ­generelles Verbot religiös konnotierter Bekleidung und Symbole sich diskriminierend auswirken könne und nur im konkreten Fall der Gefährdung des Schulfriedens zulässig sei.