Regionale Ungleicheiten in Europa

Wer hat, dem wird gegeben

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Dass es in Europa große Wohlstandsgefälle gibt, ist nicht neu. Doch die Verhältnisse glichen sich im 20. Jahrhundert eher an, weil weniger entwickelte Regionen zur industriellen Moderne aufschlossen. Seit 1980 ist das vorbei: Die regionalen Entwicklungsunterschiede in Europa wachsen wieder, seit einigen Jahren in erhöhtem Tempo.

Ein Forscherteam an der Berliner Humboldt-Universität hat die regionalen Wirtschaftsentwicklungen in Europa seit 1900 untersucht. »Es scheint eine wachsende räumliche Spaltung zu geben. Das ist ein langfristiger Trend, der sich allerdings vor kurzem verstärkt hat. Es gibt Inseln der Prosperität auf einem Meer der Stagnation«, schrei­ben die Forscher in ihrem Bericht.

Ein Grund dafür ist die gewandelte Wirtschaftsstruktur. Noch in der Nachkriegszeit expandierte die Industrie, wozu sie billiges Land und billige Arbeitskräfte benötigte. In den USA war es das Zeitalter der Vororte, der suburbs. Heutzutage findet die billige Massenproduktion meist außerhalb Europas statt. Und die Hightech-Industrie ist ebenso wie die Dienstleistungsindustrie räumlich konzentriert – sie siedelt sich dort an, wo bereits Infrastruktur, Know-how, Märkte oder andere Firmen vorhanden sind. Fortschritte in der Kommunikationstechnologie und der Logistik ließen die Attraktivität der Städte weiter wachsen. Die EU wird noch urbaner, als sie es schon war, und auch die ökonomische Aktivität konzentriert sich immer stärker in den Städten, mit Ausnahme jener ehemaligen Industriestädte, die sich im Niedergang befinden. In fast allen EU-Ländern konzentriert sich das Wirtschaftswachstum auf die Hauptstädte und andere Ballungszentren, besonders Paris und London stechen hervor. Das relativ arme Berlin ist eine Ausnahme, verändert sich aber rasant.

Auch die Standortkonkurrenz auf dem Weltmarkt lässt einige Regionen prosperieren und andere stagnieren. Die Studie der ING Groep zeigt, dass in den vergangenen zehn Jahren in Europa dort die meisten Arbeitsplätze entstanden, wo am meisten in Forschung und Entwicklung investiert wurde: ein dicht besiedelter Gürtel zwischen Liverpool und Wien, plus einiger großer urbaner Zentren in Skandinavien.