Ahnungslose Fußballkommentatoren

Sei doch kein Tor!

Wilde Spekulationen, großspurige Forderungen, absurde Notenvergabe – den Nachteil, keine Ahnung zu haben, machen viele Fußballjournalisten durch Getöse wett.

Nach den unbefriedigenden Partien von Borussia Dortmund gegen Eintracht Frankfurt und Werder Bremen, beide endeten Remis, debattierten bestimmte Medien über eine Entlassung des Trainers Lucien Favre. Ohne Trainerentlassung ist Sportjournalismus offenbar nichts mehr. ­Spekulationen und Forderungen bringen schließlich die gewünschten Klicks. An anderen journalistischen Konzepten gibt es hingegen wenig Interesse – viel zu anstrengend und langweilig. Vielleicht hat der Mensch recht, der mir einmal schrieb: »Sportjournalismus verhält sich zu richtigem Journalismus wie Militärmusik zu schöner Musik.«

Selbstverständlich machen Trainer Fehler, manchmal stellen sich ihre Entscheidungen als falsch heraus. Trotzdem wünscht man sich zu­weilen etwas mehr Demut seitens der journalistischen Kollegen. Der Ausgangspunkt der Beurteilung sollte lauten: »Der Trainer hat vermutlich mehr Ahnung vom Fußball als ich. Ich verstehe diese und jene Entscheidung von ihm nicht. Aber der Trainer wird seine Gründe haben. Weshalb ich nun versuche, diese zu eruieren, unter anderem indem ich ihn einfach zu seinen Gründen befrage.« Wie viele Journalisten verfolgen konstant und mit dem nötigen Fachwissen ausgestattet die tägliche Arbeit eines Trainers? Wie viele Journalisten verfügen über einen tiefen und ausgewogenen Einblick in die Arbeit hinter den Kulissen?

Muss einigen Sportjournalisten zufolge ein unfassbar schlechter Trainer sein: Lucien Favre, Coach von Borussia Dortmund.

Bild:
picture alliance / Foto Huebner

Die Wahrheit ist: Viele interessieren diese Dinge nicht. Man ist auf das Spiel fixiert. Das Training wird erst interessant, wenn es ein Spieler vorzeitig abbricht oder sich zwei Spieler gegenseitig an die Gurgel gehen.

Im Fall des ehemaligen Trainers des FC Bayern München, Pep Guardiola, war das Verhalten einiger Journalisten besonders grotesk, ja peinlich. »Was soll Philipp Lahm im Mittelfeld? Der war doch immer Außenverteidiger. Und Kimmich – wie kann Guardiola Kimmich als Innenverteidiger aufstellen? Kimmich ist auch kein ›Sechser‹, der ist – wie Lahm – Außenverteidiger!«

 

Guardiolas Problem mit den Medien bestand darin, dass er einige Journalisten hoffnungslos überforderte. Schon nach wenigen Monaten in Deutschland war der Katalane ­genervt und fühlte sich missverstanden. Einige Journalisten verübelten ihm seine distanzierte Haltung, seine Verweigerung von Interviews. Aber anstatt das zu kritisieren – oder Guardiolas Rolle als WM-Botschafter für Katar –, verbissen sie sich in Dinge, die sie nicht verstanden oder nicht verstehen wollten: Aufstellung und Taktik. Und Guardiola? Der erin­nerte sich seines Lehrmeisters Johan Cruyff, der Journalisten einmal entgegnet hatte: »Wenn ich gewollt hätte, dass ihr mich versteht, hätte ich es euch besser erklärt.« Für Fachleute wie Oliver Kahn hat ­Guardiola »nicht nur die Bundesliga, sondern auch die Nationalmannschaft« bereichert. »Pep hat die Spielintelligenz seiner Spieler weiterentwickelt. Ich hätte auch nie gedacht, dass Lahm mal im Mittelfeld spielen kann.« ­Guardiola habe als damaliger Bayern-Trainer auch Anteil daran gehabt, dass Deutschland 2014 Weltmeister wurde.

Die Guardiola-Basher wollten, dass Fußball ein einfaches Spiel bleibt und sich über Spielphilosophie, Taktik und personelle Entscheidungen öffentlich auslassen, ohne von diesen Dingen Ahnung zu haben.

