Sammelband »Kein schöner Land«

Butler und Brando im Bootcamp

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Die Beiträge liegen mit ihrer Kritik nie gänzlich daneben, doch erscheint deren Zweck verdächtig. Im Theater soll nicht nur Judith Butler, sondern auch Marlon Brando vorkommen, als Einspruch gegen undefinierte Männerrollen. In der Kunst soll der Kultus der Echtheit durch Hässlichkeit beendet werden. In der Literatur Autonomie nach Adorno mit Verfremdung nach Brecht kombiniert werden. In der Politik soll die Verabschiedung der alten Bundesrepublik und der sogenannten Volksparteien zu einem institutionellen Wandel führen, der der progressiven Nostalgie eine Ende bereitet. Im Pop sollen ebenfalls Erotik und Spiel vorkommen, statt nur Heimat und Sommermärchen. Im Film soll auch Komödie stattfinden und nicht nur krankhafter Zwang zur Eindeutigkeit ­(wobei Maren Ades Erfolgsfilm »Toni Erdmann« erstaunlicherweise mit keinem Wort erwähnt wird). Die Beiträge sind recht unterschiedlich. Und nicht jeder will offensichtlich auf Jägerschnitzel, national-ästhetische Aufrüttlung und das Ende der Versteckspiele hinaus.

Worauf man sich in einem im ­Anhang abgedruckten Diskussionsmitschnitt einigen kann, ist das Ende der Ironie und das Plädoyer für eine neue Ernsthaftigkeit. Wohin das führen soll? Unklar. Es klingt wie die diffuse Suche nach einem ebenso diffusen Eigenen. Der Angriff auf die deutsche Gegenwart in »Kein schöner Land« erinnert zwar im Ton an die einst vorgetragene linke Kritik an teutonischen Hässlichkeiten, doch scheint sich die Funktion dieser im Habituellen verhafteten Kritik geändert zu haben – was zu denken geben sollte, zumal der Angriff ausgesprochen harmlos ausfällt. Das soll er wahrscheinlich auch, insoweit er eher als Aufruf zur Erneuerung einer Kulturnation fürs 21. Jahrhundert gedacht ist, die für die politischen und ökonomischen Ansprüche der herrschenden Klasse weitaus besser geeignet scheint als der Muff der alten Bundesrepublik. So klingt auch die Ankündigung des Verlags nach kultureller Generalmobilmachung, der Sammelband sei ein »Bootcamp gegen die geistige Trägheit – und ein Ausbruch aus der deutschen Bequemlichkeit«. Marx und Engels schrieben in der »Deutschen Ideologie«, die miserable Rolle der Deutschen in der wirklichen Geschichte werde dadurch verdeckt, dass sie die Illusionen auf gleiche Stufe mit der Wirklichkeit stellten. Scheinangriffe auf die deutsche Gegenwartskultur können offenbar selbigem Zweck dienen. Das Problem mit Deutschland ist nicht das Erscheinungsbild, solange die Geschäftsgrundlage unverändert bleibt.

Leander Steinkopf, Quynh Tran, Simon Strauß, Katharina Herrrmann, Lukas Haffert, Annekathrin Kohout, Daniel Gerhardt, Noemi Schneider: Kein schöner Land. Angriff der Acht auf die deutsche ­Gegenwart. C. H. Beck, München 2019, 255 Seiten, 18 Euro