Die chinesische Kulturrevolution

Aufstand der kleinen Affen

In der Kulturrevolution stachelte Mao die Jugend zum Terror auf, um seine Macht zu festigen. Doch Außenseiter der Gesellschaft nutzten die Chance, um gegen die Herrschaft der Bonzen zu rebellieren und demokratische Mitbestimmung einzufordern.

Zu Beginn der Kulturrevolution schrieb Mao Zedong im Sommer 1966 an seine Frau Jiang Qing: »In mir ist sowohl etwas vom Geist des Tigers als auch von dem des Affen. Der Geist des Tigers dominiert jedoch, der des Affen ist untergeordnet.« In China stehen der freche Affe für die Rebellion und der Tiger für die Herrschaft. In seinem Buch »Die andere Kulturrevolution. 1966–1969: Der Anfang vom Ende des chinesischen Sozialismus« beschäftigt sich Wu Yiching, Professor für chinesische Geschichte an der Universität Toronto, mit den »kleinen Affen«, die Maos Aufruf zur Rebellion gegen »die Machthaber des kapitalistischen Weges innerhalb der Partei« nicht nur ernst nahmen, sondern weit darüber hinausgingen. Es entstand eine rebellische Massenbewegung von unten. Deren radikale Kräfte forderten sogar die Zerschlagung des bürokratischen Staatsapparats und die Errichtung von Kommunen.

Der bürokratische Staatssozialismus war nicht der »Totengräber«, sondern »der Geburtshelfer der kapitalistischen Entwicklung« in China.

Dass die Kulturrevolution auch ein Machtkampf an der Parteispitze war, ist hinreichend bekannt. Wu zeigt in seinem Buch, dass viele einfache Chinesen die Massenbewegung nutzten, um ihre eigenen Forderungen zu stellen. Zwischen Herbst 1966 und Sommer 1968 erlaubte die Parteiführung »den Massen«, eigene Organisationen zu bilden und Zeitungen herauszugeben. Die neuen Freiräume wurden jedoch nicht immer im Sinne der Parteiführung genutzt. Wu analysiert wichtige Bewegungen an den Rändern der Gesellschaft: Anfang 1967 fand die Kritik an der Diskriminierung Jugendlicher mit »schlechtem Familienhintergrund«, die eine Rebellengruppe um den Studentenführer Yu Luoke in ­Peking vorbrachte, ein landesweit Resonanz. Die Gruppe wollte erreichen, dass alle Jugendlichen gleichberechtigt an der Kulturrevolution teilnehmen können, auch wenn deren Eltern vor 1949 »Kapitalisten« oder »Großgrundbesitzer« gewesen waren. Als die wahren Gegner galten ihr die Parteibonzen, die sich und ihren Kindern weitreichende Privilegien im Verteilungs- und Bildungssystem ­gesichert hatten.

Studenten in Peking während der Kulturrevolution im Jahr 1967. 

Bild:
人民画报 (public domain)

In Shanghai rebellierten im Winter 1966 prekär beschäftigte Arbeiter, die von den Lohn- und Arbeitsplatzgarantien der Kernbelegschaft in den Staatsbetrieben, der sogenannten »Eisernen Reisschüssel«, ausgeschlossen waren. Sie nutzten die Kulturrevolution, um eine Festanstellung und ein Bleiberecht in der Stadt zu fordern. In der Provinz Hunan bildete sich eine breite soziale und politische Rebellenallianz. Die Opfer staatlicher Kampagnen forderten ihre Rehabilitierung, die zur »Umerziehung« auf das Land verschickten Jugendlichen verlangten, in die Städte zurückkehren zu dürfen. Während Mao nur einzelne »revisionistische« Bürokraten attackieren wollte, sprachen die Hunaner Rebellen von der Herrschaft einer neuen bürokratischen Klasse, die durch eine neue Volksrevolution gestürzt werden müsse.

Mao und die Linke in der Parteiführung nutzten zunächst den Schwung dieser Bewegungen, um den Angriff auf die lokalen Parteibürokratien zu forcieren. Doch bereits zu Beginn des Jahres 1967 gingen ihnen das Chaos und die Rebellion von unten zu weit. Mit der »Machtergreifung durch die Linken« und dem Einsatz der Volksbefreiungsarmee sollte die Ordnung wiederhergestellt werden. Widerspenstige Rebellengruppen wurden unterdrückt, Yu Luoke wurde 1970 vor etwa 100 000 Zuschauern im Arbeiterstadion in Peking hingerichtet. 

Wu argumentiert, dass die maoistische Linke mit der Verfolgung der Rebellen »die eigenen Kinder gefressen« und damit die vormals explosive Energie der Massenbewegung verbraucht habe. Die logische Folge war die Restauration der Herrschaft des Parteiapparats. Das Projekt, den chinesischen Sozialismus zu erneuern, war gescheitert. Darum sieht Wu nicht nur in der Machtübernahme von Deng Xiaoping 1978 einen entscheidenden Wendepunkt, sondern schon in der Niederschlagung der Rebellion 1967/1968.

Die Kritik der Rebellen an der »neuen Klasse« und die Forderungen nach der Mitsprache der Massen griff die Demokratiebewegung von 1979–1981 wieder auf. Auch diese ­Bewegung wurde von der Partei unterdrückt, die der autoritären kapitalistischen Entwicklung den Weg bereitete. Wu versteht sein Buch sowohl als Beitrag zur Staats- als auch zur Kapitalismuskritik, als Einspruch gegen die »Logik der ökonomischen Akkumulation und der bürokratischen Macht«. Die kritische Auseinandersetzung mit der Kulturrevo­lution sei wichtig, so Wu Yiching, um zu verstehen, warum der bürokratische Staatssozialismus nicht der »Totengräber«, sondern »der Geburtshelfer der kapitalistischen Entwicklung« in China gewesen sei.