Frauen im Schach

Damengambit

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Die Journalistin Hanna Schank hat einige Ursachen für die nachrangige Stellung von Frauen in der Schachwelt zusammengetragen, wobei sie sich unter anderem auf die umstrit­tene historische Studie »Birth of the Chess Queen« von Marilyn Yalom bezieht. Diese Autorin interessiert sich in ihrer Untersuchung vor ­allem für die Figur der Königin, insbesondere für deren im Vergleich immense Bewegungsfreiheit. Sie schlussfolgert, dass die Königin, vormals eher eine schwache Figur (ursprünglich ein Minister oder Berater), in Spanien unter der Herrschaft Isabella I. zu ihrer heutigen Stärke gefunden habe, mit einer Regeländerung, die schließlich von den Jüdinnen und ­Juden, die aus Spanien vertrieben wurden, in die Welt getragen worden sei. Die Frau auf dem Schachbrett, die alle anderen Figuren übertrifft, symbolisiere das geschlechtertypische Interesse am Spiel; Schach sei lange Zeit ein sehr beliebter Zeitvertreib für Frauen gewesen, bis es sich zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert zum kompetitiven Denksport gewandelt habe, so ­Yalom. Gespielt worden sei dann vorrangig in Cafés und Kneipen, also an Orten, zu denen Frauen zu dieser Zeit der Zutritt zumeist verwehrt blieb.

Zugleich kamen Ansichten von der natürlichen Unterlegenheit der Frauen im Schach auf, die auch heutzutage noch in pseudowissenschaft­lichen Studien reproduziert werden: Schank zitiert etwa eine Untersuchung von Robert Howard, der 2014 herausgefunden haben wollte, dass Männer grundsätzlich besser im Schach sind, weil sie eine innere Veranlagung dazu haben. Zu diesem Ergebnis konnte Howard allerdings nur gelangen, indem er zunächst ­einige unhaltbare Behauptungen aufstellte, etwa dass es den Effekt der gläsernen Decke nicht gebe oder dass Schachturniere, weil sie formal Frauen offenstehen, auch wirklich von ihnen frequentiert würden.

Dabei beginnt eine professionelle Schachkarriere sehr jung und er­fordert häufige Reisen zu Turnieren, was viele Eltern ihren Töchtern nicht erlauben. Es gibt erheblich weniger Schachtrainerinnen als -trainer und weniger Mädchen haben die Gelegenheit, Unterricht zu erhalten. Zudem wirkt die verbreitete Vorstellung von der Unterlegenheit von Frauen im Schach häufig: Eine Studie der Universität Padua von 2008 ergab, dass Mädchen im Durchschnitt wesentlich schlechter abschneiden, als es ihr Ranking vermuten ließe, wenn ihnen gesagt werde, dass sie gegen einen Jungen spielen. 2013 konnten die Psychologen Hank Rothgerber and Katie Wolsiefer nach­weisen, dass bereits sechsjährige Mädchen glauben, Jungs seien besser im Schach – was schnell zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird.

Aber so muss es nicht bleiben: Spielerinnen wie Judit Polgár, Hou Yifan oder Anna Rudolf strafen die ­Erzählung, Frauen seien von Natur aus schlechter im Schach, seit Jahrzehnten Lügen. Und pädagogische Mittel wie die Frühförderung dürften das Ressentiment eines Tages aus der Welt schaffen. Dann wird auch eine Frau um den Titel spielen.