Eine beliebte, aber absurde Übung ist die Benotung von Spielern. Der Journalist, der dazu in der Lage ist, 22 Spieler (und mehr) korrekt zu ­benoten, muss ein Genie mit mindestens vier Augen sein. Er weiß, dass Spieler X nicht eine »3,0« verdient, sondern eine »3,5«. Der Torwart Y, der stark antizipiert und super aufbaut, bekommt nur eine »3,0« – es fehlte die spektakuläre Parade, die unter anderem ausfiel, weil er stark antizipiert hatte. Der Torwart Z, der viermal stark pariert, aber einmal patzt, bekommt eine glatte »5« – das heißt, er muss die Saison wohl wiederholen! Kann man diese blöden Noten nicht mal abschaffen? Reichen nicht an Stelle von zehn Noten Kategorien wie »sehr gut«, »gut«, »ordentlich« und »schwach«?

Als ich als Trainer mit meiner ­Jugendmannschaft den Kreispokal gewann, entschuldigte ich mich ­anschließend beim gegnerischen Kollegen für den Sieg: »Sehr glücklich.« Dieser reagierte etwas irritiert. Dann studierte ich ein Video des Spiels. Fazit: Der Sieg war hochverdient! Wir hatten mehr Ballbesitz, die besseren Pässe gegeben, mehr Torchancen herausgespielt. Wir hatten das Spiel über weite Strecken dominiert. Und der Spieler X war viel besser gewesen, als ich zunächst gedacht hatte. Nachträglich sah ich nämlich auch sein Verhalten in Situationen, in denen er nicht den Ball besessen und sich das Geschehen auf der anderen Seite des Feldes abgespielt hatte.

 

Dem Fußballjournalismus täte es gut, wenn zur Ausbildung der Erwerb einer Trainerlizenz gehörte, dazu noch zwei Jahre Praxis. Da reicht eine Stelle als Jugendtrainer. Die Rolle des Boulevards übernehmen hier die Eltern. Man würde das Fußballspiel von innen heraus erlernen. Vielleicht versteht man anschließend besser, wie komplex der Beruf des Trainers ist, wie viele Beobachtungen und Überlegungen in eine Entscheidung, die die Aufstellung oder die Taktik betreffen, einfließen und wie man sich auch als Profitrainer von Dingen, die um einen herum geschehen, manipulieren lässt. Felix Magath, der knallharte Schleifer, hat einmal gesagt, er habe bei den Bayern manchmal auch einen Spieler aufgestellt, weil er dessen Unzufriedenheit gespürt habe.

Der BVB ist vergangene Saison »nur« Vizemeister geworden. Daraus leiten einige Medien ab, dass die ­Borussia in dieser Spielzeit Meister werden müsse. Alles andere sei ein Scheitern des Trainers. Dass Favre und seine Mannschaft 2018/2019 mehr leisteten als erwartet – kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die Dortmunder die Bayern ernsthaft fordern würden –, ist vergessen. ­Angeblich sind die Borussen ja nur deshalb nicht Meister geworden, weil Favre ein »Zauderer« ist, der nicht Meister werden will. Wie blöd ist das denn? Favre geht in die Kabine und erzählt den Spielern: »Sieht schlecht aus, Jungs. Meisterschaft ist wohl gelaufen.« Daraufhin antworten die Spieler: »Klar, Chef! Dann nehmen wir jetzt mal hübsch den Fuß vom Gas.«

Der BVB wurde vergangenen Sommer nicht Meister, weil die Qualität dafür nicht ausreichte. Und zurzeit sind die Bayern offensichtlich besser, als dies (auch von mir) vor dieser Saison prognostiziert wurde. Mats Hummels, derzeit wieder Abwehrchef beim BVB, weint man dort keine ­Träne nach. Die Bayern haben getobt, als Bundestrainer Joachim Löw Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng aussortierte – und vollziehen dies nun selbst: Hummels wurde verkauft, Boateng möchte man loswerden, Müller ist nur noch Reservist. Hansi Flick wurde Niko Kovač als Co-Trainer an die Seite gestellt und kompenisert die taktischen Defizite seines Chefs. Wenn der BVB-­Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke verkündet, man wolle Meister werden, ist das okay. Lucien Favre muss da nicht mitmachen. Vielleicht ist es sogar klüger, hier etwas auf die Bremse zu treten. Warum eine Erwartung erzeugen, von deren Berechtigung man selbst nicht restlos überzeugt ist? Vielleicht muss man am Ende der Saison konstatieren: Nicht Favre war das Problem, sondern die falsche Situationsanalyse des BVB-Bosses, der weniger Ahnung vom Fußball hat als sein Trainer.

Nach den Spielen gegen Frankfurt und Bremen kursierte die Diagnose, die Mannschaft agiere zu überheblich. Das könnte ja das Resultat einer Fehleinschätzung des eigenen Potentials und dessen der Bayern sein. Vom »Zauderer« Favre stammt eine solche Fehleinschätzung sicherlich nicht.